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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

die ich hielt, kam nicht viel heraus. Dennoch mußte ich eine haben, und als ich meiner bisherigen eben gekündigt hatte, sah ich mich auf dem Wege nach Leipzig nach einer neuen um. Ein blutjunges Ding, ein kaum siebzehnjähriges Mädchen, wurde mir als eine sehr geschickte und fleißige Arbeiterin gerühmt. Ich ließ Emilie Röder kommen, und sie gefiel mir, denn sie war still und bescheiden, und nicht auf den Kopf gefallen, wie ihre Augen sogleich verriethen. Diese grauen Augen, die Ihr nur matt und glanzlos kennt, waren damals blau und strahlend. Ueberhaupt war sie sehr hübsch, obgleich Dir das sonderbar klingen wird, August, und fast keine Spur davon übrig ist. Namentlich hatte sie einen wunderschönen, wahrhaft blendenden Teint, so zart und rosig, wie ich ihn seitdem kaum wieder gesehen habe. Aber das gehört nicht zur Sache. – Sie gefiel mir also, doch als die Rede auf den Gehalt kam, verging mir die Lust, sie zu engagiren. Sie sagte nämlich mit einem glühenden Erröthen: Ich muß zweihundert Thaler haben – darunter kann ich mich auf kein Engagement einlassen. Das ist allerdings sehr viel, aber wollen Sie es mir geben, so soll es Ihr Schade nicht sein. Ich will rastlos arbeiten, vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht – ich mache sonst für mich, was Tisch und Wohnung anlangt, nicht die geringsten Ansprüche – nur geben Sie mir zweihundert Thaler. Was meine Leistungen betrifft, so sollen Sie damit gewiß zufrieden sein. Ich arbeite nicht schlecht und will mich auf’s Höchste anstrengen, es noch besser zu machen. – Es klingt zwar anmaßend, dennoch sage ich, meine Arbeiten sollen Pariser Modellen nicht nachstehen, und ich bin bereit, Ihnen sogleich Beweise dafür zu geben. – Ich konnte meiner Directrice nicht mehr als hundert Thaler zahlen, der Ausdruck: Pariser Modelle fiel mir jedoch auf, und ich hatte dabei einen Gedanken. Ich ließ Tüll, Band, Blumen und was sonst zur Sache gehört, kommen und das junge Mädchen begann vor meinen Augen mit einem Eifer und einer Geschicklichkeit zu arbeiten, wovon ich auf’s Höchste überrascht war. Ich gab ihr zweihundert Thaler und hatte dabei keinen Verlust. Sie hielt, was sie versprochen hatte; ihre Arbeiten übertrafen an Zierlichkeit und Eleganz Alles, was man jemals bei uns gesehen hatte. Emilie wurde nicht müde, Veränderungen zu treffen, Erfindungen zu machen, und ihre Ideen waren immer so originell und dabei so ansprechend und kleidsam, daß unsre Damen ihr Leben dafür gelassen hätten, diese Hüte oder Coiffüren kämen gradeswegs aus Paris, wie ich ausgesprengt hatte, um Aufmerksamkeit zu erregen!“

August lachte ausgelassen bei der Vorstellung, die schönen Bewohnerinnen seiner Vaterstadt hätten auf Treu und Glauben als Pariser Putzartikel gekauft, was in dem düstern Hinterstübchen seiner Mutter eine Deutsche fabricirt hatte, der man wahrhaftig wenig Esprit ansah. Sein Bruder aber schüttelte mißbilligend den Kopf.

„Ich weiß, was Du sagen willst, Hermann,“ fuhr die Mutter schnell fort, „es ist eine Schwindelei, das Publikum so anzuführen, aber bei Geschäftsleuten kommt es darauf selten an. Auch geschah hier ja Niemand Unrecht, es wurde nur Allen geholfen. Die Putzsachen wären bei all ihrer Schönheit unverkauft geblieben, hätten die Leute gewußt, daß sie hier gefertigt worden; mir wirklich aus Paris Modelle kommen zu lassen, war unmöglich, wer hätte sie denn bezahlt? Und dann war es ja unnöthig, weil Emilie reizend arbeitete. Uebrigens sagte ich den Leuten auch nie gradezu die Unwahrheit, und wenn mich Jemand fragte, ob die Waaren wirklich aus Paris seien, dann wies ich Ihnen nur die saubern Arbeiten Emiliens und die Kopien, welche in der Arbeitsstube darnach angefertigt wurden, und fragte, was sie dazu meinten. Alle riefen dann überzeugt: Welcher Unterschied! Da sieht man doch auf den ersten Blick, was unter den leichten, geschickten Pariser Händen hervorging und was bei uns geprudelt wird! – Meine Käuferinnen waren glücklich in dem harmlosen Wahn, Pariser Putzsachen zu tragen; ich kam aus meiner beschränkten Lage und erhielt ein so einträgliches Geschäft, wie es selten eins gibt, wobei Ihr auch nicht vergessen wurdet. Und selbst Emilie war dabei zufrieden, versicherte wenigstens, es zu sein, obgleich ihre frischen Wangen erbleichten und die anhaltende Arbeit ihren Körper krümmte. – Sie hatte ja ihren Willen und bekam das Geld, welches sie verlangte, und später noch eine Zulage!“

„Aber was fing sie denn nur damit an?“ rief der Studiosus verwundert.

