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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Blätter und Blüthen.

Schiller’s Räuber. Vor etwa dreizehn Jahren starb zu Mainz in hohem Alter Wilhelm Ehlers. Dieser Mann hatte ein vielbewegtes Leben geführt. Er war aus Hannover gebürtig, besaß eine wunderschöne Tenorstimme und im Vortrage Goethescher Lieder ist ihm kein Anderer gleichgekommen. Zu Anfang unsers Jahrhunderts lebte er in Weimar und Goethe erwähnt seiner mit Auszeichnung. Oft mußte er bis tief in die Nacht hinein bei dem Dichter bleiben und demselben Romanzen zur Guitarre singen; dabei war Goethe ganz außerordentlich aufmerksam, wiegte zum Zeichen des Beifalls den Kopf hin und her, indem er die Augen geschlossen hielt, gab aber dem Sänger auch wohl dann und wann eine Anweisung über Ausdruck und Betonung einzelner Stellen. Ich vergesse die Abende nicht, an denen Ehlers, als er schon nahe an den Siebenzigen war, in einem Freundeskreise zu Mainz, vor neunundzwanzig Jahren, Goethesche Lieder nach Zelters Composition vortrug. Der Alte hatte nicht vergessen, daß er einst auf der Bühne mit Lorbeeren überschüttet worden war; es machte ihm Freude, bei Familienfesten in der Tracht eines Barden zu erscheinen. Dann war er unermüdlich im Vortrag bis spät in die Nacht hinein, nach jedem Becher perlenden Weines stammte er wieder ein Lied an, und in den Pausen erzählte er uns von den „herrlichen Tagen in Weimar“ und von seinem Verkehr mit Schiller und Goethe. Den Band, in welchem der Letztere des Sängers erwähnt, trug dieser als eine theure Reliquie stets bei sich; und nicht selten, wenn er wußte, daß in dem Freundeskreise ein Fremder erschien, brachte er auch die Briefe mit, welche die beiden Dichter an ihn geschrieben. Er befand sich nicht in glänzenden Umständen; zu Pesth in Ungarn war er vom Schnürboden gefallen und hatte ein Bein gebrochen, zu Amsterdam in Holland , wo er Theaterdirector gewesen, mußte er die Zahlungen einstellen. Aber seine letzten Lebenslage waren ruhig und durch seines Schülers Meyerbeer Güte ganz sorgenfrei. Aus seinem Nachlaß konnten wir ihm über seinem Grab eine Säule errichten.

Eines Abends, als« der Freundeskreis das Fest der Bohnenkönigin feierte, und in ungewöhnlich heiterer Stimmung war, fehlte unser „Barde“, für welchen an jenem Tag ein festliches Gewand und ein Barett mit Federn bereit lagen. Er ließ doch sonst nicht lange auf sich warten. Wo mochte er nur bleiben? Endlich erschien er, in feierlicher Stimmung; offenbar hatte er etwas auf dem Herzen. Aber er sang, und begeisterter, kräftiger, als wir je von ihm gehört hatten; bei Tische bat er um’s Wort, zog dann ein Päckchen hervor und erzählte, daß er kürzlich in Mannheim gewesen sei. Dort habe er im Nachlaß eines Schauspielers der alten Schule (er betonte diese Worte) einen Komödienzettel über Schiller’s Räuber, und zwar von der ersten Aufführung gefunden. „Hier,“ sagte er, indem er das vergilbte Papier herumreichte, „lesen Sie die Namen von Böck als Karl, Iffland als Franz Moor, Beil als Schweizer, Beck als Kosinski, und hier, was Schiller dem Publicum über seine Räuber zu sagen hatte.“

In aller Stille war Ehlers mit dem Originalzettel zu einem Buchdrucker gegangen, der ihm möglichst genaue Abdrücke besorgen mußte. An jeden der Anwesenden vertheilte er ein Exemplar, und das meinige stelle ich hiermit der geehrten Redaction der Gartenlaube zu Gebot. Der Zettel ist vom 13. Jänner 1782 datirt und hat die eigenthümliche Bemerkung: „das Stück spielt in Deutschland im Jahre, als Kaiser Maximilian den ewigen Landfrieden für Deutschland stiftete.“

Jedenfalls noch interessanter ist Schiller’s Ansprache an das Publicum, die er – als Placat gedruckt – an die Ecken anschlagen und am Theater vertheilen ließ. Sie klingt fast wie eine Entschuldigung und lautet wörtlich:

Der
Verfasser an das Publikum.

