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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Propositionen einzugehen. Die Aufkündigung des Pachtes über den oberen Theil des Gottesackers, der bisher zur Centralbaumschule benutzt worden war, wurde angenommen, „dergestalt, daß unter den vorliegenden Umständen das Pachtverhältniß sofort als aufgelöst erscheine.“ Weiter heißt es in diesem Berichte am Schlusse:

„Sonach überlassen wir den höchsten Punkt des uns eigenthümlich zugehörigen Gottesackers für immer zu dem zu errichtenden Goethe-Schiller’schen Denkmal, und werden demnächst mit Zuziehung Sachverständiger Sorge tragen, daß die nächsten Umgebungen desselben durch zu fertigende Gartenanlagen und Anpflanzungen, soweit solche immer zum Ganzen des Gottesackers passend erscheinen, verschönert und stets in einem der Würde des Denkmals angemessenen Zustande erhalten werden.“

Es ist bekannt, daß Goethe den Gedanken, welcher in seiner Vaterstadt Frankfurt auftauchte, ihm, während er noch lebte, ein Denkmal zu errichten, fast wie eine Beleidigung zurückwies. Hier aber war es etwas ganz Anderes. Hier galt es nicht, eine jener Ovationen anzunehmen, denen Goethe stets abhold war. Aber nach dem Tode mit dem geliebten Freunde in gemeinschaftlicher Ruhestätte vereint zu sein, das war ein Gedanke, den Goethe freudig erfaßte. Auch mochte er sich wohl mit edlem Selbstbewußtsein, doch fern von kleinlicher Eitelkeit, die wahrlich seine Schwäche nie war, sagen, daß seine und Schiller’s vereinigte Grabstätte dereinst eines der herrlichsten Nationaldenkmäler sein werde.

Goethe war bereits mit der Schiller’schen Familie, deren Zustimmung ihm bereits gewiß war, über jenen Plan in Rapport getreten, und theilte mit großer Befriedigung den Bericht des Stadtrathes in wörtlicher Abschrift dem Appellationsgerichtsassessor Ernst v. Schiller in den letzten Tagen des März mit. Mit dem Oberbaudirector Coudray gemeinschaftlich arbeitete er eine Zeichnung zu dem zu errichtenden Grabdenkmal aus. Dasselbe war in sehr einfacher, doch würdiger Gestalt projectirt und sollte die von außen sichtbaren, dicht nebeneinander stehenden Sarkophage der beiden großen Dichter enthalten.

Die beiden höchstgebietenden Männer des Landes, der Großherzog und Goethe, wünschten lebhaft die Ausführung jener trefflichen Idee – ja es liegt nahe zu glauben, daß sie die Urheber derselben waren; das Pachtverhältniß des Stadtrathes mit der Baumschule war in bester Form von der competenten Oberbehörde, der Landesdirection, gekündigt, und der Eigenthümer des für das Monument ausersehenen Platzes, der Stadtrath, war dem allen mit der größten Bereitwilligkeit entgegengekommen. Es stand also der Ausführung nichts, gar nichts mehr im Wege, als eine unbedeutende Kleinigkeit – einige Dutzend zur Centralbaumschule gehörige Obstbaumstämmchen!

Voll frohen Eifers wollte mein Vater die nöthigen Vorarbeiten an dem für das Grabdenkmal bestimmten Platze beginnen lassen. Unter Berufung auf die geschehene und angenommene Pachtkündigung bat mein Vater wiederholt darum, daß man die dort stehenden, einen Theil der Landesbaumschule bildenden Baumstämmchen hinwegnehmen möge. Es ward ihm endlich erwidert, die Verpflanzung jener Stämmchen könne ihres Gedeihens wegen erst im Spätherbst vorgenommen werden. Vergebens wies er darauf hin, daß der Gegenstand viel zu kleinlich sei, um einer so großen Sache hindernd in den Weg gestellt werden zu dürfen. Man wollte nicht! Und wir wollen nicht verschweigen, warum man nicht wollte.

