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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Aber war ein Verbrechen begangen? Man wußte auch das nicht einmal. Man hatte dafür keinen einzigen dringenden thatsächlichen Verdachtsgrund.


Es war im Winter nach den erzählten Begebenheiten.

An einem frühen Morgen – es war noch finster, wie um Mitternacht – fuhren vier junge Herren in einem eleganten offenen Jagdwagen, aber gegen die Kälte durch tüchtige Pelze geschützt, aus dem Thore der Stadt.

Es war eine deutsche Residenz, die Stadt, aus der sie hinaus fuhren. Keine große, aber auch keine der kleinsten. Im Winter hielt sich der Adel des Landes in ihr auf, bei Hofe. Im Sommer war der Adel auf seinen Gütern. Die Güter lagen hübsch, mitunter romantisch schön, die Luft war eine gesunde. Man konnte daher so ziemlich die Bäder entbehren. Bäder sind überdies verzweifelt theuer, und wie der Adel des Landes, gleich der Hauptstadt des Landes, zwar nicht zu den Aermsten gehörte, so war er auch eben kein besonders reicher.

Drei der jungen Herren, die in dem eleganten Jagdwagen, wohl in Pelze gehüllt, aus dem Thore der Residenz fuhren, gehörten dem Adel des Landes an. Der Vierte hielt sich erst seit dem Anfange des Winters im Lande und zwar in der Residenz auf. Er war zufällig auf seinen Reisen dahin gekommen. Ein junger Herr von dem Adel des Landes hatte ihn dort getroffen. Sie hatten sich vor einem Jahre in London gesehen, beide als Touristen. Sie erkannten sich.

„Wie kommen Sie hierher, Herr von Benzing?“

„Zufällig. Wohin kommt ein Reisender nicht!“

„Sie reisen also noch immer?“

„Noch immer. Aber wie treffe ich Sie hier, Herr von Mangold?“

„Ich bin hier in meiner Heimath.“

„Ah!“

„Und es lebt sich im Winter ganz angenehm hier.“

„Ich glaube es,“ sagte der Herr von Benzing, der Fremde, der just nach einer vorbeifahrenden Equipage gesehen, in der eine sehr schöne Dame saß.

„Sie glauben es, und sind gewiß völlig unbekannt hier?“ fragte der Andere.

„Wo man solche Schönheiten hat!“

„Ah, es war meine Cousine. Sie gehört kaum zu den Schönsten unserer Damenwelt,“

„Teufel, Herr von Mangold, ich möchte hier bleiben,“

„Thun Sie das, Herr von Benzing. Ich führe Sie in unsere Gesellschaft ein.“

„Topp!“

Am anderen Tage war der Baron Benzing, ein sehr reicher junger Mann aus einem alten und edlen Geschlechte Tirols, in die Gesellschaft der Residenz eingeführt. Er war ein schöner junger Mann; er hatte Geist, Witz; er hatte die halbe Welt gesehen; er war der angenehmste Gesellschafter. Er konnte unterhalten, tanzen, den Hof machen. Er konnte fechten, reiten, jagen, spielen.

Er war bald der Held der Gesellschaft. Den Damen machte er den Hof, den jungen wie den alten. Mit den Herren spielte er, allerdings wohl meist mit den jungen, denn alte Herren verlieren nicht gern im Spiele, und er hatte Glück im Spiele. Mit den Herren jagte er auch. Heute war er unter den vier jungen Herren, die in dem eleganten Jagdwagen aus der Residenz fuhren. Sie fuhren zu einer Jagd.

Ein anderer junger Herr aus der Gesellschaft der Residenz gab diese Jagd, in den Forsten seines Gutes, etwa fünf Meilen von der Residenz entfernt. Er hatte nur die vier Freunde dazu eingeladen, und war selbst schon seit mehreren Tagen zu seinem Gute vorausgereist, um Anstalten zu der Jagd und zu dem Empfange seiner Gäste zu treffen. Um neun Uhr Morgens sollte die Jagd beginnen. Es sollte eine kleine Treibjagd sein. Noch vor fünf Uhr früh waren die vier Herren ausgefahren. Sie hatten tüchtige Renner vor dem Wagen. Auf dem halben Wege stand ein Relai. So konnten sie bequem um acht Uhr auf dem Schlosse des Freundes sein. Ein Frühstück sollte sie dort erwärmen und erfrischen. Dann sollte die Jagd beginnen.

