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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

und dem Brigade-Adjutanten zu melden, (gez.) v. T., Oberst und Brigadier.“

Der Capitain wandte seine Augen musternd auf das lustige Völkchen der Bombardiere, um die geeignete Persönlichkeit für dies freilich in mancher Beziehung sehr kitzlige Commando herauszufinden. Er schwankte sichtbar in der Entscheidung, und seine Blicke richteten sich sorgend auf den Wachtmeister.

„Wollen Sie nicht aus unsern Officier-Aspiranten wählen?“ schnarrte der mißliebige Premier-Lieutenant durch die Nase.

„Ich weiß nicht, ob ich es wagen darf, die „jungen Herren“ mit dem „Alten“ in eine so nahe Berührung zu bringen,“ erwiderte der Hauptmann, „doch werde ich kaum eine andere Wahl haben,“ und sich schnell den Bezeichneten zuwendend, fragte er lächelnd:

„Nun, meine Herren, wer fühlt sich von Ihnen angeregt, morgen den Galopin bei dem Herrn Brigadier zu machen?“

Mit einem bescheidenen: „Ich bitte mich zu commandiren,“ trat der Verfasser, der damals die Ehre hatte, die Uniform der Bombardiere der preußischen Artillerie zu tragen, vor die Front.

„Dacht’ ich’s doch!“ brummte der Capitain. „Nun, meinetwegen. Wachtmeister, instruiren Sie den Bombardier L. sehr sorgfältig und sorgen Sie namentlich dafür, daß derselbe in durchaus dienstmäßigem Anzüge erscheint und daß sonst keine Windbeuteleien mit unterlaufen.“

Nachdem der Appell beendigt war, sammelten sich die befreundeten Cameraden neckend um meine werthe Person, der Eine beglückwünschte mich zu meiner Erhebung zum Brigade-Adjutanten, ein Anderer empfahl sich angelegentlichst meiner gewichtigen Protection, während ein Dritter meinte, daß er lieber allein gegen eine feuersprühende Batterie marschiren, als mein Commando übernehmen wolle. Endlich trat auch noch der Fähnrich in unsern Kreis. Der Inhaber dieser vielbegehrten Charge, von welcher man mit Recht sagen kann:

„Und wer’s zum Fähnrich erst hat gebracht,
Der steht auf der Leiter zur höchsten Wacht.“

war ein junger Mann, der bereits das Officier-Examen bestanden hatte und seiner Ernennung mit jedem Tage entgegensah. Er war das Orakel der „jungen Herren“, wie die Officier-Aspiranten von dem Capitain, wenn er bei guter Laune war, gewöhnlich genannt wurden, und vertrat mit großer Selbstverleugnung die vielen dummen Streiche, die freilich meistens unter seiner Mitwirkung und zum großen Theil unter seiner unmittelbaren Anführung gegen Kriegsartikel und Disciplin in Scene gesetzt wurden.

Mit einer Ernsthaftigkeit, die mir an ihm fremd war, trat er heute auf mich zu, indem er sagte: „Welcher Teufel mußte Sie denn reiten, als Sie sich zu diesem Commando meldeten? Wissen Sie denn wohl, was es heißt, einen ganzen Tag an den „Alten“ angeschmiedet und wehrlos dem Kartätschfeuer seiner zarten Redensarten ausgesetzt zu sein? Ich beneide Sie nicht um die Millionen Millionenhunde, die morgen auf Ihren blonden Scheitel niederschmettern werden, und Sie können sich aufrichtig Glück wünschen, wenn Sie mit seiner Riesenfaust nicht in unangenehme Berührung kommen.“

Als der Fähnrich sah, daß ich unter dem Eindrucke dieser Worte unwillkürlich die Farbe wechselte, fuhr er lachend fort: „Doch das kann nun Alles nichts helfen; jetzt heißt es, mit Geschick die Suppe ausessen, welche Sie sich selbst eingebrockt haben, und dazu ist vor allen Dingen die größte Keckheit nöthig, und daran fehlt es Ihnen ja nicht. Uebrigens keinen Faden eigenes Zeug! das rathe ich Ihnen. Der „Alte“ ist nämlich der unantastbaren Meinung, daß der langnasige Brigadeschneider der größte Kleiderkünstler seiner Zeit ist, weshalb er in eine wahre Berserkerwuth geräth, wenn er auf dem Leichnam seiner Artilleristen irgend ein Kleidungsstück entdeckt, das nicht durch die bekrallten Finger dieses obersten Ziegenbockes aller Brigade-Ziegenböcke gegangen ist.“

Nach dieser wohlgemeinten Warnung reichte er mir die Hand zum Abschied, indem er sagte: „Der Alte hat auch seine guten Tage; gebe der Himmel, daß Sie morgen einen solchen treffen!“

Mit tausend Besorgnissen belastet, die meine Cameraden wach gerufen hatten, wanderte ich meinem Quartier zu. Ich durfte mir nicht verhehlen, daß der morgende Tag sehr verhängnißvoll für mich werden konnte. Mit dem Alten war nicht gut Kirschen essen; das kleinste Versehen im Dienste konnte ihn rasend machen, und in solchen Momenten gehörte es nicht zu den Seltenheiten, daß seine riesige Faust centnerschwer auf das Haupt des Unglücklichen fiel, der sich seinen Zorn zugezogen hatte. Ich kannte die hundert Anekdoten, die man sich, um seine nicht zu übertreffende Derbheit zu charakterisiren, von ihm erzählte, und wußte die Kraftausdrücke an den Fingern herzuzählen, mit welchen er seine Umgebung zu regaliren pflegte. Aber aus alle dem sprach eine gewisse soldatische Offenheit, die selbst in ihrer übertriebenen Geradheit kaum verletzen konnte, und so manche Geschichte, die man sich von ihm erzählte, barg die größte Herzensgüte als schönen Kern in rauher Schale.

