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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Schiller’s Bedeutung für das deutsche Volk.

Ein heiliges Feuer hat alle deutsche Herzen bei der Erinnerung an das hundertjährige Geburtsfest des berühmten Dichters entzündet; nicht eine Stadt, sondern alle Städte, nicht ein Stamm, sondern alle Stämme des sonst vielfach gespaltenen Vaterlandes rüsten sich zur gemeinsamen Feier des unsterblichen Sängers. Die so heiß ersehnte Einheit scheint plötzlich vom Himmel herabgestiegen und über Nacht herrlich aufgeblüht zu sein. Wie um eine heilige Fahne schaart sich das deutsche Volk um das Standbild seines großen Todten.

Welch’ ein Wunder ist geschehen? Woher diese flammende Begeisterung der ganzen Nation?

Andere Dichter haben vor und mit Schiller gelebt, deren Werke nicht minder den Stempel der Unsterblichkeit an sich tragen, deren Schöpfungen uns entzücken und Bewunderung erregen, die sich würdig ihm zur Seite stellen dürfen. Nicht fehlt es unserem Vaterlande an tapferen Helden, großen Männern, deren Verdienste wir freudig anerkennen, deren Thaten die Geschichte preisend aufbewahrt. Aber Keiner von ihnen hat in dem Maße die Liebe seines Volkes sich errungen, die heute Schiller’s Stirn wie Strahlenglorie umgibt und schmückt.

Wodurch hat Er diese Liebe sich erworben; wodurch eine solche Verehrung von uns verdient?

Weil Schiller wie kein Anderer sein Volk geachtet und geliebt, darum liebt es auch ihn wie keinen Anderen; weil er für sein Volk gedichtet und gelebt, darum ist auch er vor Allen der Dichter seines Volkes. In ihm hat sich der deutsche Genius am reinsten offenbart; seine hohe Dichterseele spiegelt, wie der Silberquell das goldene Licht der Sonne, das Höchste und das Beste wieder, was dem Deutschen theuer und eigen ist: die Begeisterung für die Freiheit, die Achtung für Menschenwürde, die Liebe zum Vaterlande, das glühende Streben nach Wahrheit und Erkenntniß, verbunden mit der erhabensten Sittlichkeit. Darum wird Schiller von seiner Nation wie kein anderer Dichter heut’ gefeiert; darum sind seine Werke in jeder Hand. Jung und Alt, Vornehm und Gering, der König auf seinem Thron wie der Handwerker bei der Arbeit, der Hochgebildete wie der Bildungsbedürftige kennen seine Lieder und schöpfen aus ihnen Hoffnung und Trost, Muth und Begeisterung. Von den Bergen, wo die Freiheit wohnt, schallen sie herab zum stillen Thal und wecken das Echo in der Menschenbrust. Beim fröhlichen Mahl und hellem Gläserklang tönt das Lied der Freude:

Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder – überm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen.

Rascher pocht das Herz des Knaben, wenn er die Balladen Schiller’s liest, die „Bürgschaft“, welche so herrlich das Gefühl der Freundschaft preist, den „Gang nach dem Eisenhammer“ voll wahrer Frömmigkeit und Herzenseinfalt, den „Taucher“, der die Wunder der Tiefe mit allem Zauber, deren Vers und Sprache fähig ist, enthüllt. Röther färben sich der Jungfrau Wangen, wenn der Dichter ihr das süße Geheimniß ihres Herzens deutet; sie flüstert tief bewegt ihm nach:

O, daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!

Gibt es einen Jüngling, den des Sängers Lieder nicht mit Begeisterung erfüllen, zu edlen Entschlüssen und großen Thaten spornen? Seine Gedichte sind das Evangelium der Jugend geworden und verdienen es zu sein wegen der Reinheit ihres Inhalts, wegen des sittlichen Adels, der aus ihnen spricht. Nie hat Schiller dem Geschmack der Mode gehuldigt, nie auch nur eine Zeile geschrieben, über die er zu erröthen brauchte; nie erniedrigte sich seine Muse, weder zum Schmeicheln, noch zum frivolen Spiel. Wohl durfte mit Recht sein geistiger Zwillingsbruder Goethe von ihm rühmen:

Und hinter ihm im wesenlosen Scheine
Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine.

Aber auch dem gereiften Manne bringt der Dichter in seinen Gesängen einen Schatz von Weisheit und Lebenserfahrung zugetragen; reich an Gedanken kehrt er von dem „Spaziergang“ an Schiller’s Hand in sein Haus zurück, wo er die sinnige Frau mit leuchtenden Blicken findet, entzückt von dem Lobe, das kein Sänger ihr schöner sang, als er.

