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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

hier durch sein lebensgetreues Portrait und eine aus Leben und Umgang gewonnene Lebensskizze zu ersetzen, welche durch die nicht exilirten und nie ausweisbaren Gedichte, die Jedem im Herzen wohnen oder leicht aufzufrischen sind, ergänzt und mit Fleisch und Blut erfüllt werden mag. Eine wirkliche Biographie und vollwürdigende Charakteristik des Dichters zu schreiben, dessen Erlebnisse und Entwickelungen ganz wesentlich dem Allerheiligsten des Herzens angehören, kann hier weder beabsichtigt noch erwartet werden. Diese Aufgabe bleibt zunächst etwaigen Memoiren, einer Selbstbiographie überlassen.

Ferdinand Freiligrath wurde am 17. Juni 1810 in einer Stadt geboren, in deren Straßen der Teutoburger Wald hereinblickt, in Detmold. Südlich hinauf labyrinthet sich das waldige, felsige, schluchtige Schlachtfeld des ersten Sieges deutscher Freiheitskraft, wo Hermann die römischen Legionen des Varus schlug; daneben windet sich die Werra und weiter hinaus winken luftige Sennen mit rothen Erica’s und halbwilden Pferden, die auf dem berühmten Pferdemarkte von Detmold verkauft werden. Detmold besteht aus drei Städten, in denen zusammen 4000 Menschen, darunter brave Leineweber, tüchtige Gerber und fette Brauer wohnen, auch ein deutscher souverainer Fürst, welcher von einem prachtvollen Residenzschlosse aus über ganz Lippe-Detmold herrscht. Auch ist Detmold, wie ich aus dem Conversations-Lexikon erfahren habe, „Sitz der höchsten Landesbehörden“ und hat ein Gymnasium, zu dessen Lehrern der Vater Freiligrath’s gehörte. Die Stadt ist klein, hat alles Mögliche in und ungewöhnliche landschaftliche Scenerie um sich, Alles leicht zugänglich, dicht beisammen und wird so auch dem Kinde, dem die Wiege noch eine ganze Welt ist und das hernach als Mann die unendliche Welt oft zu eng findet, bald ein vertrauter Tummelplatz. Deshalb darf man auch die Wiege großer Männer und deren Umgebung nie unbeachtet lassen, wenn nicht wesentliche Elemente in ihrer spätern. Entwicklung unverstanden bleiben sollen.

Bis zum siebenten Jahre wuchs das Kind in einem vollen, lieben Familienkreise auf, feist, blühend, volllockig und strotzend von übermüthiger Knabenfülle, ein wahres Bacchusmodell. Aber dem siebenjährigen Kinde starb die Mutter! Weder der vielbeschäftigte Vater, noch dienende Personen konnten dem Waisenkinde die Unersetzliche ergänzen, und so lernte er sich einsam und allein in seinem Herzen, in der anregenden Umgegend, ja selbst schon in Versen und Reimen zurechtfinden. Das zehnte Jahr brachte ihm eine zweite Mutter und ihn zugleich auf’s Gymnasium, wo er bald als fleißiger, edelmüthiger und witziger Knabe bei Lehrern und Mitschülern herzlich beliebt ward. Er nannte mir besonders einen Lehrer, Falkmann, mit welchem er in das vertrauteste Verhältniß kam und der einen ganz besonders wohlthätigen Einfluß auf sein Herz und seine Studien ausübte. Er war und hatte sich für eine akademische Carriere bestimmt, die aber durch den Bruder seiner verstorbenen Mutter, Kaufmann in Edinburg, unterbrochen ward. Der Onkel bat, man möchte ihm den Ferdinand als Adoptivsohn anvertrauen, doch müsse er zu diesem Zwecke Kaufmann werden. Zureden, das winkende Vaterland eines Walter Scott und Burns entschieden ihn für den Plan. Um zunächst „Kaufmann zu lernen,“ kam er in die Lehre zu Soest in Westphalen. Aber der Bankerott des Onkels und der Tod des Vaters (1829) wiesen ihn auf einmal darauf an, sich auf eigenen Füßen und durch eigene Arbeit eine Lebensbahn zu schaffen. Nach einigen Versuchen führte ihn der Zufall nach Amsterdam in ein Banquierhaus, wo er sechs Jahre blieb. Die großen Seeschiffe aus aller Welt, die Kisten und Waarenballen mit fremden, weit umher auf beiden Halbkugeln liegenden Städtenamen, die braunen, gelben, rothen und schwarzen Matrosen auf den Decks und in den Takelagen – diese grandiose Scenerie und Kaleidoskopie des Seehafens – erklang bald in jener gewaltigen, unerhörten, hinreißenden Auslands- und kosmopolitischen Poesie aus verschiedenen Zeitschriften und dem Chamisso’schen Musen-Almanach durch Deutschland.