Ungeachtet seines wahrhaft biederen und wohlwollenden Charakters besaß Goethe, der allerdings weder Zeit noch Lust dazu hatte, den zahllosen Anforderungen, die an seine Person gemacht wurden, zu entsprechen, und sich deshalb besonders in seinen späteren Lebensjahren in die bekannte vornehme Abgeschlossenheit zurückzog, Goethe, sage ich, besaß in Weimar zahlreiche Feinde. Die Wichtigste Persönlichkeit unter denselben war die geliebte Freundin Karl Augusts, die von ihm zur Frau von Heygendorf erhobene Demoiselle Jagemann. Ob es von Seiten dieser sonst höchst liebenswürdigen, doch der Intrigue nicht abgeneigten Frau Eifersucht wegen des Einflusses, den Goethe auf seinen Jugendfreund, den Großherzog, ausübte, oder irgend ein anderer Grund war, der ihre Abneigung gegen Goethe veranlaßt hatte – wir wissen es nicht. Schon im Jahre 1817 hatte sie es, gegen Goethe’s mit Entrüstung ausgesprochenen Willen, beim Großherzoge durchgesetzt, daß auf der Weimarischen Bühne der bekannte Pudel als der Hund des Aubry auftrat, wodurch sich Goethe trotz aller Bitten und Vorstellungen der großherzoglichen Familie bewogen fand, die von ihm so lange Jahre hindurch geführte Direktion des Theaters auf der Stelle niederzulegen. Als nun zehn Jahre später die Idee bekannt wurde, daß für Goethe und Schiller ein gemeinschaftliches Grabdenkmal errichtet werden sollte, erklärte es Frau von Heygendorf für eine Entwürdigung des Andenkens Schiller’s, des Letzteren sterbliche Ueberreste zu einer Huldigung Goethe’s benutzen zu wollen! Die Geliebte des Fürsten besaß ihren eigenen kleinen Hof, dem sich zurechnen zu dürfen gar mancher hohe Staatsbeamte als eine große Ehre schätzte. So wurde es der Frau von Heygendorf leicht, es dahin zu bringen, daß die Räumung der Landesbaumschule und somit die für die Errichtung des Denkmales nöthigen Vorarbeiten den ganzen Sommer 1827 hindurch verzögert wurden, und endlich brachte sie es durch ihren Einfluß auf den Großherzog dahin, daß der ganze Plan aufgegeben wurde. Ihre Absichten fördernd war der Umstand, daß gerade zu dieser Zeit der König Ludwig von Baiern Weimar besuchte und sich mit großer Befremdung darüber aussprach, daß man Schiller’s Gebeine auf der großherzoglichen Bibliothek aufbewahre. Gewiß erfuhr der edle Ludwig nichts von jenem bereits dem Scheitern sich nahenden Plane, sonst würde er ohne Zweifel dafür bemüht gewesen sein, denselben wieder in gutes Fahrwasser zu bringen.

Im October 1827 richtete der Großherzog das nachstehende Handbillet an Goethe:

24. 9. 27.

„Hier einige Autographen für die Sammlung. – Es wird so verschiedentlich über die Aufbewahrung der Schiller’schen Relicten (seines Kopfes und Skelets) auf hiesiger Bibliothek hin und her geurtheilt, und meistens wohl mißbilligt, daß ich es für rathsam halten möchte, selbige in dem Kasten, in welchem sie liegen, inclusive des Hauptes, von welchem vorher noch ein Abguß zu nehmen wäre, in die Familiengruft einstweilen setzen und aufheben zu lassen, welche ich für mein Geschlecht auf dem hiesigen neuen Friedhofe habe bauen lassen, bis daß Schiller’s Familie einmal ein anderes darüber disponirt. So Du hiermit einstimmst, so werde ich dem Hofmarschallamte die Anweisung geben, Schiller’s Ueberbleibsel unter seinem Beschluß bei meinen Ahnen zu nehmen.

Karl August.“

Goethe äußerte in seiner bei allem, was ihn persönlich betraf, milden und ruhigen Weise nicht die geringste Empfindlichkeit darüber, daß der ihm theuer gewordene Plan so ohne Weiteres wieder aufgegeben wurde. Er ordnete sofort an, daß die Gebeine Schiller’s nebst dem Schädel in einem dauerhaften und schön gearbeiteten Sarkophag niedergelegt wurden. Am 16. December 1827 Morgens 6 Uhr wurden Schiller’s sterbliche Reste in Gegenwart der höchsten Hofchargen und mehrerer Staatsdiener feierlich in der großherzoglichen Gruft beigesetzt. Ein halbes Jahr darauf folgte ihm der edle Karl August nach, und seit dem 26. März 1832 ruht auch Goethe neben den Beiden, die seine geliebtesten Freunde auf Erden waren.

So ruhen denn Schiller und Goethe, die unsterblichen Lieblinge des deutschen Volkes, in derselben Gruft mit ihrem fürstlichen Freund und Beschützer und dessen Ahnen. Beide waren bürgerlichem Blute entsprossen; daß sie aber als Fürsten im Reiche der Geister anerkannt wurden, bezeugt ihre Ruhestätte. Diese ihre Ruhestätte legt auch ehrendes Zeugniß ab für die edle Gesinnung des weimarischen Fürstenhauses, und wir freuen uns dessen. Noch mehr aber würden wir uns freuen, wenn sie, die für das Licht Geborenen, wieder hervorkämen aus dem nächtlichen Düster der Fürstengruft an das Licht des Tages; wenn die Stätte, wo Schiller und Goethe ruhen, an deren Andenken sich die Liebe und Verehrung des ganzen deutschen, hier doch einmal einigen Volkes für alle Zeiten knüpft, diesem Volke zugängig gemacht würde.

Die Centralbaumschule ist längst – seit dem Jahre 1834 – vom Gottesacker verlegt, die vor zweiunddreißig Jahren auserlesene Stelle ist frei, und Goethe hat in Weimar keinen Feind mehr, der es ihm mißgönnte, mit Schiller ein gemeinsames Grab zu besitzen. Sollte es zu spät sein, die große Idee, für welche einst Karl August und Goethe, wenn nicht begeistert, doch eingenommen waren, nun doch noch in’s Leben zu rufen und das Vaterland mit einer Stätte geistiger Erhebung zu schmücken, wie sie in seinen weiten Gauen so hehr und herrlich nicht zu finden ist?


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