Schiller’s Muse ist sein „Mädchen aus der Fremde“:

Und theilte Jedem eine Gabe,
Dem Früchte, Jenem Blumen aus;
Der Jübgling und der Greis am Stabe,
Ein Jeder ging beschenkt nach Haus.

Doch am größten und bedeutendsten erscheint sein Genius, wenn er von den Bretern herab, welche für ihn „die Welt bedeuten“, zu dem versammelten Volke spricht. Mit athemloser Stille und gespannter Erwartung hängt das dichtgedrängte Haus an den wunderbaren Gestalten, an den großen und erhabenen Schöpfungen seiner dramatischen Poesie. Wie weiß er das Herz seiner Zuschauer zu erschüttern und zu rühren, bald mit Bewunderung für die Tugend, bald mit Abscheu vor dem Laster zu erfüllen! Aber vor Allem ist Schiller in seinen Dramen der Dichter der Freiheit, die sich wie ein rother Faden durch seine Werke, vom ersten bis zum letzten, zieht.

Mit dem Motto: „in tyrannos!“ eröffnete er mit jugendlichem Ungestüm in den „Räubern“ den Kampf gegen die drückenden Fesseln der Tyrannei; Karl Moor ist der revolutionaire Geist des Jahrhunderts selbst, der, unter dem Drucke der sogenannten patriarchalischen Zustände zum Aeußersten getrieben, gewaltsam jede Fessel sprengt und in titanenhafter Wildheit gegen die Gesellschaft sich auflehnt. Mit prophetischem Geiste ahnte der damals achtzehnjährige Dichter die große politische und sociale Bewegung seiner Zeit, deren welterschütternde Ideen er von der Bühne herab verkündigte, bevor noch Männer wie Mirabeau, Danton und Robespierre dieselben gleich Brandfackeln in die Welt schleuderten. Ganz Deutschland war erstaunt über die Kühnheit eines ungekannten Jünglings und bewunderte seinen Muth und mehr noch sein Genie. Damals schon erkannte das Volk mit richtigem Instincte in Schiller seinen Dichter und jauchzte ihm Beifall zu, während die Großen und Schriftgelehrten, vor Allen aber sein Landesvater, der Herzog Karl von Würtemberg, mit dem gleichen Instincte in dem Schüler seiner Karlsschule den Feind des Despotismus ahnte und ihn mit dem Schicksale des ihm verwandten eingekerkerten Schubart bedrohte.

In tiefer Uebereinstimmung seines Handelns mit seinem Dichten trotzte Schiller dem Verbote des Herzogs, ohne dessen Bewilligung nichts mehr drucken zu lassen; er ergriff die Flucht, indem er Eltern, Vaterland und sichere Lebensstellung seinem heiligen Berufe opferte.

Unter Mangel und Entbehrungen der schwersten Art verfolgte er den einmal eingeschlagenen Weg, indem er in Mannheim seinen „Fiesko“ zur Aufführung brachte, den er selbst ein republikanisches Trauerspiel nannte. Der Hauch der Freiheit beseelte auch dies neue Werk, worin er in dem ehernen Verina den echten Republikaner von unerschütterlicher Festigkeit dem glänzenden, die Freiheit nur zu seinen egoistischen Zwecken mißbrauchenden Fiesko gegenüberstellte. Aber das im Shakespeareschen Riesengeiste erfaßte Stück war für die damalige Stimmung und die kleinlichen Verhältnisse in Deutschland zu groß. Schiller schrieb darüber an seinen späteren Schwager Reinwald: „Den Fiesko verstand das Publicum nicht. Republikanische Freiheit ist hier zu Lande ein Schall ohne Bedeutung, ein leerer Name; in den Adern der Pfälzer fließt kein römisches Blut.“

Weit näher lag dagegen Schiller’s „Kabale und Liebe“ der Anschauungsweise des deutschen Volkes. Waren es ja dessen Jammer, dessen Leiden unter der damaligen Minister- und Maitressenwirthschaft, welche der Dichter mit schonungsloser Hand aufdeckte, indem er auf die tiefe Wunde des Vaterlandes wies; gab er doch in dem Musikus Miller und seiner Familie das treue Bild des unterdrückten Bürgerthums, während er in dem Präsidenten und seinen Helfershelfern die Nichtswürdigkeiten der vornehmen Welt brandmarkte. In einer Reihe der erschütterndsten Scenen kämpft er für die Freiheit gegen das Standesvorurtheil, dessen Lächerlichkeit und Verderblichkeit er bald mit schneidendem Spotte geißelt, bald mit heiligem Ernste richtet. Indem er aber diesen höheren Standpunkt seinem Werke verlieh, erhob er das beschränkte, bürgerliche

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