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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 42. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Aus dem Gedenkbuche der Gartenlaube.

Gehet unerschrocken vorwärts! Ihr seid Christen und als solche für das Licht geboren und getauft. Ihr seid Protestanten, Ehret auch in Zukunft, wie bisher, den Geist unserer ehrwürdigen Reformatoren dadurch, daß Ihr denket und prüfet, erwählet und verwerfet, zunehmet und wachset. Werdet nie der Menschen Knechte! Die reine Lehre ist eine vernünftige Lehre, und die wahre Wiedergeburt ist ein rechtschaffenes Leben!

Witschel, im Jahr 1801.


Der Unheimliche.
Vom Verfasser der „Neuen Deutschen Zeitbilder“.
(Fortsetzung.)

Die Beiden saßen neben einander, wie zwei junge Leute, die sich wahr und herzlich lieben, und mit Wahrheit und Herzlichkeit über ihre Lage und ihr Leben, also zunächst über ihre Vergangenheit und Zukunft sich gegenseitig ihr Herz öffnen wollen.

„Ich weiß es, Max, daß Sie mich lieben!“

„Und Sie, Marianne?“

„Es macht mich glücklich.“

„Wie froh mich diese Worte machen!“

„Aber wenn wir recht glücklich werden und glücklich bleiben wollen, so müssen wir uns über Manches vorher verständigen.“

„Reden Sie, Marianne, ich werde mein Herz und mein Leben offen vor Ihnen darlegen.“

„Das werde auch ich. Lassen Sie uns zuerst von Ihnen sprechen. Der Grund wird Ihnen klar werden, Sie sind ein Kaufmannssohn aus Hamburg?“

„Ja.“

„Sie gehören dort einer sehr geachteten Familie, einem angesehenen Hause an?“

„Auch das ist so.“

„Sie sind unabhängig?“

„Völlig.“

„Können sich also auch frei eine Gattin wählen?“

„Ich bin durch nichts darin gebunden,“

„Aber Ihre Familie ist aristokratisch -“

„Marianne?“

„Und reich?“

„Um so weniger Rücksichten habe ich bei meiner Wahl zu nehmen.“

„Jetzt lassen Sie mich von mir sprechen.“

„Bedarf es dessen wirklich noch? Kenne ich Sie nicht?“

„Nein, Max. Ich bin das Kind armer Handwerksleute. Meine Eltern ließen mir dennoch eine bessere Erziehung geben, als Kinder in dem Stande sie zu erhalten pflegen. In meinem funfzehnten Jahre wurde ich Waise und mußte durch Dienen bei fremden Leuten mein Brod suchen. Ich wurde Ladenmädchen und kam zu braven Leuten. Der Mann war kränklich und starb nach wenigen Jahren. Ich führte das Geschäft allein, und hatte dabei das Glück, mir die Liebe der Wittwe zu erwerben. Sie war eine brave Frau. Auch sie ist vor einem halben Jahre gestorben und hat keine Kinder und keine Verwandten hinterlassen, aber ein für ihre Verhältnisse bedeutendes Vermögen. Sie hat mich zu ihrer alleinigen Erbin eingesetzt, und so kann ich unabhängig leben, aber, wie stets bisher, so auch ferner nur in untergeordneten, kleinen, stillen Verhältnissen. Auch schon meine Kränklichkeit würde mich dazu bestimmen. Mein Körper war immer zart, und von früher Kindheit war ich zu harter, rastloser Arbeit verurtheilt; das hat vor der Zeit meine Kräfte verzehrt. Und nun, Max, lassen Sie mich zu Ihnen zurückkehren. Sie gehören einem reichen, aristokratischen Kaufmannshause an. Sie sind in den ersten Kreisen der großen Handelsstadt aufgewachsen und haben immer nur in der großen Welt sich bewegt. Vermöge Ihres ganzen Wesens, Ihres Geistes, Ihrer Bildung, Ihrer Lebhaftigkeit, Ihrer äußeren Persönlichkeit, Ihrer Gewohnheit, kann auch ferner Ihr Platz nur in der großen vornehmen Welt sein. Dahin gehöre ich aber nicht.“

Das brave Mädchen hatte mit ihrer vollen Ruhe, Klarheit und Wahrheit aus ihrem Innern herausgesprochen. Es war kein Atom von falscher Bescheidenheit, von Heuchelei in ihren Worten. Darum war ihr auch weh genug ums Herz geworden, als sie den Schluß aussprach, auf den doch jedes ihrer Worte hingewiesen hatte. Ihre Sprache zitterte, sie durfte den jungen Mann nicht ansehen.

Aber die Liebe, die in dem Allen lag, konnte Max Urner nicht entgehen. Und welcher Frauenliebe wäre auf die Dauer Widerstand möglich?

Nach einer Viertelstunde war auch der der armen Marianne Bohle gebrochen. Sie lag mit Thränen, aber mit den glücklichsten Freudenthränen, in den Armen des jungen Mannes.

„Wenn Ihnen ein einfaches, reines und treues Herz genügen kann, dann bin ich die Ihrige.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_597.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)