„Sie schickte es ihrem Bräutigam, unterstützte ihn so lange, bis er sich selber forthelfen konnte,“ entgegnete die Mutter.

„Und er ließ dann das arme Geschöpf sitzen?“ fragte der Jüngling.

„Schändlich!“ rief der Baumeister.

„Er erfuhr nie, daß das Geld von ihr gekommen war. Und dann sind wir Menschen auch mitunter recht egoistisch und rücksichtslos,“ sagte Madame Albrecht, und ein Schatten zog über ihr volles, freundliches Gesicht. Sie dachte daran, wie ungern sie es gesehen hatte, als Emilie sie einst verließ, um glücklich zu sein, und wie lieb es ihr gewesen, als sie leidend zu ihr zurückkehrte. War sie nun doch sicher gewesen, daß die geschickte Arbeiterin fortan immer bei ihr bleiben und ihre Kunden sich nicht zu Andern wenden würden, weil sie keine Modelle mehr aus Paris kommen ließ. „Das ist eine lange Geschichte!“ sagte sie, als August die näheren Umstände wissen wollte.

Der Baumeister hatte indeß still nachgedacht, jetzt sagte er: „Damals achtete ich nicht darauf, jetzt besinne ich mich aber, daß ja unser Gustav ihr Bräutigam war, nicht wahr, Mutter?“

Die Glocke ertönte, ein Zeichen, die Gegenwart der Prinzipalin werde im Geschäftslocal gewünscht. Sie bejahte nur kurz die letzte Frage und ging in den Laden.

August war ärgerlich, daß er die Geschichte nicht erfuhr und meinte: „Emilie soll sie mir selber erzählen.“ Sein Bruder wollte ihn zurückhalten, allein er ging zu dem alten Mädchen hinein, das also fast seine Stiefschwägerin geworden wäre und in seinen Augen ein hohes Interesse gewonnen hatte.

Wie gewöhnlich, war Emilie in ihre Arbeit vertieft; auf seine Anrede erhob sie zwar die matten Augen, allein die Frage, welche auf seinen Lippen schwebte, verstummte, als er diesem trüben, glanzlosen Blick begegnete und das wehmüthige Lächeln auf dem erblichenen Gesicht sah. Eine unbescheidene Frage hätte sie ja gekränkt – er unterdrückte also seine Neugier.

Gleich darauf wurde zu Tisch gerufen und der Studiosus hatte während des Mahls eine so große und achtungsvolle Aufmerksamkeit für die alte, sonst geneckte und gehänselte Cousine, daß Fräulein Therese sich darüber sehr wunderte und Mutter und Bruder sich lächelnd ansahen. Nur der Gegenstand seiner Theilnahme bemerkte dieselbe nicht und ging auf seine Unterhaltung nicht ein, obgleich er die verschiedensten Saiten anschlug und von Allem zu reden begann, was nach seiner Meinung ein Interesse für Frauenzimmer haben könne. Nur als seine Mutter und Therese mit ihr über einige Angelegenheiten des Geschäftes sprachen, nahm sie lebhaft Theil daran.

„Im Grunde kann ich es unserm Gustav doch nicht verdenken, daß er sie aufgab!“ sagte August nach dem Essen zu seinem Bruder. „Was hätte er denn mit einer Frau anfangen sollen, die durchweg Putzmacherin ist und für nichts Anderes Sinn hat, als für die kostbaren Gegenstände, welche in ihr Metier schlagen?“

„Nun, vor dreizehn Jahren – denn so lange ist es ja schon her – war sie noch nicht durchweg Putzmacherin,“ meinte der Baumeister. „Ich erinnere mich noch vollkommen, daß sie damals, obgleich sehr fleißig, doch nicht so ganz in ihrem Geschäft aufgegangen war, wie jetzt.“

Er bedauerte das verlassene Mädchen von ganzem Herzen, und besonders leid that es ihm, daß er sie früher in jugendlichem Uebermuth auch oft gequält und aufgezogen hatte und ihr nicht den kleinsten Theil der Achtung und Theilnahme bewiesen, welche sie verdiente. Er ging daher zu ihr, entschlossen, ihre wirklich schönen Arbeiten nach Kräften zu bewundern und ihr dadurch ein Vergnügen zu machen, daß er Interesse für die Dinge äußerte, welche sie ganz in Anspruch zu nehmen schienen.

Emilie war in der That nicht unempfindlich für das bewundernde Erstaunen, welches der Anblick ihrer zierlichen Schöpfungen hervorzurufen pflegte. Sie hatte von Natur viel Sinn und Geschick für geschmackvolle Handarbeiten; der heiße Wunsch, so viel Geld zu erwerben, um ihren Geliebten zu unterstützen, machte eine Art Künstlerin aus ihr, und als später ihre Hoffnungen zu Grabe getragen waren, suchte sie Zerstreuung in der ihr lieb gewordenen Beschäftigung und fand eine kleine Genugthuung darin, daß die Erzeugnisse ihrer Kunstfertigkeit andre dergleichen Arbeiten weit übertrafen. Auch das einfachste, bescheidenste Gemüth sehnt sich, zuweilen sogar unbewußt, nach der Anerkennung seines Schaffens, gehöre dies einem Gebiete an, welchem es wolle.

Emilie war nicht allein; Aline arbeitete bei ihr und gerieth

bei dem Eintritt des jungen Mannes in tiefe Verwirrung. Der

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