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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

St. Georg in Rouen, und jener aus den alten Grabmälern Oberegyptens. Wer weiß, ob nicht ein Theil davon früher in der die Pharaonen umgebenden Atmosphäre geschwebt hat.

Woraus aber bestehen diese verschiedenen Proben von Staub? Ihre Bestandtheile können in zwei Gruppen getheilt werden, von denen die eine einen mineralischen Ursprung hat und die andere der organischen Natur entstammt.

Die nichtorganischen Bestandtheile sind von nicht sehr mannichfaltigem Charakter, sondern weiter nichts als die Ueberreste von Felsen, die durch die in der Natur fortwährend thätigen mechanischen Kräfte – Hitze und Kälte, Regen und Wind, Alluvialfelsen in den Thälern und Ebenen und plutonische Felsen in Gebirgen vulcanischen Ursprungs – in ungreifbares Pulver verwandelt worden sind.

Die organischen Ueberreste dagegen sind in der größten Mannichfaltigkeit zugegen. Wir wollen, um dies zu veranschaulichen, uns womöglich einmal denken, daß in Folge der Einwirkung irgend einer übernatürlichen Gewalt sämmtliche jetzt vorhandenen Thiere und Pflanzen plötzlich von der Oberfläche der Erde hinweggenommen wären und daß mitten in dieser ungeheuren Wüste ein einsamer Naturforscher stände – der einzige noch auf der Erde zurückgebliebene lebende Bewohner. Wir wollen ferner annehmen, daß in seiner Brust noch Lust zum Studium lebt, und ihm ein starkes Mikroskop in die Hand geben.

Wünscht er zu wissen, was für Pflanzen früher auf dem Boden blüheten, auf dem sein Fuß wandelt? welche Gattungen von Thieren früher diese unermeßlichen Wüsteneien bewohnten? Dann möge er nur ein kleines Häufchen Staub von jener Säule sammeln, die mitten in der allgemeinen Verödung stehen geblieben ist.

Diesen Staub unterwirft er einer angemessenen vergrößernden Kraft und sieht hier die Ueberreste aller organischen Wesen von dem Schmarotzermoose bis zur vollkommensten Pflanze, von dem niedrigsten Pflanzenthiere bis zum Menschen.

Zuerst sieht er jene unendlich kleinen Würmer, deren Körper in zwei Kronen oder kleine Räder auslaufen, jene Gerippe von Infusorien, diesen seltsamen Thierchen, welche sich freiwillig in mehrere lebende Stücke spalten können. Neben diesen Zoophyten oder Pflanzenthieren sieht er die Ueberreste von höher organisirten Wesen. Einige Fragmente von harten hornigen Flügeln erinnern ihn an jene Flügeldecken, unter welchen gewisse Insecten – die aus diesem Grunde Coleopteren genannt werden – ihre Häutchen und durchsichtigen Flügel verbergen. Einige feine Schuppen erinnern ihn an die Lepidopteren oder Schmetterlinge. An diesen Spätsommerfäden erkennt er das schwebende Gewebe der Spinne, und die Haare von zahllosen Gattungen Federn und Häuten beweisen ihm, daß die Luft mit Vögeln und die Erde mit Säugethieren bevölkert war.

Die Ueberreste des Pflanzenreichs sind nicht weniger zahlreich. Man sehe zum Beispiel diese Fragmente von Zellen und spitzigen gestreuten oder leiterförmigen Gefäßen. Diese Ueberreste von spiralförmigen Gefäßen rühren von Pflanzen mit einem oder mehrern Samenblättern oder Kotyledonen her. Wenn die Ueberbleibsel von holzigen Fasern nicht so reichlich vorhanden sind, so sind dagegen Körnchen von Blumenstaub, Klümpchen von Blumenfasern und die scharfen Stacheln der Brennnessel in Menge anzutreffen, und die blau-, roth- oder grüngefärbten Baumwollenfasern sind überzeugende Beweise von menschlicher Betriebsamkeit.

Ganz besondere Aufmerksamkeit aber verdient die auffallende Menge von Stärkekörnchen in dem Luftstaube. Dabei darf man nicht glauben, daß diese Stärke irgend eine ihrer Eigenschaften verloren habe. Sie löst sich noch in siedendem Wasser, eine Sodalösung bewirkt noch eine Vermehrung ihres Volumens, sie nimmt sofort eine blaue oder violette Färbung an, wenn sie mit Jodin in Berührung kommt, und besitzt mit einem Wort noch alle Eigenschaften so eben erst bereiteter Stärke. Auch darf man nicht glauben, daß diese Stärkekörnchen blos in Staub, der aus neuerer Zeit herrührt, zu finden seien, denn sie werden selbst in den ältesten Proben angetroffen.

