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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

verschiedenen Alters, ihr Bündel im Arm, drei und drei nebeneinander. Ein Gemurmel des Erstaunens lief durch das Gefolge. Die Monarchen sahen einander lächelnd an. Heber Friedrichs Antlitz zuckte es wie Wetterleuchten. Als das Häuflein auf etwa fünfzig Fuß heran gekommen, ward „Halt“ commandirt. Die Truppe hielt. „Präsentirt’s Gewehr!“ Sie salutirten. Blücher mit dem alten Officier kam auf einen Wink des Königs heran.

„Woher, mein Lieber?“

„Von Biebersdorf im Glatzer Gebirge, Majestät. – Wir sind alle Biebersdorfer!“

„Sie haben unter des hochseligen Friedrich II. Majestät gedient, seh’ ich. Ihr Name?“

„Detleff v. Bebran, Majestät. Ich war arm, als ich in des großen Königs Heer trat, Alles, was ich erworben, dank ich ihm, daher mein ich, ist’s recht, daß ich wiedergebe in solcher Zeit, was ich kann. Die jungen Leute sind schon etwas geschult, Majestät, freilich nur in der alten Weise, auch bitte ich um Verzeihung, daß ich sie nicht eher schicken konnte.“

Der König nickte stumm, kaum konnte er seine Rührung verbergen. „Wer ist der Graubart, der die Leute führt?“

„Mein alter Reitknecht Rösler. Hat die Campagne mit mir zusammen gemacht. Er will auch gern mit und das junge Volk zusammenhalten, wenn nämlich Ew. Majestät gnädigst geruht, daß sie beisammen bleiben dürfen. Des alten Sohn, Lorenz, ist ebenfalls dabei, und der Erste da auf dem Flügel ist mein Pflegesohn, Gottlieb Trautmann, welcher Theologie studirt hat. Die andern Alle sind meine Leute und Insassen!“

„Die Rekruten da hinten auch?“

„Ja, Majestät!“

„Wie viel hat Biebersdorf gestellt?“

„Fünfzig Mann auf tausend Seelen, beide Dörfer zusammengerechnet!“

„Bei Gott, das ist viel!“ rief der Kaiser.

König Friedrich Wilhelm ritt hastig an die Freiwilligen heran und musterte sie. „Tadellos!“ murmelte er. Alexander folgte. „Ihr sollt mir beisammen bleiben, Kinder, und ich will hoffen, daß die Biebersdorfer von sich hören lassen im Felde. Seht auf den Alten, Rösler heißt er ja wohl, der wird’s euch vorthun. Wo ist der Theologus?“

Gottlieb Trautmann rückte mit seinem Pferde einen Schritt vor.

„Nun,“ lächelte der König, „wenn Du in der Bibel und im Bügel recht fest bist, mein Sohn, kannst Du’s wohl noch zum Superintendenten bringen, wenn wir erst glücklich wiederkommen.“

„Wenn Ew. Majestät nur zu seinem Recht kommt, und wir nach Paris, soll mich der Superintendent nicht kümmern, mit Erlaubniß.“

„Aber mich. Du bist ein braver Junge. Wir sehen uns – nach der ersten Schlacht!“ Darauf grüßte der Monarch die Leute und wendete sich mit tiefer Rührung zu dem Kaiser, dann schaute er rings um sich her.

„Meine Herren, wo solche Herzen im Lande schlagen, muß es uns gelingen!“

„Amen!“ sagten die Generale, und unwillkürlich drängte sich die Suite um die Monarchen. Der König aber wandte sich zu Blücher: „Leihen Sie mir Ihr Verdienstkreuz!“ – Blücher löste von seinem Halse das gewässerte Band, an dem das blaue Kreuz hing, und überreichte es dem Monarchen. Der König nahm es, beugte sich vom Pferde nieder und legte den Schmuck in Bebrans zitternde Hand. – „Pour le mérite, mein Braver! Gott erhalte und segne Sie! – Generaladjutant von Natzmer, notiren Sie mir Herrn Detleff v. Biebersdorf. – Blücher, Sie haben mir aber ein scharfes Auge auf die Biebersdorfer.“ – Da reichte Czar Alexander dem wackern Bebran die Hand.

„Es lebe der König und das Vaterland, es lebe Alexander!“ rief der alte Degen.

„Es lebe der König, es lebe der Kaiser!“ riefen die Generale, und die Begeisterung packte in rasendem Fluge die Reihen, ein Jubel, ein Vivat brauste durch die Linien, und ward vom Volke jauchzend wiederholt! – Die Majestäten, die Prinzen und Generale zogen grüßend an Bebran vorüber, Blücher blieb zurück.

„Mein lieber Herr von Bebran, die jungen Leute werde ich gleich einstellen; um zwölf Uhr Mittags rücken wir zum Nicolaithor aus. – Haben Sie irgend noch einen Wunsch?“

„Ich, General? Keinen,“ sagte Bebran erschüttert, „nur – daß Sie mir die Jungens nicht schonen!“

Blücher faßte ihn bei der Hand. „Herr von Bebran, die Biebersdorfer sollen an mir einen Vater haben, der Himmel erhalte Sie gesund, bis wir Alle wiederkommen!“ Darauf ertheilte er wegen der Biebersdorfer an den Adjutanten einige Befehle, gab dem Pferde die Sporen und eilte dem königlichen Gefolge nach.

