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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Ihrer Hülfe, lieber Köllern, der Polizei nochmals die genügenden Beweise bringen, daß ich die ganze Zeit, während Jener hier sein Wesen getrieben, über dem Ocean drüben gesessen bin und Gold gegraben habe – dann wandere ich wieder aus.“

„Aber werden Sie das Publicum auch überzeugen können? Ihr Name wird nachher stets als der eines Schuldenmachers gelten.“

„Glücklicher Weise heiße ich Meier“, lachte der Doctor, „und werde mich darüber trösten. Soviel seien Sie versichert, ich schieße mir keine Kugel durch den Kopf, wie jener verrückte Schütz.“

„Und wohin wollen Sie auswandern?“

„Ich gehe wieder nach Californien, sagte der Doctor entschlossen – „wenn auch nicht in den Minen, doch in San Francisco meine Existenz zu gründen. Aber jetzt kommen Sie; es ist elf Uhr vorbei und um elf Uhr bin ich auf die Polizei citirt.“

Vor Gericht konnte sich der Doctor allerdings vollständig legitimiren, und Köllern erkannte, daß seine Vorsicht nicht unnütz gewesen war. Außer seinem Zeugniß legte Meier noch einmal alle seine Papiere vor. Er hatte ebenfalls sämmtliche in Californien erhaltenen Briefe aufbewahrt und in dieser Zeit, wo er mit einem Freunde in Berlin in Correspondenz gestanden, denselben gebeten, seine Briefe und Couverte sorgfältig aufzubewahren. Diese ließ er sich gleich nach seiner Ankunft hier schicken, und da Datum, Handschrift und Postzeichen auf das Unverkennbarste stimmten, war es ihm leicht, mit Köllern’s Aussage seinen langen Aufenthalt in jenem fernen Welttheil unzweifelhaft festzustellen. Frau Dr. Meier wurde bedeutet, daß sie keinenfalls diese Frau Dr. Meier sei; ebenso blieb es den zahlreichen Gläubigern des Verschwundenen überlassen sich ihren Meier aufzusuchen, wo sie eben könnten.

Unser Doctor war aber dadurch noch nicht allen Unannehmlichkeiten enthoben. Allerdings reiste er schon zwei Tage später mit einem rechtskräftigem Passe nach Hamburg ab, sich dort wieder einzuschiffen, die Polizei hatte aber indessen einen Steckbrief hinter seinem Doppelgänger hergesandt, der so genau auf ihn paßte, daß er schon an der Grenze angehalten, aufgehoben und von zwei Gensd’armen begleitet, nach –* zurückgeschickt wurde. Dort mußte er sich noch einmal legitimiren, um nachher, mit abrasirtem Bart, einem andern Paß und falschem Namen, wie ein Verbrecher jeden Polizeidiener fürchtend, seine Reise zum zweiten Mal anzutreten.

Diesmal kam er glücklich durch, erreichte die Seestadt und fühlte sich nicht eher sicher, bis er wieder auf den blauen Wogen schwamm. Vom Heimweh war er indessen gründlich geheilt und hofft jetzt, in einem andern Welttheil – seinem Doppelgänger und dem unglücklichen Namen Meier entgangen – ein neues Leben zu beginnen.


Blätter und Blüthen.

Schweiz und Deutschland. In einer soeben erschienenen Schweizer Schrift: „Mimosen“, von einem Schweizer verfaßt, heißt es wörtlich: „Unter dem Dorfe Zigers[WS 1] steht unweit des rechten Ufers des Rheinstroms und der Brücke, die von Untervaz herüberführt, mit Graben und Wall umgeben, das uralte Schloß Fridau oder Fridnow. Es wird zu Hochgerichtsgefängnissen (die drei Bünde, Zehntgerichten-, Gotteshaus- und Grauer-Bund, zerfallen in 26 Hochgerichte) verwendet. Das Volk nennt es nur den Schelmenthurm. Die Mauern sind schwarzgrau, das Dach ist mit Moos bewachsen, und durch die obern schmalen Oeffnungen saust und pfeift und heult der Wind. Innen aber ist es grauenhaft. Tief unter der Erde befinden sich die Gefängnisse. Kein Strahl des Lichts und kein erfrischender Athemzug des Windes kann in sie dringen. Die dunkelste Dunkelheit und der lebenzerstörende Modergeruch, entsetzlicher als im Schooße der Grüfte, herrscht in ihnen. An Seilen werden die Gefangenen in die schaudervolle ewige Nacht hinabgelassen. Die, welche, um zum Verhör oder vor den Richter gebracht zu werden, hinaufgewunden werden müssen, werden nicht mehr abgeholt, wenn sie keine Antwort mehr geben, weil der Schwarze Tod mit seinem pestartigen Hauche ihr Leben vernichtet. Drunten mögen sie zum Entsetzen der Neuhinabgelassenen fortmodern, bis der Zahn der Zeit das alte Gemäuer zerfressen und die letzten Reste ihrer Gebeine an’s Tageslicht kommen. Von Zeit zu Zeit wird etwa ein Bund Stroh hinabgeschmissen, womit der Gefangene sich auf modernden Gerippen betten mag. Sein Wasser und Brod oder was sonst noch etwa mitunter zugelegt wird, läßt man ihm unter Zuruf, auf da er es ablöse, an Stricken hinab etc.

