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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die junge Frau kämpfte mit ihren Thränen. Ihr war jetzt geistige Regsamkeit, fortschreitende Entwickelung, Verkehr und Zusammenhang mit der Außenwelt Bedürfniß, sie besaß einen zärtlichen, geliebten Gatten, liebliche Kinder, einen traulichen, heimischen Heerd. Emilie hatte von alldem nichts; sie war nicht allein einsam im Herzen, sie entbehrte auch die Anregungen und Genüsse der Bildung. Ein solch’ enges, beschränktes Leben erschien ihr namenlos beklagenswerth und viel schlimmer als der Tod; es schien ihr wie eine Verbannung in die unermeßlichen Einöden Sibiriens, wo jede geistige Lebensregung, jeder Keim zu fruchtbringender Fortentwickelung erstarren und verkümmern muß. Sie gab ihren Empfindungen keine Worte, um die Putzmacherin nicht zu verletzen, allein diese schien in ihrem Innern zu lesen; hatten ihre eignen Gedanken doch auch dieselbe Richtung genommen.

„So gar elend, wie Sie sich mein Leben vorstellen, ist es nicht!“ sagte sie sanft. „Wenn man jung, gesund und glücklich ist, dann wünscht man sich etwas Anderes und braucht auch etwas Anderes, als wenn man alternd, schwächlich und kummervoll ist. Mir war Ruhe das Allernothwendigste, es that mir wohl, mich von Allem abzusperren und nur auf das Allernächste zu achten. Wie sagt nur Schiller? „„In den Ocean schifft mit tausend Masten der Jüngling; still, auf gerettetem Boot, treibt in den Hafen der Greis.““ Wenn Männer nach dem Schiffbruch ihrer Hoffnungen und Pläne sich bescheiden lernen und lernen müssen, wie viel leichter wird das nicht uns? Haben wir doch auf unsern, Lebensschiffchen nie tausend Masten, ja, ich kann wohl sagen, daß ich nur einen einzigen hatte und der hieß Gustav. Nachdem ich ihn verloren, gab’s für mich nur die Möglichkeit, in einem stillen Hafen zu ankern, wie ich’s gethan habe. Auch ist’s ja die Hauptsache, wie man zu leben, was man für Ansprüche zu machen gewöhnt ist. Man spinnt sich zuletzt ein, wie eine Puppe, und fühlt sich gar nicht bedrückt in dem engen Gehäuse, in dem Andere ersticken möchten. Und ein großer Trost war mir meine Arbeit. Der Dichter hat Recht, nichts bleibt uns so lieb und tröstlich bis zu allerletzt, als „„Beschäftigung, die nie ermattet““. Sie sehen, ich weiß doch noch Etwas von Schiller, so arm an Bildung und Poesie ich auch bin!“ unterbrach sie sich mit einem melancholischen Lächeln. „Das macht, Gustav liebte Schiller und las uns zuweilen etwas von ihm vor, und dergleichen prägt sich Einem dann wohl für immer ein, so schwach und vergeßlich das Gedächtniß sonst auch wird, wenn es ohne Uebung bleibt, wie das meine. – Ja, was ich von der Arbeit sagen wollte: Alles, was wir fertigen, auch das Geringste, macht uns Freude, und wie ein Künstler oder Dichter an seinen Werken, fühlt Jeder, je nach seinen Kräften, auch Lust an dem, was er geschaffen. Ich kann wohl sagen, meine Putzsachen erfreuten mich, wenn sie allmählich so hübsch und duftig unter meinen Händen entstanden. Ich sann gern über Veränderungen daran, scheute keine Mühe, jedes Hütchen oder Häubchen zu einer Art Kunstwerk zu machen.“

Der Eintritt des Baumeisters unterbrach sie. Er schaute, nachdem er die Putzmacherin herzlich begrüßt hatte, befremdet und besorgt in die thränenvollen Augen seiner Frau. Sie barg ihr Gesicht an seiner Brust und flüsterte, um ihre Bewegung zu erklären:

„Ach, denke Dir, sie hat Deinem Stiefbruder ihr Gehalt zum Studiren gegeben und ihm später entsagt, weil sie ihm nicht gebildet genug war!“

„Ich wußte das längst –“ sagte der Baumeister und schaute sich gedankenvoll in dem kleinen Stübchen um, worin er so angenehme Stunden verbracht hatte. Dann sagte er: „Ich habe eben einen Brief von Gustav bekommen. Er und seine Frau wünschen dringend, daß Sie zu ihnen kämen, und er ersucht mich, Sie dazu zu bewegen.“

Er zog das Schreiben hervor und reichte es Emilie, die es zögernd nahm und dann auf ihren Arbeitstisch legte, während sie schweigend den Kopf schüttelte.