Herr von Richthofen brachte darauf Rösler mit seiner Schaar zu einem Detachement reitender Jäger, deren Führer er sie anvertraute, geleitete Bebran zu seinem Wagen und ließ die Rekruten hinter die Linie eines Infanterieregiments treten, wo ihnen ein Unterofficier beigegeben wurde. Bebran ließ seinen Wagen hinter den Zuschauern Posto fassen und eilte, sich in die Nähe des Detachements zu stellen, wo Rösler mit Trautmann und den Seinen stand, und überließ sich, selig und stolz auf die Zierde seiner Brust, dem Glanz und der Begeisterung des militärischen Schauspiels.

Er hatte von ihnen und auch ganz besonders noch von der Freude seines Lebens, von Trautmann, Abschied genommen, der ihm in der Nacht schon bis Schidlakwitz entgegen gekommen war. Er empfing dabei zugleich auch den Schlüssel von dessen Studirstube und versprach, seine Bücher und Sachen in Verwahrung zu nehmen, bis Gottlieb glücklich heim komme.

Die Inspection war zu Ende. Blücher und Gneisenau nahmen das Commando, die Linien, schwenkten ein, die Detachements der Jäger rückten in die Lücken der Regimenter, das Defiliren begann unter rauschenden Klängen der Feldmusik.

Das eigenthümliche Ereigniß mit Bebran war im ganzen Gefolge, unter allen Generalen und Commandeuren bekannt geworden. Als die Blücherschen Husaren mit ihrem Detachement reitender Jäger vorbei zogen, Rösler am äußersten Flügel, sagte der König: „da sind auch die Biebersdorfer. Gott gebe, daß sie so gut fechten, wie sie aussehen!“ Darauf bildeten die Truppen, welche zum Ausmarsch bestimmt waren, ein großes Quarree, und schmetternd zog das Lied „eine feste Burg ist unser Gott“ zum sonnenhellen Himmel. Ernst und glühend ermahnte der Feldprediger die kriegerischen Söhne des Landes, „dem Feinde die Stirn zu bieten, daß die Heimath frei werde!“ Nun kam die Abschiedsstunde. Während die Monarchen die übrigen Truppen den Parademarsch machen ließen, ward der fortziehenden Schaar ein „Rührt euch“ commandirt. Die Angehörigen, Freunde und Gattinnen drängten sich in die Reihen zu einer letzten Umarmung und schmückten mit Blumen und Eichenkränzen die begeisterten Soldaten.

„Wenn ihr mir eine frohe Sterbestunde machen wollt, Kinder,“ sagte Bebran, „so haltet euch brav. Seid tapfer, wo ihr Waffen blinken seht, Brüder unter einander und menschlich mit Weibern und Kindern. Die Euren daheim sollen nickt darben. Du aber, mein lieber Sohn,“ und er umarmte Trautmann, „denke, daß du in mir einen zweiten Vater zurückläßt, und seh’ ich dich wieder, glänzt gar das Eisenkreuz auf deiner Brust,“ dann, Gottlieb, hast du mir alle Wohlthaten reichlich vergolten, die ich dir erwies! Leb wohl! Auch du, alter Knabe, leb’ wohl, hab’ Acht auf die Leute!“ Damit schüttelte er Rösler, dann Lorenz und allen Uebbrigen die Hände. „Gott behüt’ euch, Kinder!“

„Gott segne Sie!“ rief Trautmann bewegt.

„Gott segne unsern Herrn!“ riefen weinend die Leute.

Bebran eilte hastig hinweg, er wollte seine Bewegung nicht blicken lassen. Rasch bestieg er den Wagen und fuhr nach der Stadt. Der Parademarsch der ausziehenden Regimenter erfolgte. Alle übrigen Truppen präsentirten vor ihnen. „Vivat!“ dröhnte es durch die Reihen. „Hurrah!“ antworteten die Andern im Vorüberziehen.

Die Monarchen an der Spitze, von Blücher geführt, rings umwogt von der Masse, zogen die Krieger durch die Stadt, die Schweidnitzer Straße entlang, über den Ring, die Nicolaistraße hinab. Alle Glocken klangen von den Thürmen, die Tücher der Frauen wehten, es rauschten die Banner, Blumen, Segenswünsche und Thränen fielen rings um sie nieder! Ein Taumel hatte die Herzen erfaßt, ein Todesmuth, wie Sparta’s Jugend je besessen! So zogen sie zum Thor hinaus. Die Majestäten grüßten zum Abschied. „Lebet wohl!“ dröhnte es hinterher aus dem zurückbleibenden Volke. Als sie draußen auf der Ebene waren, begann die Feldmusik eine fröhliche Weise.

„Jungens,“ sagte der alte Rösler, „nun denkt nicht mehr an daheim!“ Seid lustig, Schwerenoth!“ und er begann mit voller Kehle:

„Kein schönrer Tod ist auf der Welt,
Als wer auf grüner Haide fällt!“



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