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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Ich bin kein Kind, das man mit altem Frauengeschwätze zu belehren braucht.“

Schon im nächsten Augenblicke bereute der Hofrath das harte Wort, wodurch sich seine Frau tief verletzt fühlen mußte, da ihr das Andenken an ihre verstorbene Mutter, eine der trefflichsten Frauen, besonders heilig war. Ohne ein Wort zu erwidern, wandte sie sich ab, um ihm ihre Thränen zu verbergen. Zum ersten Male in ihrer fünfundzwanzigjährigen Ehe drohte ein ernstliches Zerwürfniß dem bisher so glücklichen Paare.

Der Hofrath sah sein Unrecht ein und bat um Vergebung, aber ähnliche Scenen wiederholten sich jetzt öfters, da er nach und nach sich daran gewöhnte, jeden Abend auf der Ressource zuzubringen, häufig dort länger blieb, als er versprochen, und die Seinigen dann warten ließ. So war er mit der Zeit ein Gast in dem eigenen Hause geworden, da ihn sein Amt am Tage in Anspruch nahm. – Das Spiel selbst hatte einen eigenen Reiz für ihn gewonnen, obgleich er nach wie vor die Partie nur zu einem halben Groschen spielte, sodaß der bloße Gewinn, der meist unbedeutend war, ihn nicht verführen konnte. Es war mehr die Macht der Gewohnheit, die ihn beherrschte, als die dämonische Verlockung des Kartenteufels. Sobald es dunkel wurde, gerieth er in eine Unruhe; es litt ihn nicht mehr zu Hause, er mußte nach der Ressource gehen, wo er seine alten Bekannten schon versammelt fand. Zuletzt wurde es die Frau müde, ihn durch ihre freundlichen oder ernsten Reden zurückzuhalten; sie hatte sich bereits in ihr Schicksal gefunden. Nur zuweilen gab sie, wie an diesem Abende, ihm sanft ihre Mißbilligung zu erkennen, wodurch die vorherrschende Verstimmung nur noch gesteigert wurde.

Die Hofräthin suchte und fand ihren Trost bei ihren wohlgerathenen Kindern. Lina hatte sich mit dem jungen Laurenberg versprochen und war die glücklichste Braut, während der talentvolle Sohn sich zu seinem Examen vorbereitete und durch seinen Fleiß zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. An all’ diesen Vorgängen nahm jedoch der Vater nur einen vorübergehenden Antheil, und es schmerzte sie jetzt doppelt, daß er sich immermehr der Familie entfremdete und das schöne Band der Häuslichkeit durch seine Schuld gelockert wurde. Kaum daß er sich die Zeit gönnte, flüchtig die Seinigen zu begrüßen; selten oder nie kam er dazu, sich mit ihnen auszusprechen, und wenn die Hofräthin mit ihm über die Ausstattung der Tochter und über andere häusliche Gegenstände reden wollte, zeigte er nur ein geringes Interesse, da er seine Partie nicht im Stiche lassen wollte. Auch den Kindern war der Vater nach und nach fremder geworden, da sie ihn nur selten noch zu Gesicht bekamen; sie schlossen sich nun um so inniger an die Mutter an und erhöhten dadurch nur seine üble Laune.

In solcher Verstimmung war er auch heut’ auf die Ressource gegangen, wo er sich wieder zu zersteuen hoffte. Hastig griff er zu den Karten, welche hartnäckig für ihn so schlecht fielen, daß er fast die Geduld darüber verlor. Der Einsatz war an sich zu unbedeutend, als daß er deswegen sich betrüben durfte, aber der Hofrath war im Ganzen auf Sparsamkeit angewiesen, da sein nicht eben allzu hoher Gehalt gerade hinreichte, um ihn mit seiner Familie anständig durchzubringen. Eine gewisse Genauigkeit war ihm zur zweiten Natur geworden; selbst der kleinste Gewinn freute ihn, während der geringste Verlust ihn schon in Aufregung versetzte. Wie die meisten Spieler ärgerte er sich jedoch weit mehr über sein fortwährendes Mißgeschick, als über die kleine Summe, die er verlor. Auch nicht eine Partie zu gewinnen, war ihm unangenehm; er wurde immer reizbarer, bis er zuletzt in förmliche Wuth über sein heutiges Unglück gerieth. Wer aber den Schaden hat, darf für Spott nicht sorgen; der reiche Laurenberg hatte die üble Gewohnheit, seine Mitspieler bei solchen Gelegenheiten aufzuziehen. Er neckte sich gern, und je verdrießlicher der Hofrath wurde, desto mehr setzte ihm jener mit seinen schlechten Witzen und Spöttereien zu, indem er ihn bald einen „Pechvogel“, bald einen „Pfennigfuchser“ nannte und sich über seine verzweifelten Gesichter halb todt lachen wollte.

Nur mit Mühe hielt Steinert noch an sich; lediglich die Gegenwart des Ministerialdirektors und die Rücksicht auf die verwandtschaftliche Beziehung zu dem wohlhabenden Kaufmanne legte ihm einigen Zwang auf. In seinem Aerger spielte er jetzt so zerstreut, daß er Fehler auf Fehler häufte und dadurch seinen Vorgesetzten, dessen Partner er im Whist war, mit in seinen Verlust zog. Dieser ließ es nicht an Ermahnungen und, als die nicht halfen, an Vorwürfen fehlen, wodurch der Hofrath immer mehr die Besinnung verlor. Das Blut war ihm zu Kopf gestiegen, sein Gesicht glühte, der Schweiß stand in großen Tropfen ans seiner Stirn, und vor Wuth zitterten die Karten in seinen Händen. Unglücklicherweise fand Herr Laurenberg diesen Anblick so komisch, daß er in ein lautes Gelächter ausbrach.