„Sie wollen nicht?“ sagte der Baumeister. „Warum? Sie haben Ihre Jugend für ihn geopfert – weshalb soll er nicht für Ihr Alter sorgen? Er weiß zwar nichts von dieser Verpflichtung, aber er hat doch eine große Schuld gegen Sie; es war jedenfalls unrecht’, daß er Sie aufgab und zwar nach einer so langen Verbindung.“

„Nein, nein, das machen Sie ihm nicht zum Vorwurf!“ erwiderte das alte Mädchen mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit. Durfte sie denn zugeben, daß der einst Geliebte getadelt wurde? „Ich habe ihm nie einen Vorwurf daraus gemacht, daß er mich zu lieben aufhörte, denn das war nicht seine Schuld – wir paßten einmal nicht mehr zusammen. Auch wollte er ja sein Wort halten, und ich war es, die zuerst brach, weil ich fühlte, daß wir unglücklich sein würden. Konnte ich etwa darum einen Anspruch auf ihn gründen, weil ich viele Jahre, von der zartesten Jugend an, nur in dem Gedanken an ihn lebte, weil ich dadurch um jede andre Aussicht auf Lebensglück gekommen war? Gott weiß, ich bin von Herzen gewiß demüthig, bin ich doch auch nur ein armes, unbedeutendes Mädchen – aber dazu war ich doch zu stolz. Als er einsah, daß er sich in mir getäuscht, daß ich ihn nicht glücklich machen konnte, da hörte auch seine Verbindlichkeit gegen mich auf; mein einziges Anrecht an ihn war seine Liebe, nicht ein Versprechen, nicht ein Verlöbniß. Auch was ich für ihn empfunden oder vielleicht gethan hatte, verpflichtete ihn zu nichts –“ fuhr sie fort, während eine tiefe Röthe auf ihren Wangen brannte und ihre matten Augen in Hellem Glanz leuchteten. Es wurde ihr schwer, zu einem Mann von den Gefühlen zu sprechen, welche sie stets verschämt im tiefsten Herzen verborgen hatte, doch galt es ja seine Vertheidigung. „Mag er lange glücklich leben und einst sanft entschlafen – gegen mich hat er keine Schuld, die sein Gewissen nur im Geringsten drücken dürfte. Ich habe ihn so sehr geliebt, daß sein Glück mein Hauptwunsch war, und bin ihm dankbar, daß ich ihn so lieben konnte, daß er und seine Neigung meine Jugend unaussprechlich schön machte. Daß ich für ihn arbeitete und entbehrte, konnte natürlich nie in Rechnung kommen – dafür waren wir gleich quitt. Man ist ja mit Freuden bereit, für den Mann, den man von Herzen lieb hat, viel mehr, ungleich Schwereres zu thun und zu leiden, als einige Nachtstunden bei der Handarbeit zuzubringen oder unnützem Luxus zu entsagen. Das liegt einmal in der Natur – ist kein Verdienst. Und je mehr man thun und opfern kann, desto glücklicher und stolzer ist man ja. Wenn mich später in Leid und Einsamkeit, in Schwäche und Alter Etwas aufrichtete, so war es eben der Gedanke, daß ich ihm genützt hatte. Dadurch bekam mein Leben einen Werth für mich, den es sonst nie gehabt hätte. Und darum begreifen Sie gewiß, daß hier von einer Wiedererstattung nie die Rede sein kann und darf, und werden es an Gustav nicht verrathen, daß er damals mein Geld erhielt. Es würde ihn ja nur unnütz quälen, daß er für mich durchaus nichts thun kann.“

Der Baumeister und seine Frau hatten mit Ueberraschung in das Gesicht des alten Märchens geschaut, das unverkennbare Spuren von Schönheit und Lieblichkeit zeigte, nun die fahle Farbe, die Stumpfheit oder doch Unbelebtheit und Ermüdung gewichen war, wodurch es sonst entstellt wurde.

„Dann kommen Sie zu uns!“ sagte der Baumeister warm, „Geben Sie das Putzmachen auf, bei dem Sie körperlich und geistig verfallen sind. Wir wollen es Ihnen bei uns so behaglich machen, wie möglich – Sie sollen ganz ungenirt nach Ihren Neigungen und Gewohnheiten leben. Dabei werden Sie sich in kurzer Zeit erholen und noch einmal anfangen zu leben – sind Sie doch kaum in der Mitte der Vierzig.“

Aline stimmte sogleich ein und zählte als Ueberredungsgründe Alles auf, was sie thun wollte, um der alten Freundin das Leben recht angenehm zu machen. Doch diese dankte ihnen und sagte: „Wenn ich nicht mehr arbeiten kann, dann komme ich zu Euch, und Sie sollen mich pflegen, Aline. Jetzt thäte das nimmer gut. Ihr seid mir herzlich willkommen, wenn Ihr zu mir kommt, aber bei Euch würde ich mich nicht behaglich fühlen und nur Euer Glück stören. Ich passe nach Bildung und Lebensgewohnheiten nicht in Eure Mitte und bin zu alt, ein neues Leben anzufangen. Auch habe ich meine Art Stolz und denke, mag Einer sein, was er will, darauf kommt’s wenig an, die Hauptsache ist, daß er das, wozu ihn die Umstände machten, auch recht und von ganzer Seele ist. Auf den Platz nicht hingehören, den man einnimmt, ist immer schlimm, aber im Aller am allerschlimmsten, denn man findet sich nicht mehr so leicht zurecht, wie in der Jugend – hat nicht mehr die Fähigkeit dazu. Es ist närrisch und hochmüthig, aber gewiß würde es mich kränken, wenn ich von so Vielem, was bei Euch besprochen wird, nichts verstände – hier kann mir das nicht passiren, hier fühle ich mich sicher und daheim, weil ich weiß, daß ich

verstehe, was zur Arbeit nöthig ist, und meine Sachen nicht verpfusche.

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