Mußte das Personal des Brigadestabes doch mit ihm täglich umgehen, warum sollte ich dies denn nicht auf wenige Stunden können? „Der Alte ist so schlimm nicht!“ rief ich mir zu. „Was habe ich zu fürchten, wenn ich seine Befehle mit Aufmerksamkeit vollziehe? Nichts, durchaus nichts! Lächerliche Furcht! ich bin stolz auf mein Commando und werde ihm Ehre zu machen wissen.“

Mit solchen Reflexionen sprach ich mir Muth ein, was mir so gut gelang, daß ich beruhigt mein Quartier erreichte, wo ich meinem Burschen zum nächsten Tage die nöthigen Befehle gab.

Der Kanonier, welcher die Ehre hatte, mein Pferd zu versehen und meine Armaturstücke zu putzen, diente bereits sieben Jahre. Er war mit Leib und Seele Artillerist, und in Bezug auf den kleinen Dienst das Orakel seiner Cameraden. Bei allem Respect vor meiner Bombardierwürde, glaubte er doch, daß meine militairische Erziehung seiner Leitung anvertraut sei. Jeden Tadel, der mich traf, fühlte er deshalb auch tief mit, und oft wollte es mir scheinen, als fürchtete ich seine stillen Vorwürfe mehr, als die lauten Zornesausbrüche meiner Vorgesetzten.

Heute empfing er mich mit unverkennbarer Verdrossenheit.

„Also morgen Ordonnanz?“ frug er mit einem Gesichte, aus welchem Verdruß und Unwillen sprachen.

„Ordonnanz?“ entgegnete ich mit gereizter Stimme; „hast Du denn beim Appell keine Ohren gehabt? Ich bin als Galopin zur Aushülfe des Herrn Brigade-Adjutanten commandirt, und werde dessen Functionen zu versehen haben, wenn derselbe anderweitig beschäftigt ist. Du wirst begreifen, daß dazu nicht ein Jeder zu brauchen ist, und daß diese Stellung mit den Obliegenheiten einer Ordonnanz in gar keiner Verbindung steht.“

„Dat ist ganz eenjal,“ replicirte mein übelgelaunter Bursche. „Der Herr Oberst wird Ihnen wohl den Unterschied zwischen einem Adjutanten und einem Vice-Bombardier deutlich zu machen wissen. Na, an Ihrem Pferde, der Montirung und den Waffen soll er nichts zu tadeln finden. Darum bekümmern Sie sich nur nicht, das ist meine Sache; aber lesen Sie sich noch einmal recht aufmerksam die Dienstvorschrift durch, damit Sie morgen Bescheid wissen und uns keine Schande machen.“

Nach dieser wohlgemeinten Hinweisung auf den gedruckten Rathgeber in allen Aengsten und Nöthen des dienstlichen Lebens begab der alte Kanonier sich brummend in den Pferdestall, ich aber verzehrte mit ungeschwächtem Appetit mein frugales Abendbrod, und schlief bald darauf mit dem Schlafe der Gerechten dem verhängnißvollen Morgen entgegen.

Am nächsten Tage, früh 5 Uhr, bestieg ich blank und sauber mein wohlgeputztes Pferd, und drei Viertelstunden später hielt ich vor dem ersten Gasthof in W., wo der Oberst während der Dauer der Schießübungen Quartier genommen hatte. Ein Kanonier der ersten reitenden Batterie, welcher als Ordonnanz commandirt war, nahm mir mein Pferd ab.

„Hast Du Dich schon gemeldet?“ frug ich beim Absteigen.

„Zu Befehl!“ entgegnete der Kanonier, und mit einer kurzen Handbewegung nach dem zweiten Stockwerke des Gasthofes deutend, wo der Oberst sein Zimmer hatte, setzte er phlegmatisch hinzu: „Hei ist schlimm upstohen; ich hew min Fett oll weg.“

Bevor ich eine nähere Erklärung dieser mysteriösen Worte fordern konnte, erschien der Brigade-Adjutant, um sich in das zu ebener Erde etablirte Brigade-Bureau zu begeben. Ich machte ihm meine Meldung. Er nahm mich in das Bureau mit, und nachdem er meinen Anzug einige Secunden gemustert hatte, sagte er: „Ich werde heute nicht immer an der Seite des Herrn Brigadier sein können, Sie werden mich in dieser Zeit insoweit vertreten als Sie die Befehle, welche Ihnen der Herr Oberst geben wird, an die bezeichneten Persönlichkeiten zu überbringen haben. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie diese Befehle, wie sonderbar sie auch klingen mögen, wortgetreu wiedergeben müssen. Auch

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