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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Verehrer Schiller’s; es widerstrebte seinem Gefühl, daß den großen Dichter Männer zur Ruhe tragen sollten, die, so brav und wohlmeinend sie sein mochten, doch wenig oder keine Ahnung von dem Werthe des Dahingeschiedenen hatten. Sie wollten nur den „Herrn Hofrath von Schiller“ begraben, während Deutschland einen seiner größten und geliebtesten Söhne beweinte.

Mein Vater begab sich sofort in das Schiller’sche Haus und ließ die Frau v. Schiller, der er genau bekannt war, bitten, sie einen Augenblick sprechen zu dürfen, wurde jedoch nicht vorgelassen, auch als er wiederholt darum bat, mit dem Zusatze, daß sein Anliegen die Beerdigung ihres Gatten betreffe. Frau v. Schiller ließ ihm sagen, er möge sich an den Consistorialrath Günther wenden, welchem sie alle Anordnungen übertragen habe. Zu diesem eilte nun mein Vater; er eilte, denn die Zeit drängte, da die Beerdigung schon in sechs bis sieben Stunden vor sich gehen sollte.

„Frau v. Schiller hat mich zu Ihnen gewiesen, als ihrem Bevollmächtigten,“ redete er den geistlichen Herrn an. „So eben von einer Reise zurückgekehrt, höre ich, daß Schiller diese Nacht von Handwerkern zu Grabe getragen werden soll. Gestatten Sie, daß ich dieses heilige Geschäft mit mehreren meiner Freunde vollziehe.“

„Ja, lieber Freund,“ entgegnete Günther trocken, „dazu ist es nun zu spät. Ich habe bereits alle Anordnungen getroffen; die Handwerker, welche die Leiche tragen sollen, sind schon bestellt; daran läßt sich jetzt nichts mehr ändern. Wenn Sie bei Frau von Schiller waren, werden Sie auch erfahren haben, daß die Beerdigung in größter Stille vor sich gehen soll. Sie und Ihre Freunde können ja Ihre Theilnahme an dem Tode des verehrten Mannes bei der „Collecte“, die morgen Nachmittag drei Uhr gehalten werden wird, an den Tag legen.“

„Verzeihen Sie, wenn ich jetzt nichts von der Collecte hören mag, jetzt, wo die Stunde so nahe bevorsteht, in welcher Schiller zu seiner letzten Ruhestätte getragen werden soll. Diese heilige Handlung geht mir näher zu Herzen, als Ihre Collecte. Wollen Sie die Leiche eines Schiller von Leuten tragen lassen, die es vielleicht kaum vom Hörensagen wissen, daß es die Hülle unseres größten Dichters ist, die auf ihren Schultern ruht – während doch eine Anzahl inniger Verehrer des großen Mannes sich erbieten, ihm diese letzte Ehre zu erweisen?“

„Mein junger Freund,“ versetzte Günther, „Ihr Anerbieten verdient allerdings alle Anerkennung; aber, wie gesagt, es ist zu spät, und ich muß bedauern, Ihnen Ihre Bitte abschlagen zu müssen.“

„Herr Consistorialrath,“ sagte mein Vater, immer dringender werdend, „bedenken Sie, was Sie thun, bedenken Sie, was jetzt in Ihre Hand gegeben ist! Verharren Sie nicht bei Ihrer Weigerung, durch welche Sie eine Schmach auf sich, auf Weimar, auf Deutschland laden würden. Was wird man davon sagen, wenn man hört, daß der edelste Dichter, der Liebling der deutschen Nation, von bezahlten, gleichgültigen Leuten zu Grabe getragen worden ist?“

Das schien denn doch Eindruck auf Günther zu machen, und als mein Vater versprach, daß die größte Stille beobachtet werden sollte, auch, daß er für die Bezahlung der bereits bestellten Träger einzustehen sich verbindlich mache, da schienen die engherzigen Bedenklichkeiten Günthers zu schwinden, und er erkundigte sich nur noch, wer denn eigentlich die Männer seien, welche die Leiche tragen wollten.

Mein Vater stand einen Augenblick betroffen, da er für den Moment außer seiner eigenen Person noch Niemanden namentlich nennen konnte. Doch versicherte er, unter seinen Freunden seien Viele, welche gleicher Gesinnung mit ihm seien, und in wenigen Stunden werde er ein Verzeichniß derselben vorlegen.

Günther gab seine Einwilligung und die Handwerker wurden abbestellt.

Mein Vater eilte nun in der Stadt umher und suchte diejenigen unter seinen Bekannten auf, von denen er voraussetzen durfte, daß sie gern seinem Rufe Folge leisten würden. Am Abend ließ er denjenigen, die er nicht angetroffen hatte, ein Circular vorlegen, dessen Original mit den Unterschriften noch in meinen Händen ist.

