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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Am Sonntagmorgen des 17. September 1826 versammelten sich im Saale der Bibliothek, außer dem Bibliothekpersonal, auf vorhergegangene Einladung eine Anzahl Staatsdiener, die theils der Schiller’schen Familie nahe gestanden, theils die Leiche des Dichters zu Grabe getragen hatten, oder bei der Auffindung seiner irdischen Ueberreste thätig gewesen waren.

Goethe selbst hatte die Absicht gehabt, dem Actus persönlich beizuwohnen, allein er fühlte sich am Morgen vor der Feier so bewegt, daß er, eine weitere Steigerung seiner Gefühle befürchtend, seinen Sohn, den geheimen Kammerrath von Goethe, mit seiner Stellvertretung beauftragte.

Ernst von Schiller eröffnete die Feier mit einer kurzen Rede, in welcher er zunächst meinem Vater dankte für den unermüdlichen Eifer bei der Aufsuchung der irdischen Ueberreste seines Vaters. Dann erklärte er sein und seiner Familie vollkommenes Einverständniß mit der Idee des Großherzogs, den Schädel Schillers nicht wieder der Verwesung zu übergeben, sondern ihn hier, auf der großherzoglichen Bibliothek, für die Nachwelt aufzubewahren. Er übergab ihn hierauf dem seinen Vater repräsentirenden geheimen Kammerrath von Goethe.

Dieser dankte der Schiller’schen Familie im Namen seines Vaters, welchen er zugleich wegen seiner Abwesenheit entschuldigte. Möge der schöne Eingang dieser Rede hier wörtlich Platz finden, wobei ich bemerke, daß sowohl Ernst v. Schiller’s, wie des Kammerraths von Goethe Rede von Goethe dem Vater verfaßt und nebst der darauf folgenden Rede des Kanzlers von Müller ihrem ganzen interessanten Inhalte nach in meinem oben erwähnten Schriftchen mitgetheilt sind.

„Die erste Pflicht,“ so begann Goethe’s Rede, „welche ich heute zu erfüllen habe, ist die, meinen Vater zu entschuldigen, daß er diesem feierlichen, hochwichtigen Acte nicht selbst beiwohnen kann. Es war früher sein fester Wille, dieses zu thun, doch am heutigen Morgen wurden in ihm alle die Gefühle mächtig rege, welche jene Vergangenheit vorüberführten, wo er mit seinem geliebten, unvergeßlichen Freunde, Friedrich von Schiller, die schönsten Tage verlebt, auch manche Trauer erduldet hatte – einem Freunde und Zeitgenossen, dessen früher Tod einen Riß in das Leben meines Vaters brachte, welchen weder Zeit noch Mitwelt zu heilen im Stande war.“

Im weitern Verlaufe der Rede hieß es, der Schädel Schiller’s solle in dem Postament der Dannecker’schen Büste unter Verschluß gelegt werden, und „nur solchen Personen die Anschauung des Verwahrten verstattet sein, von denen man mit Gewißheit voraussetzen könne, daß nicht Neugierde ihre Schritte leite, sondern das Gefühl, die Erkenntniß dessen, was jener große Mann für Deutschland, für Europa, ja für die ganze cultivirte Welt geleistet hat.“

Der feierliche Actus wurde mit den erhebenden Worten der Weihe geschlossen, welche der geistvolle Kanzler von Müller sprach.

Die Verwahrung von Schiller’s Schädel auf der Bibliothek erfuhr die verschiedenartigste Beurtheilung. Während man sich einerseits freute, daß der kostbare Ueberrest der Vernichtung entzogen war und bleiben sollte, sprach man sich andererseits sehr mißbilligend darüber aus, daß Schiller’s Schädel, statt wie andere christliche Gebeine in der Erde zu verwesen, auf der Bibliothek mit anderen Raritäten aufbewahrt werden sollte. So erklärte der Generalsuperintendent Röhr in einem die zeitherige Ruhestätte Schiller’s, das Cassengewölbe, betreffenden Aktenstücke unter anderm: „Ob und was mit der Schiller’schen Leiche geschehen ist, davon weiß ich als Oberpfarrer und Superintendent hiesiger Stadt officiell bis auf diesen Tag (October 1826) – nichts. Nur von der Schädel-Ceremonie auf der Bibliothek habe ich in öffentlichen Blättern gelesen, und mich in Leipzig in einer großen Gesellschaft geistreicher Männer fragen lassen müssen: „Wie das gesittete Weimar mit seinen großen Geistern so huronenmäßig verfahren könne?“ Ich hatte darauf keine Antwort, konnte aber die Frage nicht unangemessen finden.“

Den Beweis, wie entgegengesetzt seine Bemühungen zur Auffindung von Schiller’s Schädel beurtheilt wurFetter Textden, erfuhr mein Vater an seiner Person dadurch, daß ihm vom Oberconsistorium ein gemessener Verweis zuging, während ihm der Großherzog Karl August im October desselben Jahres seinen Hausorden verlieh.


III.

