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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 46. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Nur eine Putzmacherin.
Eine stille Geschichte.
(Schluß.)

„Gustav brauchte jetzt meine Unterstützung nicht mehr,“ fuhr das alte Mädchen fort, „wohl aber meine Mutter und die jüngste Schwester. Die älteste war gestorben, die zweite hatte sich gut verheirathet, konnte aber für die Mutter nichts thun, denn ihr Mann war genau, und es wären Zwistigkeiten entstanden, hätte sie die Ihrigen unterstützt. Und doch war das nöthig. Die Mutter war alt und die Jüngste wuchs heran. Ihre Lehrer lobten ihren guten Kopf von jeher, und die Mutter hatte immer gewünscht, sie zur Gouvernante zu bilden. Gustav bedurfte meines Geldes nicht mehr, seine Stiefmutter war auch so gestellt, daß sie ihn ein wenig unterstützen konnte. Ich war an unausgesetzte Arbeit, wie an die größte Einfachheit gewöhnt, ich brauchte also meinen Arbeitslohn vorläufig nicht. Ich hatte zwar gedacht, mir eine Ausstattung zu ersparen, aber natürlich konnte ich die Mutter nicht darben lassen oder zugeben, daß meine Schwester nicht viel lernte, da sie doch große Lust dazu hatte. Mit Vergnügen schickte ich ihnen, was ich hatte, und dachte, eine Ausstattung für mich werde sich finden. Und sie fand sich wirklich, denn Madame Albrecht behauptete, ich sei die Gründerin ihres Wohlstandes, und zeigte sich dankbar. Auch schob sich unsere Verbindung lange hinaus, denn die Beförderung im Bergfach ist ungemein langwierig. Gustav gab also die Staatscarriere auf und ging in’s Ausland. Vorher kam er hierher und Alles, was wir sonst mit einander gehofft und verabredet hatten, wurde wieder durchgesprochen, doch nur im Fluge. Er hielt sich nicht lange auf, denn es drängte ihn, eine gesicherte Stellung zu erringen. Dennoch vergingen Jahre, ehe er sie hatte und die Hochzeit festgesetzt wurde. Ich verließ meine Schwiegermutter und reiste nach Berlin. – Was soll ich Ihnen von meinem Glück sagen? Sieben Jahre hatte ich fast nur von der Hoffnung gelebt, und diese Hoffnung sollte endlich in Erfüllung gehen; sieben Jahre lang war mir der Gedanke an ihn, den ich so sehr lieb hatte, das ganze Leben gewesen, hatte ich ununterbrochen für ihn, für die Wittwe und die Kinder seines Vaters, wie für die Meinigen gearbeitet. Ich hatte es gewiß mit Freuden gethan und wäre für Gustav gern zu noch viel Schwererem bereit gewesen; auch war mir meine sonst schon werthe Beschäftigung noch werther geworden, weil sie mir die Mittel zu seiner Unterstützung gegeben hatte. Dennoch war ich ganz unsagbar glücklich, denn jetzt sollte ja erst mein wahres Leben beginnen; an seiner Seite wollte ich nachholen, was ich versäumt hatte, und Alles genießen, was die Welt und das Leben bieten, wenn man einen offenen Sinn dafür hat. – Gustav empfing mich – er war auf einige Wochen nach Berlin gekommen. Darauf wollte er auf kurze Zeit nach dem Hüttenwerk in Baden zurückkehren, bei welchem er angestellt war, und dann nur zur Trauung wiederkommen. –

Nachdem die erste berauschende Aufregung des Wiedersehens vorüber war, sagten Mutter und Schwester wie aus einem Munde: „Emilie, Gott im Himmel, wie siehst Du aus?“ Ich schaute in den gegenüber hängenden Spiegel und erschrak vor mir selber und noch heftiger, da ich meine Schwester darin neben mir sah. Ich war bleich und abgefallen, ich hatte nicht Zeit gehabt, daran zu denken – auch hatte sich das ja ganz allmählich gefunden. Das frische blühende Gesicht meiner Schwester mahnte mich daran, daß ich einst auch so ausgesehen hatte, und zeigte mir den großen Unterschied zwischen sonst und jetzt, „Armer Gustav, du bekommst eine alte, häßliche Frau!“ sagte ich ein wenig niedergeschlagen. Er aber zog mich in seine Arme und sagte herzlich: wenn meine Jugendblüthe verschwunden sei, indem ich ihm die Treue bewahrte, so sei es ja seine Pflicht, die Röthe der Gesundheit wieder auf meine Wangen zurückzubringen. Er war dabei lieb und gut gegen mich, dennoch gab mir das Wort: „Pflicht“ einen Stich in’s Herz. War es wirklich nur Pflicht, die ihn zur Verbindung mit mir trieb? – war die Liebe erloschen? Ich grübelte darüber, und mein Glück war nicht mehr ungetrübt. Auch sah ich in kurzer Zeit ein, was ich früher nie bedacht hatte: Gustav war ein gebildeter, geistreicher Mann – ich verstand nur Putz zu machen; früher, als wir Beide jung waren, da paßten wir vortrefflich zusammen – jetzt nicht mehr. Er war in den sieben Jahren immer vorwärts gegangen, hatte Gott weiß was Alles gelernt, gesehen, gelesen und gedacht. Ich war die Zeit über nicht blos stehen geblieben, sondern noch verdummt – war nichts, als eine unwissende Handarbeiterin. Das zeigte sich bald. Wovon Gustav auch sprechen mochte, ich wußte darüber nichts zu sagen, konnte über nichts mitreden. Meine Schwester verstand das sehr gut, sie hatte alle möglichen Kenntnisse und freute sich, mit einem so gescheidten Mann, wie Gustav, zu sprechen. Ich saß dabei und horchte, wollte anfangs wohl auch ein Wort dazugeben, wenn Gustav mich aufforderte. Aber das kam dann so ungeschickt und einfältig heraus, daß ich mich herzlich schämte. Noch öfter verstand ich auch gar nichts von dem, was sie redeten, und mußte auf Gustavs Fragen meine Unwissenheit bekennen. O Aline, mit welch schmerzlicher Scham das geschah! Und wie Gustav dann drein sah, wenn ich das nicht einmal gelesen, was von guten Büchern herausgekommen war seit den sieben Jahren, ganz zu geschweigen von allem Uebrigen, was zur Bildung gehört! Ich kann das ja nicht so erzählen, aber Sie werden wohl wissen, was Alles

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_661.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)