Da sprang der Hofrath wüthend von seinem Stuhle auf und warf mit einem wilden Fluch die Karten so heftig auf den Tisch, daß sie dem Kaufmann in’s Gesicht flogen. Das gab nun einen heftigen Auftritt: der eitle, geldstolze Laurenberg war nicht zu beruhigen, der Ministerialdirector nahm seine Partei, ein Wort gab das andere und es fielen solche Beleidigungen vor, daß die früheren Freunde heut’ als die erbittertsten Feinde schieden. Am andern Tage erhielt der Hofrath einen vollkommenen Absagebrief von Herrn Laurenberg; die Verbindung seines Sohnes mit Lina wurde förmlich aufgelöst und für nichtig erklärt. Die jungen Leute waren recht unglücklich, da sie sich wahrhaft liebten, am unglücklichsten aber fühlte sich die arme Frau, deren schönste Hoffnungen durch die Schuld des Mannes vernichtet wurden. Da gab es in der sonst so beneideten Familie nur betrübte Gesichter, verweinte Augen und stille Vorwürfe.

Nun hielt es Steinert erst recht nicht in seinem Hause aus; sobald er nur konnte, stahl er sich fort und ging in die Ressource. Wie es häufig zu geschehen pflegt, gesellte sich zu dem Unrecht noch der Trotz; er wollte der Welt zeigen, daß er der Mann sei, um sich nichts gefallen zu lassen.

Bald hatte er statt der früheren Partie eine andere gefunden, wenn ihm auch seine Mitspieler nicht so ganz zusagten. Der Eine war ein pensionirter Hauptmann, so zu sagen mit allen Hunden gehetzt; der Andere ein praktischer Arzt, aber ohne Patienten, der jedoch mit einem außerordentlichen Glücke und mit großer Geschicklichkeit spielte, sodaß er meist so viel und noch mehr gewann, als er zum Leben brauchte; weshalb er in der ganzen Stadt nur unter dem Namen „der Kartendoctor“ bekannt war. Diesen Herren war es weniger um eine Zerstreuung, als um einen recht ansehnlichen Gewinn zu thun, weshalb sie gewöhnlich nur um einen hohen Einsatz spielten. Da der Hofrath keine andere Partie fand, so mußte er sich schon entschließen, an dem Tische, wo der Doctor und der Hauptmann saßen, Platz zu nehmen. Allerdings erschrak er nicht wenig, als die Herren ihm sagten, daß sie das Point mit fünf Groschen zu bezahlen pflegten; aber er konnte füglich nicht zurücktreten, ohne sich zu blamiren.

Im Anfange war das Glück ihm günstig; er gewann recht ansehnlich und war daher meist in der besten Laune. Nur wenn er zufällig nach dem Tisch hinüberschielte, wo Herr Laurenberg und der Ministerialdirector wie gewöhnlich saßen, gab es ihm immer einen Stich durch’s Herz. Der Letztere stand einmal, als der Hofrath sich umwandte, plötzlich hinter dessen Stuhl und drückte durch seine Gebehrden, wie es schien, deutlich seine Mißbilligung über das hohe Spiel aus. Auch die frühere Eingabe Steinert’s, worin derselbe um eine Gehaltserhöhung gebeten, erhielt er jetzt mit der Bemerkung zurück, daß kein Grund vorhanden sei, auf sein Gesuch einzugehen. Die ganze Fassung der abschlägigen Antwort verrieth eine gewisse Animosität, welche die Hand eines übelwollenden Vorgesetzten nicht verkennen ließ. Zu diesen Kränkungen gesellten sich noch mit der Zeit so erhebliche Verluste im Spiel, daß der Hofrath bei seinem beschränkten Einkommen sie kaum ertragen konnte; er mußte oft zehn bis zwanzig Thaler an einem Abende zahlen, und diese unangenehmen Ausgaben wiederholten sich, öfters in der Woche. In demselben Maße aber, wie er verlor, stieg auch seine Leidenschaft und der Wunsch, das eingebüßte Geld wieder zu gewinnen, obgleich, wie gewöhnlich, der entgegengesetzte Fall auch hier eintrat. Sein Gehalt reichte nicht mehr aus, um seine Spielschulden zu bestreiten, und zuletzt sah er sich genöthigt, seine Ersparnisse anzugreifen, aber auch mit diesen war er nicht glücklicher. Ein schadenfroher Dämon schien ihn zu verfolgen und alle seine Anstrengungen zu verspotten. Dies Treiben konnte natürlich der Hofräthin nicht verborgen bleiben; sie ermahnte, bat und warnte den schwachen Mann fast fußfällig, aber so oft er auch Besserung gelobte, er konnte nicht mehr von der Ressource und von seiner Partie lassen. In der größten Geldverlegenheit dachte Steinert nur daran, sich die Mittel zur Befriedigung seiner Leidenschaft zu verschaffen; er kannte keine Rücksicht mehr, Alles, selbst die Stimme der Pflicht und Ehre, war ihm gleichgültig geworden. Als er eines Tages in seinem leeren Schreibsecretair vergebens nach Geld suchte, fiel sein

Blick auf ein versiegeltes Päckchen, das er nur mit einer Mischung

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