Außerdem erzählt der Verfasser noch viel von Nattern, Kröten und Molchen. Da derselbe die ausgesprochene Tendenz verfolgt, seinen Lesern eine Art Landeskunde zu bieten, so läßt sich annehmen, daß etwas Wahres daran sein muß, und es fragt sich nun, ob diese Nichtswürdigkeiten mit Genehmigung der oberen Schweizer Behörden geschehen. Wir zweifeln daran, wie wir vorläufig zur Ehre der Menschheit an der Wahrheit der Schilderung überhaupt zweifeln wollen.

Dagegen können wir aus der kleinen Republik eine Thatsache mittheilen, die so recht schlagend beweist, wie dort Vaterlandsliebe und Patriotismus schon von Jugend auf gepflegt und gefördert werden. Die weltgeschichtliche Bergwiese am Vierwaldstätter See, das Rütli, wo der von unserm Schiller so schön geschilderte Schwur der drei Männer von Schwyz, Uri und Unterwalden gen Himmel tönte, sollte Anfangs dieses Jahres an einen Speculanten verkauft werden, der ein Hotel darauf zu bauen beabsichtigte. Die Presse bemächtigte sich sofort dieser Angelegenheit, die sie als eine Schmach für die Schweiz hinstellte, und forderte zu einer Subscription, behufs Ankaufs des welthistorischen Plätzchens, auf. Der Vorschlag, die Aufbringung der dazu nöthigen Mittel (50,000 Francs) der Jugend zu überlassen, fand allgemeinen Beifall und ward sofort in allen Schulen und Privatinstituten in’s Werk gesetzt. Jetzt – nach einigen Monaten – liegt das Resultat vor. Nicht 50, sondern 95,000 Francs sind eingegangen, das Rütli ist angekauft und bleibt ein freies Eigenthum der Schweizer, die sich und ihrer Vaterlandsliebe dadurch ein ehrendes Denkmal setzten. Kein Hotel und Tellergeklirr wird den historischen Platz entheiligen.

Und Deutschland! Das mächtige, große, bundesbeglückte Deutschland mit seinen reichen Fürsten und geldtrotzenden Bankiers und wohlhabenden Bewohnern – was thut Deutschland? Oben auf der Höhe des Teutoburger Waldes, wo Hermann einst das theure Vaterland von römischer Knechtschaft errettete, hoch oben, so recht zur Schande des ganzen Landes, liegen die Steine eines Denkmals, welches ein wackerer Künstler im Vertrauen auf Deutschlands Unterstützung dem edlen Vertheidiger des heimathlichen Bodens errichten wollte. Gesammelt ist allerdings worden, aber Deutschland hat den Künstler schmählich im Stich gelassen. Schild und Arm der kolossalen Statue liegen seit Jahren im – Versatzhause, und der arme Künstler hat seine Arbeit einstellen müssen, da im ganzen großen Deutschland kaum die Kosten des Sockels zusammengeschnurrt werden konnten. Vielleicht hätte eine Pfennigsammlung in den deutschen Schulen das Denkmal vor dieser Schmach gerettet – vielleicht auch nicht! Wo soll auch deutsche Vaterlandsliebe erzogen werden? Wir kennen einen königlich preußischen, sächsischen oder bairischen Patriotismus, aber einen deutschen kennen wir nicht, und am wenigsten wird er unserer Jugend gelehrt. Deutsche Vaterlandsliebe belehnt man im Vaterlande mit Untersuchungen und Verfolgungen, und nennt sie Hochverrath an der Souverainetät deutscher Fürsten!


Allen Freuden des gemüthlichen Humors
wird der bei Ernst Keil in Leipzig erscheinende
Illustrirte Dorfbarbier.
Ein Blatt für gemüthliche Leute
von
Ferdinand Stolle.
Mit komischen Illustrationen und Zeitbildern.
Preis 10 Ngr. vierteljährlich.

bestens empfohlen. Er wird, so der Himmel will, auch ferner sein angebracht Geschäft: Die Politik der alten Jungfer Europia für 10 Ngr vierteljährlich seiner weithin wohnenden Kundschaft vorzusetzen, fortführen, und zwar, wie bisher, allsonntäglich, ohne der Sonntagsfeier zu nahe zu treten. Die Herren Buddelmeyer, Rudelmüller, Breetenborn und der Bildermann sind angewiesen, die einer alten, grilligen und gebrechlichen Jungfer – wie die Europia – schuldigen Rücksichten nicht aus den Augen zu verlieren. Die Beziehungen des Dorfbarbiers zu den Großmächten sind daher ungetrübt.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. gemeint ist Zizers
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_612.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2024)