Es war in den kürzesten Tagen des Jahres. Sie fuhren beinahe zwei Stunden lang in voller Finsterniß der Nacht. Sie sahen weit und breit nur Schnee. Der Winter war bis dahin mild gewesen. Es hatte erst in der letzten Zeit angefangen zu frieren, erst seit wenigen Tagen; der Frost war nur ein sehr gelinder. Zu ihm hatte sich alsbald der Schnee gesellt; er war auf der Frostdecke als neue Decke liegen geblieben. Seit gestern war es erst klares Wetter. Als der Tag graute und man die Gegend einigermaßen unterscheiden konnte, befanden die Jäger sich schon in tiefem Forst. Die Relaistation hatten sie schon weit hinter sich. Sie blieben lange zwischen den Bäumen, die fast völlig einförmig und ohne Abwechslung zu beiden Seiten eines einförmigen Fahrweges standen.

Erst als es voller Tag geworden war, fing auch die Gegend an, anders zu werden. Das Land wurde hügelig, beinahe gebirgig, der Wald wich von der Straße zurück; dagegen zeigten sich oft wunderlich geformte und gruppirte Felsenpartien. Aber immer blieb es einsam; keine menschliche Wohnung an der Straße, zwischen den Felsen, unter den Bäumen. Zu einer anderen Jahreszeit, unter einer anderen Decke, als der eintönigen Leichenbedeckung des Schnees, mußte es hier schön und romantisch genug sein, wenn auch einsam und wildromantisch.

Die drei Herren, die in dem Lande zu Hause waren, mußten auch schon diese Gegend kennen, sie fiel ihnen nicht mehr auf. Desto aufmerksamer schien sie dann und wann der Baron Benzing zu betrachten. Freilich mit einer eigenthümlichen Aufmerksamkeit, plötzlich, wie unwillkürlich, wie in einer auf einmal in ihm aufblitzenden Erinnerung, so, als wenn er sie gleichfalls schon kenne und sich gänzlich unerwartet in ihr wiederfinde, oder aber, als wenn er doch darüber zweifelhaft sei, ob er sie wirklich kenne. Seine Gefährten nahmen indessen keine Notiz davon.

Das Schloß des Freundes wurde erreicht. Der Wirth empfing sie; das Frühstück erwärmte und erfrischte sie. Die Anstalten zur Jagd waren getroffen. Auf dem Hofe vor dem Schlosse wimmelte es von Hunden, Jägern und Treibern. Von dem Hausherrn wurde noch ein Gast erwartet.

„Ein Original,“ sagte er. „Ihr werdet Euch zuerst an ihn gewöhnen müssen, dann wird er Euch gefallen.“

„Die neue Bekanntschaft wird anfangs also eine langweilige sein?“

„Ich fürchte,“ erwiderte der Wirth, der Baron Steinhaus. „Er ist ein etwas ernster, trockner, pedantischer Gesell.“

„O weh!“

„Aber wenn man ihn näher kennt, gewinnt man ihn lieber. Er hat einen scharfen Geist, treffende, schlagende Bemerkungen, und ist ein famoser Jäger. Er findet immer Wild, trifft die Mitte des Blattes auf einen Nadelknopf, und seine Hunde sind bezaubernd.“

„Sein Name, Baron?“

„Baron Lauer.“

„Woher? Der Name ist hier unbekannt.“

„Er ist fremd.“

„Kennen Sie ihn schon lange?“

„Erst seit Kurzem.“

Das Gespräch über den Baron Lauer wurde unterbrochen durch ein Botschaft von ihm. Er sei, schrieb er, durch einen Zufall verhindert worden, zu der versprochenen Zeit sich einzufinden. Er werde später nachfolgen. Er kenne die Dispositionen der Jagd; man möge nicht auf ihn warten.

Die Gäste wollten ihren Wirth noch mehr über ihn fragen.

„Ihr werdet ihn ja kennen lernen,“ erwiderte er ihnen.

(Schluß folgt.)


Das Fischspeeren der Indianer.

Die Indianer wissen, welch einem Schicksale sie entgegengehen; sie wollen eben lieber untergehen, als sich civilisiren lassen. Der Häuptling Chicito, welcher vor einigen Jahren mit den amerikanischen Generalen Houston und Nusk in Austin in Texas eine Zusammenkunft hatte, sagte: „Es ist wahr, bald werden wir kein Pferd mehr haben, um unsere Todtengräber zu bezahlen, und die Zeit scheint zu nahen, da Niemand mehr da sein wird, den Letzten unseres Stammes zu beweinen. Wir müssen den Weißen weichen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_600.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2018)