Eine merkwürdige Thatsache darf in Bezug hierauf nicht unerwähnt bleiben, und diese ist, daß, während die Stärkekörnchen in Staub von neuerer Formation gewöhnlich von in’s Graue spielender Färbung sind, die älteren Proben dagegen eine violette Farbe haben.

Worin liegt der Grund dieser Verschiedeneheit in der Farbe?

Die Antwort auf diese Frage würde den Scharfsinn der Forscher noch lange beschäftigt haben, wenn nicht der Franzose Chatin vor einigen Jahren entdeckt hatte, daß die Atmosphäre Jodindunst enthält, und da es jetzt anerkannt ist, daß dieser Dunst in der Atmosphäre wirklich vorhanden ist, und da wir alle wissen, daß Jodin die Stärke violett färbt, so ist nichts einfacher als die Erklärung, die auf diese Weise von der blauen Färbung gegeben wird, die an dem in unsern alten Kathedralen oder in den unterirdischen Tempeln Oberegyptens gefundenen Staube sich zeigt.

Auf diese Weise sieht man, daß die in der Atmosphäre schwebenden kaum sichtbaren Atome etwas von Allem enthalten. Die drei Reiche der Natur begegnen sich in einer Prise Staub.

Ein neuerer Naturforscher sagt, es werde eine Zeit kommen, wo wir Alle von der aus comprimirter Luft gewonnenen Nahrung leben werden. Und warum wäre dies nicht möglich, da Stärkekörnchen in der Atmosphäre so reichlich vorhanden sind?




Das Vaterland der Lieder, in denen man Empfindungen, Urtheile und Lehrsätze ausdrückte, war in früheren Zeiten das südliche Frankreich. Weil in dieser Dichtungsgattung kein gegebener, nämlich geschichtlicher Stoff verarbeitet, sondern von den Dichtern „erfunden“ wurde, hießen sie „Erfinder“, Trovadores, Troubadours, von trovare, erfinden. Die Blüthezeit dieser Gesänge in occitanischer Sprache sind das zwölfte und dreizehnte Jahrhundert. – Bei den Deutschen waren es die Hofdienstmannen, Ministeriales, vom Stande des niedern Adels, welche ihre Lieder zur Geige, Harfe, Laute, Cither oder Leier bei Hoffesten, Hochzeiten etc. vortrugen, daher der Name Ministrelli, Minstrels, Menestriers. Die herumziehenden Troubadours erhielten auch den Namen Lustigmacher, Joculatores, verderbt in Giollari, Jongleurs. – In Deutschland benannte man später solche Sänger mit dem noch jetzt gebräuchlichen Worte Bänkelsänger, weil sie von Gerüsten herab, genannt Bänke, ihren Zuhörern vortrugen. – Noch sei hierbei erwähnt, daß mit beweglichen Marienpuppen, Marianetten, nachmals Marionetten, wahrscheinlich die Schauspiele des abendländisch-christlichen Europa’s eröffnet worden sind.