In Goethe war indeß der Gedanke lebendig geworden, zu dem aufgefundenen Schädel auch die übrigen noch vorhandenen Ueberreste Schiller’s der Vernichtung zu entziehen. Als guter Osteolog wußte er, daß es möglich ist, aus einem Haufen menschlicher Gebeine die zusammengehörigen herauszufinden.

Bereits einige Tage nach der Feier der Niederlegung von Schiller’s Schädel auf der Bibliothek ließ er den Prosector an der anatomischen Anstalt, Dr. Schröter, und den Museumschreiber Färber, welcher Letztere früher Schiller’s Diener gewesen war, von Jena nach Weimar kommen, um von ihnen die Aufsuchung von Schiller’s Gebeinen vornehmen zu lassen. Diese beiden Männer begaben sich mit dem Schädel in die Gruft des Cassengewölbes, und es gelang ihnen bald, das zu dem Schädel gehörige Knochengerüst, wenn auch nicht ganz vollständig, doch nur mit Ausnahme weniger Theile des Skelets, aufzufinden und zusammen zu fügen. Unter dem 30. September 1826 überreichten sie das schriftliche Verzeichniß der aufgefundenen und der fehlenden Theile.

Goethe war über die glückliche Erreichung seiner Absicht sehr erfreut.

Die aufgefundenen Ueberreste Schiller’s wurden in einen blau ausgeschlagenen Sarg gelegt, und blieben auf der Bibliothek in Verwahrung. Der Schädel kam wieder in das Fußgestell der Dannecker’schen Büste.

Indem ich mich dem Schluß dieses Aufsatzes nahe, erfaßt mich ein schmerzliches Bedauern, welches gewiß auch die meisten meiner Leser theilen werden, daß das, was ich nun noch mitzutheilen habe, nur eine herrliche Idee blieb, ohne, wie so vieles Schöne im Leben, zur Ausführung zu kommen.

Wenige Monate nach den eben geschilderten Vorgängen erließ der Großherzog Karl August folgendes merkwürdige Rescript an die Landesdirection:

„An die Landesdirection zu Weimar.

Wir Karl August, Großherzog etc. etc.

Es ist Uns der Gedanke und Vorschlag hinterbracht worden, daß für Unsern wirklichen Geh. Rath und Staatsminister von Goethe, Ezcellenz, und für den verstorbenen Hofrath von Schiller ein Denkmal errichtet werden möge, in welchem die irdischen Ueberreste des Letzteren und dereinst auch des Ersteren beigesetzt werden könnten, daß hierzu aber ein mehr geeigneter Platz nicht aufzufinden sei, als der obere Theil des an den neuen Gottesacker vor dem Frauenthor stoßenden, dem hiesigen Stadtrath eigenthümlich zustehenden Grundstückes, welches ohnehin früher oder später zu dem nicht hinlänglich geräumigen Gottesacker beizuziehen sein würde. Da Wir der Ausführung eines solchen Gedankens nicht entgegen sein wollen, so weisen Wir Unsere Landesdirection gnädigst an, jenes zu einer Centralbaumschule eingerichtete Grundstück dem hiesigen Stadtrath zurückzugeben und das dafür bisher aus dem Polizeifonds gezahlte Pachtgeld wieder einzuziehen, damit der erforderliche Platz zu jenem Denkmal davon abgetreten, der übrige Theil künftig, so weit nöthig, zu dem Gottesacker mit gezogen werden könne.

Es wird hiernach darauf Bedacht genommen werden müssen, die Baumschule, deren gegenwärtige, durch die Thätigkeit und Einsicht des Sccretairs Wangemann bewirkte gute Verfassung Uns angerühmt worden, auf einen andern Platz zu versetzen, und Wir sind nicht abgeneigt, hierzu selbst die Hand zu bieten, wenn sich unter den von Unserer Disposition abhängenden Grundstücken ein dazu passendes vorfindet, welches entbehrt werden kann.

Wir glauben übrigens erwarten zu dürfen, daß der Stadtrath mit Rücksicht auf den Zweck der Verwendung für den zur Errichtung des Denkmals zu überlassenden Theil jenes Grundstückes um so weniger eine Entschädigung in Anspruch nehmen werde, als Wir dagegen die Kapelle der auf dem Gottesacker erbauten Fürstengruft zu dem Gebrauch bei städtischen Leichenbegängnissen eingeräumt, und der Stadt dadurch einen außerdem nicht zu vermeidenden, beträchtlichen Aufwand erspart haben.

Daran geschieht Unser Wille etc. etc.
Weimar, den 6. Februar 1827.

Karl August, 

Großherzog zu Sachsen.

C. W. Frhr. v. Fritsch.“

Dieses höchste Reskript wurde von der Landesdirection dem Stadtrathe zu Weimar abschriftlich zugefertigt. Mein Vater, als Vorsitzender des letzteren, hielt in voller Rathsversammlung darüber Vortrag, und sprach dann in einem Berichte vom 8. März 1827

die freudige Bereitwilligkeit der Väter der Stadt aus, auf die landesfürstlichen

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