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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

besserer Race, nicht von feinerem und doch kräftigerem Knochenbau, nicht von glänzenderer brauner Farbe, nicht mit prachtvollerem Behang, nicht mit klügerem Auge sehen, als diese beiden edlen Thiere.

„Ein paar Prachtexemplare!“ ertönte es von allen Lippen,

„Die müssen sich auf den Schweiß verstehen!“

„Ja,“ sagte der Unheimliche, „sie wittern ihn unter der Erde! Ich glaube, selbst unter dem Schnee!“ Er sagte es, wie mit absichtlichem Nachdrucke; aber er sah Niemanden dabei an. Dann begann er zu frühstücken.

„Man muß ihn geradezu fragen!“ hatte vorhin einer der Herren gesagt. Es war der Graf Sternfeld. Es ist ein eigen Ding mit dem Geradezufragen.

„Sie scheinen diese Gegend schon ziemlich genau zu kennen, Herr von Lauer,“ hob der Graf Sternfeld an.

„Meinen Sie, Herr Graf?“

„Sie haben für unser Frühstück einen so überaus geeigneten Platz ausgewählt.“

„Gefällt er Ihnen, dieser Platz?“

„Ich finde ihn anmuthig, diese schroffen Felswände, diese mächtigen, alten Tannen. Im Sommer muß es hier reizend sein.“

„Gewiß, Herr Graf.“

„Sie waren im Sommer schon hier?“

Der Gefragte sah auf. Er warf zuerst einen kurzen Blick schnellen Nachsinnens auf den Frager, dann einen längeren, wie des zweifelhaften Ueberlegens, auf den Baron Benzing. Dieser hatte schon lange seine volle äußere Ruhe wiedergewonnen. Nichts an ihm verrieth eine Bewegung in seinem Innern.

Der Unheimliche schien zu überlegen. Er ließ sein Auge über die Gesellschaft an der Tafel gleiten, über die Diener, die seitab lagerten, über die schroffen Felsenwände, in das Dunkel unter den alten Tannen, auf die frische, unberührte Schneedecke zwischen den Tannen und den Felsen, zuletzt auf die beiden schönen braunen Schweißhunde, die in der Nähe dieser Decke, ebenfalls auf dem Schnee, sich ausgestreckt hatten. Dann hatte er seinen Entschluß gefaßt. Und laut und langsam die Worte betonend, antwortete er dem Grafen: „Ja, ich war schon hier, im Sommer, im vorigen Sommer!“

Der Baron Benzing saß ihm gegenüber. Er mußte doch wieder einen Stich in das Herz bekommen haben. Seine Augen flogen in das Weinglas, aber er konnte sie wieder erheben.

Die Anderen waren neugierig geworden. Die Erinnerung an jene geheimnißvolle Geschichte, von welcher der Baron Steinhaus gesprochen und nicht gesprochen hatte, und die eigenthümliche Betonung der Worte des unheimlichen Fremden konnten wohl eine Bewegung in ihnen hervorrufen.

„Ihre Antwort läßt fast vermuthen,“ sagte der Graf Sternfeld, „daß Sie ein Abenteuer hier gehabt hätten.“

„Das hatte ich.“

„Darf man es erfahren?“

„Warum nicht, meine Herren? Es ist nur die Frage, ob Sie es hier gleich anhören wollen?“

„Gewiß, gewiß.“

„Es ist freilich nicht sehr kurz.“

„Wir haben Zeit.“

„Und dann – wenn ich es Ihnen erzählt habe – doch ich erzähle.“

Er erzählte, der unheimliche Mann mit einem unheimlichen Humor:

„Ich reise viel in der Welt umher. Ich bin eigentlich ein stets unsteter Reisender. Es ist ein Schicksal, das in der Welt mich umhertreibt, durch Länder, über Meere, in große Städte, in lebhafte Badeörter, in einsame Wälder. Ich muß es so. Meine Stellung, oder nennen Sie es mein Amt, erfordert das. Ich sehe so auch allerlei Menschen und allerlei Treiben der Menschen. Auch das ist meine Bestimmung. An manche Menschen fesselt mich diese ganz besonders. Zuweilen wissen sie es, noch öfter auch nicht. Es ist dann desto schlimmer für sie. Vielleicht ahnen Sie meine Mission, meine Herren, aber jetzt keine Moral, wenigstens in diesem Augenblicke nicht.

„In einer deutschen Hauptstadt lernte ich schon vor Jahren einen jungen Mann kennen. Er war ein hübscher, talentvoller Mensch, der Sohn braver Eltern; es fehlte ihm nur Eins, ein edles Herz. Er studirte – lieber noch spielte er. Mit dem Spielen junger Leute verbindet sich Vieles, was mehr Geld kostet, als auch das glücklichste, ehrliche Spiel einbringt. Er wurde falscher Spieler. Ein unedles Herz muß gemein werden und wird es bald. Ein gemeines Herz ist eigentlich schon mehr, als ein verbrecherisches. Die betrogenen Cameraden warfen den falschen Spieler aus ihrer Mitte, und die Polizei nahm ihn in ihre Mitte. Die Gerichte verurteilten ihn zu Gefängnißstrafe, doch nur von einigen Monaten. – Aber, meine Herren, vergessen wir unsere Gläser nicht. An ein gutes Ende unserer heutigen Jagd!“

Sie stießen Alle mit ihm an.