Auch eine Schillerfeier! Es war am 13. August dieses Jahres, als ich wieder nach Weimar einwanderte – dieses Mal mit meinem Sohne, dem ich die Stätten zeigen wollte, wo früher unter dem Schutze eines großherzigen Fürsten die größten Dichter Deutschlands gewandert und gesungen. Unser erster Gang war nach dem Schillerhause. Der freundliche Castellan war selbst nicht zugegen und hatte das Amt eines Cicerone seiner Schwester, einer liebenswürdigen gebildeten Dame, übertragen. Nachdem wir die große, jetzt so prachtvoll hergestellte Wohnstube, das ärmliche Schreib- und Sterbezimmer und die verschiedenen kleinen Erinnerungen besehen hatten, war ich eben im Begriff, die heilige Stätte zu verlassen und im Vorzimmer eine der kleinen Büsten anzukaufen, die dort ausgestellt sind, als unten am Hause ein Wagen vorfuhr und kurz darauf eine reich in Atlas gekleidete ältere Dame, ein von Sammt und Seide strotzendes Fräulein, ein junger Mann von circa 20–22 Jahren und ein reich galonnirter Diener in den Vorsaal rauschten und das Schillerzimmer zu besehen verlangten. Ich bat sofort meine freundliche Führerin, die Wünsche der Ankommenden zu erfüllen und sich meinetwegen nicht zu geniren, ich könne warten. Fast hätte ich meine Artigkeit bereut, denn die Herrschaft brauchte nahe eine Stunde, um sich Alles genau durch die Lorgnette zu besehen. Sie ließ sich umständlich alle Einzelheiten erklären, durchblätterte alle Schriftstücke, spielte auf dem alten Claviere, befühlte die Masken und Meubles, und auch der Diener beschaute sich Alles mit Sachkennermiene, genug der Besuch nahm die Dame des Hauses fast eine Stunde in Anspruch. Endlich rauschte das vierblätterige Kleeblatt in das Vorzimmer, wo ich mich befand, und die ältere Dame suchte unter den Ansichten eine der kleinsten des Schillerhauses aus. Ich stand ganz in der Nähe und konnte jedes ihrer Worte hören. „Was kostet das?“ frug sie kurz und vornehm. „Zwei Groschen,“ war die Antwort der freundlichen Führerin. „Bezahle,“ wandte sich die Atlasschwere an den jungen Herrn und flüsterte ihm einige mir unverständliche Worte zu. Der Herr suchte lange in seiner Börse, bis er das Nöthige gefunden, und drückte endlich der Dame des Hauses einige Geldstücke in die Hand. „Das ist mehr, als ich zu erhalten habe,“ sagte die Führerin höflich, nachdem sie das Geld besehen. Die Atlasschwere warf ihr einen kurzen Blick zu. „Ich weiß es,“ schnarrte sie dann, „das Uebrige ist für Sie.“ Dabei nickte sie vornehm mit dem Kopfe und stolzirte mit ihrem Gefolge zur Thüre hinaus.

In demselben Augenblicke sah ich auch, wie die Dame des Hauses jählings erbleichte und sprachlos, ohne den Gruß zu erwidern, den fortgehenden Fremden nachsah. Sie zitterte am ganzen Leibe und in den Augen standen Thränen. Erstaunt blickte ich sie an. „Es ist empörend,“ sagte sie endlich mit leiser Stimme, die vor Erregung zitterte, „wie man behandelt wird. Da sehen Sie,“ fuhr sie fort und öffnete die Hand, die vor wenigen Augenblicken das Geld in Empfang genommen hatte.

In dieser Hand lagen sieben schäbige Kupferstücke, darunter vier ausländische Kreuzermünzen, die also in Weimar nicht einmal galten. Das war der Dank für eine Stunde Schillerfeier, der Lohn für stundenlange Erklärungen, Mittheilungen, Beantwortungen und Dienstleistungen – mit Mühe herausgesuchte sieben schäbige, theilweise ungültige Kupferdreier für vier Personen!

Ich war so empört über diese Erbärmlichkeit, daß ich das Geld nehmen und den zur Treppe hinunter rauschenden Damen nachwerfen wollte. „Lassen Sie,“ sagte die Dame resignirt, „ich habe kein Recht dazu. Mir thut es nur wehe, daß man mich wie eine Bettlerin behandelt, während ich doch Hunderten und Tausenden das Schillerzimmer ohne alle Bezahlung gezeigt habe und auch dieser vornehmen Dame ohne allen Dank gezeigt haben würde. Ich habe nichts zu fordern, aber ich kann Ihnen versichern, der ärmste Schullehrer, der hier seinem Schillerenthusiasmus Genüge that, – wenn er einmal bezahlte – hat uns niemals wie diese vornehme Herrschaft behandelt!“

Ich ging noch einmal in’s Sterbezimmer unseres großen Dichters zurück, wo auch das Fremdenbuch aufgeschlagen liegt. Dort stand mit großen Worten: M. O– – geb. L–n nebst Sohn und Tochter aus H–b–g.“ Ich kannte die Dame, eine der reichsten der reichen Republik, par renommée und wußte, daß sie viel in Kunst und Literatur machte und in ihrer Heimath als eine Protectorin der schönen Künste galt. Hier aber, wo es Niemand sah – sieben arme Kupferdreier für eine Stunde Schillerfeier!

Mich überkam ein Ekel vor all’ dieser Scheinheiligkeit und Filzerei, und gedrückt verließ ich das Haus des Dichters, dessen Andenken eine reiche deutsche Familie mit – sieben Kupferdreiern feierte.


Nicht zu übersehen!

Alle Einsendungen von Manuskripten, Büchern etc. etc. für die Redaction der Gartenlaube sind stets an die unterzeichnete Verlagshandlung zu adressiren.

Ernst Keil.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_660.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)