In der Nacht halb ein Uhr kamen zwanzig junge Männer, theils Staatsdiener, theils Gelehrte und Künstler, in der Wohnung meines Vaters zusammen. Alle waren schwarz gekleidet, mit den damals üblichen Trauerhüten, Flören und Mänteln, für die mein Vater gesorgt hatte, versehen. Ernst und schweigend begaben sie sich nach dem Schiller’schen Hause, wo im Treppenflur der einfache, aber mit Kränzen reich behangene Sarg mit der Hülle des Dichters stand, von zwei daneben gestellten, trüben Kerzen matt beleuchtet. Weinen und Schluchzen klang dumpf durch die verschlossene Thüre eines nahen Zimmers. Geräuschlos traten sie ein, acht von ihnen nahmen die theure Bürde auf die Schultern, und im tiefsten Schweigen bewegte sich der kleine Zug, von zwei Laternen geleitet, durch die völlig menschenleeren Straßen nach dem in der Stadt gelegenen Jacobskirchhof. Kein feierliches Glockengeläute ertönte und keine Trauermusik, nicht einmal ein Geistlicher begleitete die Leiche; aber eine um so feierlichere, tief wehmüthige Stimmung erfüllte die Herzen der Träger und machte sich bei den meisten von ihnen in warmen Thränen Luft. Graue zerrissene Wolken jagten am Himmel hin, den vollen Mond bald länger verhüllend, bald seinen Strahlen auf Augenblicke sich öffnend, so daß der Zug sich bald in tiefem Dunkel, bald in jähem Wechsel von taghellem Lichte übergossen dahin bewegte. – Der Letzte der Leidtragenden, Registrator Irrgang, starb erst vor wenigen Jahren.

Auf dem Kirchhofe angekommen, setzte man den Sarg vor dem gleich rechts vom Eingange befindlichen sogenannten Cassengewölbe nieder, dessen unterirdische Räume den großen Todten aufnehmen sollten. Man nahm das Bahrtuch vom Sarge hinweg, und in demselben Augenblicke trat der schon längere Zeit von Wolken verhüllte Mond aus diesen hervor und beschien mit seinem sanften klaren Lichte auf einige Augenblicke den blumengeschmückten Sarg, nach diesem Abschiedsgruß sich wieder hinter dunkeln Wolken verbergend.

Der Sarg wurde wieder aufgehoben, in das kleine Gewölbe getragen und da durch eine Fallthür von den Todtengräbern in die Gruft hinabgelassen. Mit jenem eigenthümlich schauerlichen Rasseln wurden die Seile unter dem Sarge hinweg wieder herauf gezogen, die Fallthüre niedergelassen und die äußere Thüre des Gewölbes verschlossen. Schweigend wollten die Männer des Trauergeleites sich eben vom Kirchhofe entfernen, als ein die tiefe Stille unterbrechendes lautes Schluchzen ihre Aufmerksamkeit auf eine hohe männliche, in einen Mantel verhüllte Gestalt lenkte, die zwischen den Grabhügeln umherschwankte. Es war dies der Schwager Schiller’s, Herr von Wolzogen, der die Botschaft von Schiller’s Tode in Naumburg erhalten hatte. Er war sofort nach Weimar geeilt und kam gerade noch zur rechten Zeit an, um dem vom Trauerhaus bereits abgegangenen Leichenzuge dicht vor dem Kirchhofe sich noch anzuschließen. Die im Publicum stets lebendige Sucht nach abenteuerlichen, seltsamen Dingen hatte sofort herausgefunden, jene verhüllte Gestalt sei Goethe gewesen, der, obgleich selbst krank, es sich nicht habe versagen können, der Beerdigung seines Freundes beizuwohnen; Andere wollten sogar wissen, es sei der Herzog Karl August gewesen.

Goethe war damals schon längere Zeit körperlich sehr leidend. Ein schmerzhaftes und nicht ungefährliches Uebel, eine Nierenkolik hielt ihn mehrere Tage an’s Bett und wochenlang an’s Zimmer gefesselt. Mit dem ebenfalls kranken Freunde konnte er nur schriftlich, durch kurze Billets, verkehren. Sein Leiden war bereits im Abnehmen begriffen, während sich Schiller’s Krankheit immer gefährlicher gestaltete. Vom 24. April an hörte jener Briefwechsel auf, der eine so große Zierde unserer Literatur geworden ist und von der innigen Freundschaft der beiden großen Männer so erhebendes Zeugniß ablegt. Aus Schiller’s Schweigen und aus den zurückhaltenden Aeußerungen seiner Umgebung merkte Goethe recht wohl, daß er das Schmerzlichste, was ihm damals begegnen konnte, den Verlust des geliebten Freundes, zu fürchten habe. Man hörte ihn Nachts im Bette weinen. Voß, der Sohn des bekannten Dichters, damals Professor in Weimar und Schiller’s wie Goethe's Hausfreund, besuchte Goethen, als dieser den ersten, kurzen Gang in’s Freie in seinem Hausgarten wagte. Er fand ihn langsam und mit thränenerfüllten Augen zwischen den Beeten umher wandelnd. „Lebt Schiller noch?“ war seine erste bange Frage an Voß. „Noch lebt er!“ lautete die mit unsicherer Stimme gegebene, nichts Gutes verheißende Antwort. Goethe bedeckte das Gesicht mit der einen Hand, mit der andern winkte er Voß schweigend, ihn zu verlassen.

Als die Kunde von Schiller’s stillem, schmucklosem Leichenbegängniß die Runde durch die Welt machte, war man schnell mit harten, lieblosen Urtheilen darüber bei der Hand, die besonders

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