Aus den Gedichten jener Zeit sind zu erwähnen: „Barbarossa“, „Amphitrite“, das „Wetterleuchten der Pfingstnacht“, die „Stimme vom Senegal“ und die „Auswanderer“, der „Mohrenfürst“ und der „Wüstenkönig“ und alle die wilden, sprühenden, stolzen Fremdlinge und Gedanken und Reime, die ihn 1833, besonders auf Chamisso’s und Schwab’s Anmahnungen, als berühmten Dichter aus dem Amsterdamer Banquierhause triumphirend zum freien Musen-Cultus zurückriefen. Wenigstens gab er eine zwischen 1833 und 1839 angenommene kaufmännische Stellung bald wieder auf und lebte nach dem ersten Erscheinen seiner damals sämmtlichen Gedichte unabhängig in Darmstadt. Hier und am Rhein fand sich auch Liebe ein, mit der sich nicht spaßen ließ, so gewaltig und tief ergriff ihn die Neigung zu einer blonden Tochter Weimars, die als Kind Goethe’s Liebling gewesen war, auf dessen Schooße sie gespielt, aus dessen Tasche sie Zuckerwerk genascht hatte. Oft, wenn sie mit den Schwestern unter seinem Fenster spielte, warf er Früchte und Näschereien herunter und immer mit dem Zurufe: „der Aeltesten,“ wofür er sie immer hielt, da sie die größte war. Diese Liebe brachte ihm 1841 am Rhein die Gattin, die ihn bei aller Zartheit und Weichheit des Weibes bisher stark und treu durch ein oft von Gefahren und niederdrückenden Schicksalen getrübtes Leben begleitete, ihm vier herrliche, liebe Kinder gebar und als liebende, reich gebildete Mutter erzog. Die ersten Monate ehelichen Lebensglücks wurden in St. Goar in einem unmittelbar vom Rheine aufsteigenden Hause, in der anmuthigsten Umgebung und mit den mannichfaltigsten berühmten und lieben Gästen genossen. Durch den Kanzler Müller und A. v. Humboldt fand sich auch die Pension für ihn ein, welche durch einen Todesfall vacant, nicht aber vom Könige von Preußen für ihn creirt worden war. Dem Könige gebührt dabei das Verdienst, die aus Verehrung für den Dichter von einem Alexander von Humboldt ausgegangene Befürwortung nicht zurückgewiesen zu haben. Dies verdient beiläufig mit beachtet zu werden, da weder die älteren classischen, noch die neuesten Dichter, noch Dichter überhaupt jemals von den Hohenzollern besondere Beweise der Anerkennung und Gunst erfuhren. Freiligrath macht davon um so weniger eine Ausnahme, als er die ihm zu Neujahr 1842 wie einen rothen Adlerorden vierter Classe zuerkannte kleine Pension, deren Verleihung ihn überraschte, mit Neujahr 1844 schon in den Händen des Königs zurückließ, sie aufgab und dafür seinerseits durch „eines Büchleins kecken Schuß in die Stickluft dieser Tage“ die Welt und die in’s Stocken gerathenen preußischen Illusionen überraschte.

Das ist „ein Glaubensbekenntniß, Zeitgedichte“ (1844). Der gewaltigste politische Dichter war hiermit von jener „höheren Warte“ auf die „Zinnen der Partei“, über die er sich einem Herwegh gegenüber gestellt hatte, herabgestiegen. „Und darin muß ich ihnen allerdings Recht geben,“ sagt er im Vorwort. „Fest und unerschütterlich trete ich auf die Seite derer, die mit Stirn und Brust der Reaction sich entgegenstemmen. Kein Leben mehr für mich ohne Freiheit! Wie die Loose dieses Büchleins und meine eigenen auch fallen mögen: – so lange der Druck währt, unter dem ich mein Vaterland seufzen sehe, wird mein Herz bluten und sich empören, sollen Mund und Arm nicht müde werden, zur Erringung besserer Tage nach Kräften das Ihrige mitzuwirken. Dazu helfe mir, nächst Gott, das Vertrauen meines Volks. Mein Gesicht ist der Zukunft zugewandt!“

Das Volk jauchzte, die preußische Regierung suchte ihn für den Kerker und zwar wegen „Freiheit! Recht!“ und „Am Baume der Menschheit!“

„Der Knospe Deutschland auch, Gott sei gepriesen!
Regt sich’s im Schooß! Dem Bersten scheint sie nah –
Frisch, wie sie Hermann aus den Weserwiesen,
Frisch, wie sie Luther auf der Wartburg sah.

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Ein alter Trieb! doch immer muthig keimend,

Doch immer lechzend nach der Sonne Strahl,
Doch immer Frühling, immer Freiheit träumend –
O wird die Knospe Blume nicht einmal?

Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume

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Wird einst vor allen dieses Deutschland sein!“

Wegen dieser Hoffnungen suchte man ihn für den Kerker, dem er sich durch die Schweiz und später London entzog. Die Knospe barst wirklich. Statt des Dichters steckte man die große Blume hinein.

Nach einem kurzen Aufenthalte in der Schweiz fand er in der City von London einen Wirkungskreis für seine kaufmännische Thätigkeit, bis ihn der erste Dichter Amerika’s, Longfellow, Freunde von ihm und Deutsche überredeten, für eine vom Volke gesicherte Stellung in die neue Welt hinüberzukommen. Am Abende vor der Abreise kam aber ein Brief, der ihn zurückhielt, ein März 1848, der ihn nach Deutschland zurückrief. Die Blume war aufgebrochen. „Die Todten an die Lebenden“ waren ihm vorausgeeilt. Man setzte ihn zu Düsseldorf zwei Monate in Untersuchungshaft. Die ersten Geschwornen Preußens sprachen ihn frei (October 1848). Er betheiligte

sich hierauf an der „Neuen Rheinischen Zeitung“ des Dr.

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