Die Räuber – das Gemählde einer verirrten großen Seele – ausgerüstet mit allen Gaben zum Fürtrefflichen, und mit allen Gaben – verloren – zügelloses Feuer und schlechte Kammeradschaft verdarben sein Herz, rissen ihn von Laster zu Laster, bis er zulezt an der Spize einer Mordbrennerbande stand, Gräuel aus Gräuel häufte, von Abgrund zu Abgrund stürzte, in alle Tiefen der Verzweiflung – doch erhaben und ehrwürdig, gros und majestätisch im Unglück, und durch Unglück gebessert, rückgeführt zum Fürtrefflichen. – Einen solchen Mann wird man im Räuber Moer beweinen und hassen, verabscheuen und lieben.

Franz Moor, ein heuchlerischer, heimtückischer Schleicher – entlarvt, und gesprengt in seinen eigenen Minen.

Der alle Moor, ein allzu schwacher nachgebender Vater, Verzärtler, und Stifter vom Verderben und Elend seiner Kinder.

In Amalien die Schmerzen schwärmerischer Liebe, und die Folter herrschender Leidenschaft.

Man wird auch nicht ohne Entsezen in die innere Wirtschaft des Lasters Blicke werfen, und wahrnehmen, wie alle Vergoldungen des Glücks den innern Gewissenswurm nicht tödten – und Schrecken, Angst, Reue, Verzweifelung hart hinter seinen Fersen sind. – Der Jüngling sehe mit Schrecken dem Ende der zügellosen Ausschweifungen nach, und der Mann gehe nicht ohne den Unterricht von dem Schauspiel, daß die unsichtbare Hand der Vorsicht, auch den Bösewicht zu Werkzeugen ihrer Absicht und Gerichte brauchen, und den verworrendsten Knoten des Geschicks zum Erstaunen auflösen könne.


Zu Schiller’s Jubelfeier.

Die deutsche Schillerstiftung an die Deutschen. Am heutigen Tage hat sich die Deutsche Schillerstiftung constituirt zu dem in §1 der Satzungen ausgesprochenen Zwecke: „Deutsche Schriftsteller und Schriftstellerinnen, welche für die Nationalliteratur (mit Ausschluß der strengen Fachwissenschaften) verdienstlich gewirkt, vorzugsweise solche, die sich dichterischer Formen bedient haben, dadurch zu ehren, daß sie ihnen oder ihren nächstangehörigen Hinterlassenen in Fällen über sie verhängter schwerer Lebenssorge Hülfe und Beistand darbietet.“ – „Sollten es die Mittel erlauben, und Schriftsteller oder Schriftstellerinnen, auf welche obige Merkmale nicht sämmtlich zutreffen, zu Hülfe und Beistand empfohlen werden, so bleibt deren Berücksichtigung dem Ermessen des Verwaltungsrathes überlassen.“ – Die Constituirung dieser Stiftung fällt nahe zusammen mit dem hundertjährigen Geburtstage des unsterblichen Dichters, zu dessen würdiger, nationaler Feier, so weit die deutsche Zunge klingt, die großartigsten Vorbereitungen getroffen werden. Deutsche! Bei dem festlichen Klang jener Glocke, die in ewiger Höhe tönt, sammelt Euch, nicht blos um zu seinen Ehren ein begeistertes Gedächtnißfest zu begehen, sondern auch um ein bleibendes Denkmal werkthätiger Liebe für unsern volksthümlichsten Dichter auf alle Zeiten zu stiften. Wie er selbst gesungen:

