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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Aus dem Gedenkbuche der Gartenlaube.

Drei Tage eines Fest’s – drei Hammerschläge,
Womit der Grundstein deutscher Einigkeit
Ward eingesenkt. Wer zählet wohl die Wege,
Die sie noch gehen muß in Kampf und Streit,

5
Bis sich erhebt der starke Unterbau,

Das Fundament, worauf das Haus soll stehen?
Nur Deiner Kraft, mein deutsches Volk, vertrau!
Wie Du ein Vorbild kannst im Dichter sehen,
Der aus sich selbst so Großes hat vollbracht,

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Im Fleiß der Arbeit und des Willens Macht!


Ein stattlich Haus – wie es der Dichter schaut –
Und drinnen waltet Liebe, Freiheit, Sitte!
Ein einig Vaterland! O helft und baut,
Das Ziel rückt näher, zählet nicht die Schritte.

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Laßt Schiller’s Wort nur nicht verloren gehen:

„An’s Vaterland, an’s theure, schließ Dich an!“
Dann wird dem Volk ein Schillerhaus erstehen,
In dem es ruhmreich mit ihm leben kann.

Aus einem größeren Gedicht von Karl Schwarz.




Der verwandelte Schmuck.

Novelle von Ernst Willkomm.

1. Ein Hochzeitsgeschenk.

In einer bedeutenden Stadt des Rheinlandes, ausgezeichnet durch Lage und Geschichte, und von jeher der Sammelplatz zahlreicher Fremden, war das Haus des bejahrten Domcapitulars Rütersen der Mittelpunkt der vornehmen und intelligenten Gesellschaft. Außer den Einheimischen aus den angeseheneren Familien hatten Fremde von Distinction stets Zutritt in die Cirkel des Domcapitulars und fanden daselbst jederzeit zuvorkommende Aufnahme wie angenehme Unterhaltung. Ungeachtet seiner siebzig Jahre war der alte Herr noch immer rüstig, nahm lebhaft Theil an Allem, was Zeit und Welt bewegte, und konnte für die Seele der Gesellschaft gelten, die sich beinahe Tag für Tag in seinem großen, geschmackvoll eingerichteten Hause zusammenfand. Hier lernten Fremde einander kennen, hier knüpften sich geistige Beziehungen an, hier ward wohl dann und wann eine Bekanntschaft angebahnt, die sich später zu einem innigeren und bleibenden Verhältniß gestaltete. Seit zwei Jahren hatte das Haus des Domcapitulars in der Person seiner jungen Nichte Rosaura, der einzigen Tochter seines verstorbenen Bruders, des ehemaligen geheimen Staatsrathes Doctor Rütersen, eine neue Bewohnerin erhalten. Rosaura war mehr als hübsch, aufgeweckten Geistes und hoch gebildet. Eine verständige Erziehung hatte glückliche Naturanlagen so harmonisch entwickelt, daß die junge Nichte des Domcapitulars unter ihren Schwestern eine entschieden hervorragende Stellung einnahm.

Rütersen gewahrte sehr bald den Eindruck, welchen Rosaura auf die meisten Personen machte, die sein gastfreies Haus besuchten. Der schönen Nichte huldigte die Jugend und schmeichelte das Alter. Jedermann sah das stets heitere Mädchen gern, und wenn sie zufällig einmal nicht in der Gesellschaft zugegen war, so empfanden Alle ihre Abwesenheit.

So wenig nun auch der Domcapitular darauf dachte, seiner Nichte, deren Gegenwart ihm selbst in jeder Hinsicht angenehm war, eine Versorgung zu geben, so wenig war er auch abgeneigt, einer entschiedenen Neigung, wenn diese sich einen würdigen Gegenstand aussuche, entgegen zu treten. Rosaura besaß ein nicht unbedeutendes Vermögen, und da Rütersen selbst ein großes Einkommen hatte, andere nahestehende Verwandte aber keine Erbansprüche an ihn machen konnten, so war es ihm frei gegeben, der Nichte im Fall einer Vermählung derselben von seinem eigenen Vermögen noch eine beträchtliche Summe zuzulegen. Diesen möglichen, ja wahrscheinlichen Fall hatte Rütersen schon vor dem Tode seines Bruders in Erwägung gezogen und deshalb ein Testament gemacht, in welchem Rosaura zu seiner Universalerbin eingesetzt wurde, falls er selbst noch vor ihrer Verheirathung aus dem Leben abgerufen werden sollte. Vermählte sich aber die Nichte noch bei seinen Lebzeiten, so erhielt sie vorerst nur eine Ausstattung von ihrem Onkel, während dessen eigentliches Vermögen, mit Ausschluß einer Anzahl Legate für milde Stiftungen, ihr erst später zufiel.

Dem Publicum der feineren Gesellschaft waren diese Vorkehrungen der getroffenen letztwilligen Verfügungen des Domcapitulars kein Geheimniß geblieben. Man sprach davon in mehr als einem Kreise, und es konnte deshalb nicht auffallen, daß Rosaura, durch Jugendfrische, Bildung, natürlichen Verstand und Vermögen ausgezeichnet, für eine glänzende Partie angesehen wurde.

Das junge Mädchen selbst dachte wohl am wenigsten an das, was alle Welt beschäftigte. Sie blickte mit schöner Unbefangenheit um sich und genoß den heitern Augenblick, ohne sich peinlich Rechenschaft darüber abzulegen.

Lange indeß sollte Rosaura nicht so harmlos bleiben. Die vielen Gäste im Hause ihres Onkels, unter denen es an ausgezeichneten Männern von Rang und Namen nicht fehlte, ließen sie nicht alle gleichgültig. Einer besonders, welcher eine seltene Erzählergabe besaß, mehrere Sprachen mit Leichtigkeit handhabte und überall in Europa daheim zu sein schien, zog Rosaura unwiderstehlich an. Sie sah ihn unter allen jüngeren Männern entschieden am liebsten, ließ dies auch, vielleicht ohne es zu wollen, in Kleinigkeiten durchblicken und fühlte sich nach einiger Zeit demselben herz- und geistverwandt. Auch der Domcapitular bemerkte diese nur nach und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_693.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2023)