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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

geredet, die erst nachließ, als der Capitain die auf den Fähnrich Bezug habende Frage beantwortete.

„Der Fähnrich v. B,“ entgegnete der Hauptmann, „ist ein durchaus tüchtiger Soldat und wird einst der Officier-Uniform gewiß keine Schande machen.“

„Dann wollen wir sie ihm heute auch noch anziehen,“ sagte der Oberst lachend, und indem er sich mit einer gewissen Feierlichkeit nach dem Fähnrich zurückwandte und dabei salutirend die rechte Hand an den Federhut legte, sagte er: „Seine Majestät haben die Allerhöchste Gnade gehabt, Sie zum Lieutenant zu ernennen. Reiten Sie nach Hause, ziehen Sie die Uniform Ihres Grades an und beeilen Sie sich, sich dem Officier-Corps als neuer Camerad vorzustellen. Nehmen Sie meine Glückwünsche mit auf den Weg.“

Während der Glückliche im Galopp nach seinem Quartier jagte, um den Fähnrich auszuziehen und in die längst bereit gehaltene Officier-Uniform zu fahren, vollendete der Oberst die Ocular-Inspection seiner Lieblingswaffe, der reitenden Artillerie. Die Bewegungen, welche er ausführen ließ, beurtheilte er haarscharf und bis in die kleinsten Details, wobei er namentlich die Führung der Züge der schonungslosesten Kritik unterwarf. Die gespannteste Aufmerksamkeit konnte die Herren Officiere gegen die Rügen des sachkundigen Vorgesetzten nicht immer schützen. Dabei übersah derselbe aber auch die Fehler der Unterofficiere und Kanoniere nicht. Ein Stangenreiter, der bei den Kehrtwendungen das Handpferd nicht stark genug anziehen ließ, mußte absitzen und den Kantschu und das Scheuerleder, welches die Stangenreiter um den rechten Fuß tragen, um das Bein gegen die Reibung und die Stöße der Deichsel zu schützen, an ihn abgeben. Damit ausgerüstet bestieg der Oberst das Stangensattelpferd, ließ die getadelte Bewegung wiederholen und lenkte das Geschütz zur Instruction des Fahrers durch mehrere Minuten, wobei es freilich diverse „Millionenhunde“ regnete und der dicke Kantschu das Haupt des Unachtsamen vielfach bedrohte. Es war kein gewöhnlicher Anblick, den alten Herrn mit den schweren Epaulettes und dem schwankenden Federhut als Fahrer agiren zu sehen.

Die anstrengenden Exercitien wurden durch mehrere Stunden und bis zur vollständigen Ermüdung der Leute und Pferde fortgesetzt. Endlich schien der Oberst das Bedürfniß der Restauration an sich selbst zu fühlen. Er winkte die Ordonnanz heran und ließ sich die bekannte Flasche reichen.

„Lassen Sie Kehrt machen, Major B.,“ befahl er.

Nachdem diese Bewegung ausgeführt war und bevor er die Flasche an den Mund setzte, rief er mit seiner Donnerstimme, die auf der ganzen Front deutlich vernommen wurde: „Der Millionenkerl, der sich umsieht, dem drehe ich den Hals um!“ Er sog die Flüssigkeit mit langen Zügen ein, wobei seine Augen forschend über die lange Linie der Batterie glitten, um zu erspähen, ob es Jemand Wagen würde, sich gegen seinen Befehl nach ihm umzusehen.

„So, Herr Major, nun lassen Sie Front machen und dann rühren, damit die Leute frühstücken können.“

Die Inspicirung war hier zu Ende. Während die reitenden Artilleristen einen heftigen Angriff auf die vollen Körbe der zahlreichen Marketenderinnen machten, begab sich der Oberst nach der Aufstellung der drei zwölfpfündigen Batterien. Dieselben waren auf 1600 Schritt von der Scheibe, welche die Breite einer Bataillonsfront hatte, aufgestellt. Nach einer kurzen Besichtigung der zu einer Abtheilung zusammengezogenen achtzehn Geschütze stellte sich der Alte an dem rechten Flügel derselben auf, wo er weniger von dem Pulverdampfe belästigt wurde, der in dichten Wolken vor den Geschützen lagerte. Die Abtheilung feuerte mit einer seltnen Sicherheit. Schuß auf Schuß traf das Ziel, und nur selten setzte eine Kugel im flachen Bogen über die Scheibe hinweg. Als die durch Brigadebefehl festgestellten Schüsse auf dieser Distance abgegeben waren, ging die Abtheilung einige hundert Schritt vor und richtete ein lebhaftes directes Feuer gegen die Scheibe. Auch von hier aus wurde gut geschossen, so daß sich die Zufriedenheit des Alten mit jedem Schusse erhöhte. Man ging zuletzt in noch näherer Entfernung zum Kartätschenfeuer über, dessen Wirksamkeit sich aus den vielen Holzsplittern abnehmen ließ, welche die streifenden Kugeln von der Kugelwand losrissen. Als nach Beendigung dieses Schießens die Bedienungsmannschaften der Geschütze an die Scheibe geführt wurden, um ihnen das Resultat ihres heutigen Schießens zu zeigen, sprach der Oberst seine volle Zufriedenheit gegen die Officiere und Leute aus. Er schloß mit dem Befehle: die Fahrer mit den Pferden in die Quartiere zu entlassen, den übrigen Theil der Mannschaft nach der Parkwache zu führen, wo er denselben nach Schluß der heutigen Uebungen noch einen seltenen Vogel zu zeigen habe.