Göttern kann man nicht vergelten;
Schön ist’s ihnen gleich zu sein.
Gram und Armuth soll sich melden,
Mit den Frohen sich erfreu’n,

so können wir auch ihm selbst nicht vergelten, wohl aber durch die mit seinem Namen geschmückte Stiftung den Dank keines Volkes dadurch abtragen, daß wir geistig Strebende, die von schwerer Lebenssorge heimgesucht sind, durch Beistand und Hülfe ehren. – Deutsche! Keinen Ort gibt es im Vaterlande, so abgeschieden von den großen geistigen Besitzthümern unseres Daseins, daß nicht Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen darin lebten, in denen die Dankbarkeit glüht für das, was Schiller uns Allen geworden. In der Fremde lebt kein Deutscher, dem nicht der Name Schiller ein heiliger Heimathsruf ist, so daß in diesem Namen eine Weihestimmung, einzig in ihrer Art, und ein Gesammtbewußtsein, aus so vielen Gebieten des öffentlichen Lebens schmerzlich vermißt, zur erhebenden Erscheinung kommt. – So tretet denn am 10. November zur Bildung von Schillerstiftungen überall zusammen; wo eine solche sich nicht gründen läßt, sammelt Beiträge, wo sich frohe Herzen zum Festmahle vereinigen, verkündet diese unsere Worte und laßt nach dem Festgruß für den Dichter durch die Hände Eurer Frauen und Jungfrauen Spenden der Liebe in Empfang nehmen. Wo Gesangvereine und Liedertafeln, wo Kapellen und Theater seinem Andenken huldigen, opfert ihm den Ertrag seines Ehrentages. – Und du, deutsche Jugend, in deren frische Herzen er die ersten Keime edler Begeisterung senkt, fehle auch du nicht in den Reihen der Opfernden. Die kleinste Gabe ist willkommen. – Auf Deutsche! Laßt uns ein Beispiel geben zur Ehre für uns und unsere Nachkommen, daß der Freude schöner Götterfunken, der Begeisterung Flamme, nicht wirkungslos verlodere, sondern daß die hundertjährige Jubelfeier von Schiller’s Geburt als der Geburtstag der in seinem Namen gegründeten Stiftung ein Lichtpunkt sei und bleibe, tröstlich hineinleuchtend in die Nacht der Sorge und der Noth.

Die bis jetzt bestehenden Schillerstiftungen befinden sich in: Berlin, Breslau, Coburg, Darmstadt, Dresden, Frankfurt a. M., Gratz, Hamburg, Leipzig, München, Nienburg, Nürnberg, Offenbach, Stuttgart, Weimar (als Vorort für die nächsten fünf Jahre gewählt, Wien.

An eine derselben wollen die Beiträge für die Stiftung eingesandt werden.

     Dresden, den 10. October 1859.


Die constituirende Versammlung der Deutschen Schiller-Stiftung:

Dr. Berthold Auerbach aus Dresden. Dr. Ludwig Blum aus Stuttgart. Dr. Ludwig Braunfels aus Frankfurt a. M. Heinrich Brockhaus aus Leipzig. Geh. Medicinalrath Dr. Karl Gustav Carus aus Dresden. Generalintendant Dr. Franz Dingelstedt aus Weimar. Dr. Johann Georg Fischer aus Stuttgart. Dr. Ernst Förster aus München. Advocat Adolar Gerhard aus Leipzig, Dr. Karl Gutzkow aus Dresden. Professor Dr. Friedrich Haase aus Breslau, Dr. Julius Hammer aus Dresden, Dr. Gustav Haubold aus Leipzig. Graf Stanislaus Kalckreuth aus Weimar, Dr. Moritz Lazarus aus Berlin. Generalconsul Ernst Merk aus Hamburg. Hoftheaterregisseur Ferdinand Pirscher aus Darmstadt. Karl Rick aus Wien. Major Serre auf Maxen aus Dresden. Karl Voigt aus Weimar. Staatsminister a. D. Dr. Ernst von Wietersheim aus Dresden, Dr. Friedrich Zabel aus Berlin, Dr. Georg Zimmermann aus Darmstadt.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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