„Ah, Herr Baron Benzing, ich bitte sehr um Entschuldigung. Ich stieß wohl zu hart an Ihr Glas; sein Inhalt ist halb verschüttet. Erlauben Sie, daß ich es Ihnen vollschenke.“ Der Inhalt des Glases des Herrn von Benzing war halb verschüttet, aber daß der Baron Lauer zu hart daran gestoßen habe, das mußte wohl ein – höflicher Irrthum des Barons sein. Die Hand des Herrn von Benzing zitterte noch, als er dem Andern sein Glas zum Vollschenken hinhielt. Der Baron Lauer aber sah es nicht, er fuhr fort zu erzählen.

„Ein halbes Jahr später traf ich bei Verfolgung meiner Mission den jungen Mann in der französischen Hauptstadt Er war kein Student mehr, aber er spielte noch, nur anders in Paris, als in der deutschen Hauptstadt. Er selbst war jetzt der Betrogene – im Spiele, anderswo betrog er dafür Andere. Um nicht auf die Galeeren zu kommen, mußte er freilich bald flüchten. Und im nächsten Sommer sah ich ihn als Croupier in einem deutschen Bade. Hier betrog er zwar nicht mehr; er war schon weiter gekommen: er stahl. Er kam noch weiter: in das Zuchthaus, leider nur auf ein Jahr. Nach Verlauf des Jahres war er Dieb und zugleich Betrüger in London. Doch auch nicht lange. Auch in London hat man eine gute Polizei – gegen Diebe und Betrüger. Er wußte wieder nach dem Continente zu entkommen, Er ging nach Hamburg. Er war unterdeß noch weiter vorangeschritten. In Hamburg zeigte er es. Er wußte sich die Liebe eines eben so schönen wie braven Mädchens zu gewinnen. Sie gehörte einer achtbaren, aber wenig bemittelten Bürgerfamilie an. Er stellte sich ihr als einen reichen Erben des südlichen Amerika vor. Er verführte sie; er verdarb sie. Im vorigen Sommer traf ich ihn mit ihr in einem deutschen Bade wieder. Sie mußte reiche junge Leute an sich locken, im Spiele und auf andere Weise ausziehen – für ihn, Er selbst ging unterdeß seinen besonderen Geschäften nach.

„Sie werden ungeduldig, Herr von Benzing! Ich erzähle leider langweilig. Es ist mein Unglück. Aber stoßen wir an, meine Herren. Der Wein stärkt auch die Geduld. Und ich bin bald zu Ende. Ich komme wenigstens zu dem letzten Acte meiner Geschichte.“ Sie stießen an.

„Ah, Herr von Benzing, diesmal war ich nicht wieder so ungeschickt. – Aber, Louis, was haben die Hunde? Sie werden so unruhig,“ Die letzteren Worte richtete der Baron Lauer an seiner Jäger, der mit den beiden Schweißhunden an den Tannen hielt.

Die beiden Thiere waren in der That unruhig geworden. Sie lagen zwar noch, malerisch schön, mit den Köpfen auf ihren Vordertatzen, aber die Nüstern hatten sie spürend in die Höhe gestreckt, und die Augen waren unbeweglich nach einem Punkte hin gerichtet

„Die Thiere müssen wirklich etwas haben, Euer Gnaden,“ antwortete der Jäger.

„Was könnte es sein?“

„Es erhob sich eben ein leichter Wind von den Felsen her.“

„Dort kann nichts sein, gebiete ihnen Ruhe.“

„Kusch!“ gebot der Jäger den Hunden. Die gehorsamen Thiere legten den Kopf wieder ganz auf die Füße, aber nur widerwillig

„Sie sahen und spürten in der That nach den Felsen hin,“ bemerkte der Baron Steinhaus.

„Ich sah es gleichfalls, Herr Baron, aber wenn dort unter dem Schnee nichts ist– und was könnte da sein? Dennoch bleibt es sonderbar. Die Thiere täuschen sich nie. Am Ende ist es wohl nur Ungeduld. Erlauben Sie mir deshalb, kurz fortzufahren.“

Dem Baron Benzing schien das Athmen schwer zu werden. Der unheimliche Erzähler fuhr fort: „Er, der junge Mann, von dem ich Ihnen erzähle – er führte damals im Bade den Namen Urner –“

Der Baron Benzing suchte mit der äußersten Gewalt dem Schlage des Namens zu begegnen. Er vermochte es nicht ganz, und fuhr unwillkürlich von seinem Sitze auf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_615.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)