„Und nun wollen wir frühstücken. Herr Major, Sie sind mein Gast,“ sagte er zu dem Officier, der die Zwölfpfünder commandirt hatte. Und sich an mich wendend, setzte er hinzu: „Lassen Sie auskramen, was wir bei der Sorte haben. Die Sonne zeigt stark auf Mittag und mein Magen hängt gewaltig schief. Jener Faschinenhaufen kann als Tisch dienen.“

Die Ordonnanz schleppte eine Ledertasche herbei, deren Umfang die angenehme Vermuthung zuließ, daß sie einen reichlichen Vorrath an Speise und Trank enthalte. Wir öffneten dieselbe mit großer Eilfertigkeit, wobei ich meiner Galopinwürde nichts zu vergeben glaubte, wenn ich dabei hülfreiche Hand leistete.

Zuerst förderte ich einige saubere Damast Servietten, Gabel und Messer in mehreren Paaren, einige Weingläser, drei gekapselte Flaschen Bordeaux und eine Flasche Rum an’s Tageslicht, darauf folgte kaltes Geflügel, Sauerbraten, Schinken, Käse, Butter, Brod und mehrere Sorten Kuchen. Mit solchen Vorräthen ließ sich schon ein Tisch serviren. Ich ließ den Faschinenhaufen mit den Damasttüchern bedecken, deren Zipfel mit zehnpfündigen Granaten belastet wurden, die uns zahlreich zur Hand lagen. Zwischen diese richtete ich symmetrisch die Flaschen und Gläser ein und postirte zuletzt die genannten Speisen mit der möglichsten Koketterie auf die improvisirte Tafel. Endlich ließ ich noch zwei leere Pulvertonnen heranrollen, welche als Sessel dienen sollten, worauf ich melden konnte, daß angerichtet sei.

„Sieh, wie niedlich der Blitzjunge unser Frühstück arrangirt hat!“ bemerkte der Alte in der besten Laune. „Ich glaube, das Kind hat einige Talente.“

Dies unverdiente Lob, welches der Oberst mir spendete, konnte nicht den Appetit unterdrücken, mit welchem mein siebzehnjähriger Magen nach einem so langen Fasten nach leiblicher Nahrung verlangte.

„Na, treten Sie man auch heran,“ sagte der Alte in der freundlichsten Weise, nachdem er seinem Gaste vorgelegt hatte. „Bringen Sie für sich einen Teller und ein Glas her und langen Sie ungenirt zu. Schneiden Sie aber zuvor für die Ordonnanz ein tüchtiges Stück Brod ab, belegen Sie es mit einer doppelten Lage Schinken und schenken Sie ihr dazu aus der Rumflasche einen vollen Humpen ein, denn der arme Kerl ist gewiß so hungrig, daß er Kartätschen verschlingen und Schanzkörbe anfressen möchte.“

Ich entledigte mich schnell dieses Auftrages und versäumte es dann nicht, meinen Teller mit den verschiedenen Fleischsorten reichlich zu bepacken.

„Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew’ger Bund zu flechten,
Und das Unglück schreitet schnell.“

Ich hatte mich kaum in aller Bescheidenheit aus der Nähe der beiden Officiere zurückgezogen, um die mächtige Collation, die ich mir vorgelegt, mit Ruhe und Gemüthlichkeit zu verzehren, als der Oberst von seinem Sitze aufsprang, nach der in unserer Nähe befindlichen Demontir-Batterie hinzeigte und mit Zorn und Aerger in der Stimme ausrief: „Ist das nicht zum Verrücktwerden? die verdammte Batterie trifft ja mit keinem einzigen Schuß das Polygon. Sehen Sie, Herr Major, schon wieder drüber weg, und wieder und wieder. Sind denn da lauter blinde Maulwürfe bei den Geschützen?“

Und sich an mich wendend, befahl er: „Reiten Sie schnell nach der Demontir-Batterie, die der Capitain F. mit seiner Compagnie besetzt hat, und sagen Sie demselben, ich ließe fragen, ob er glaube, daß die Munition, die er nutzlos verschwende, dem Könige kein Geld koste. Wenn seine Leute nicht richten könnten, so würde ich gleich zur Stelle sein, um sie und ihn ein Bischen auf meine Manier zu unterrichten.“

Ich schob noch schnell einen Rebhuhnflügel in den Mund, empfahl der Ordonnanz, auf meinen Teller Acht zu haben, sprang auf mein Pferd und jagte der unseligen Batterie zu.

Den Auftrag des Obersten richtete ich wörtlich aus. Der Capitain F., eine kleine untersetzte Figur mit tückischen Augen, sah mich wüthend an, als er entgegnete: „Sagen Sie dem Herrn Oberst, daß ich der Meinung sei, daß eine gute und genaue Richtung noch nicht immer einen Treffer bedingt. Den in Aussicht gestellten Unterricht im Richten würde ich mit pflichtmäßiger Achtung entgegennehmen. Dies meine Antwort!“

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