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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

verlassen und sich in entfernte Gegenden verpflanzen zu müssen. Es ist noch härter, alle diese Opfer nicht irgend einem großen, edlen, das Wohl des Ganzen fördernden Zweck zu bringen, sondern um der gesetzlosen Uebermacht zu entgehen, um – doch es gibt ein richtendes Gewissen und eine strafende Gottheit!

Diese männlich kühne Sprache verfehlte ihre Wirkung nicht; sie erregte Furcht und Begeisterung im ganzen Vaterland.

Die großen Verdienste, welche sich Stein in seiner Verwaltung erwarb, lenkten die Aufmerksamkeit des Königs auf ihn, der ihm die durch Struensee’s Tod erledigte Stelle eines preußischen Finanzministers antrug. Aus Bescheidenheit lehnte Stein anfänglich ab, indem er sich die zu einem so wichtigen Posten nöthigen Kenntnisse nicht zutraute; erst auf wiederholtes Dringen entschloß er sich zur Annahme. Im December 1804 trat er seinen neuen Wirkungskreis an, worin er sein administratives Talent von Neuem bethätigte. Indem er durch Aufhebung der äußerst kostspieligen Salzadministration zunächst Ersparnisse zu machen suchte, verfolgte er vor Allem das Ziel, welches ihm vorschwebte, durch Befreiung von allen beschränkenden Fesseln den Handel zu heben und den Wohlstand des Landes zu mehren. Zu diesem Ende setzte er bei dem Könige die Aufhebung aller Provinzial-, Wasser-, Land- und Binnenzölle durch, eine Maßregel, die den Ausgangspunkt einer neuen freisinnigen Handelspolitik bezeichnete und von den segensreichsten Folgen begleitet war. Andere bedeutende Reformen, an deren Durchführung Stein arbeitete, wurden damals durch den Gang der politischen Ereignisse aufgehalten.

Eine neue Coalition, an deren Spitze England stand, hatte sich gegen Napoleon gebildet, der den Kaisertitel angenommen und durch die Besetzung von Hannover und seine Uebergriffe in Italien, Holland und der Schweiz den Frieden und das Gleichgewicht Europas störte. Mit England hatte sich Rußland verbunden, welchem das gedemüthigte Oesterreich und Schweden sich anschlossen. Wieder hing das Schicksal der Welt von Preußens Entscheidung ab. Am Hofe hatten sich zwei Parteien gebildet, an der Spitze der einen, welche für einen engen Anschluß an Frankreich stimmte, befanden sich Haugwitz, Lombard und die Generale Möllendorf, Kalkreuth, Zastrow, Köckeritz, Knobelsdorf, während Hardenberg, Blücher, Stein und vor Allen der hypergeniale Prinz Louis Ferdinand dagegen eiferten und zum Kriege gegen Napoleon drängten. Unentschlossen schwankte Friedrich Wilhelm zwischen diesen entgegengesetzten Meinungen; so entstand jene zweideutige, unzuverlässige preußische Politik, welche zu der verderblichsten Neutralität führte. Der König wollte nach keiner Seite Partei nehmen, den Vermittler spielen und gerieth dadurch mit Allen in Streit. Er verweigerte den Russen den Durchzug und überwarf sich mit Napoleon, als dieser, ohne erst anzufragen, das preußische Gebiet von seinen Truppen betreten ließ.

(Fortsetzung folgt.)




Einiges über die sogenannten Universalmittel.
Von C. Schmitz.

Die Menschheit ist in ihrem bei weitem größten Theile mit ihrem Verstande noch nicht so weit auf’s Reine gekommen, daß sie die ihr innewohnende Sucht für das Abergläubige, Wundergläubige, Unnatürliche aufgeben und dafür die gesunde Vernunft in ihr angestammtes Recht einsetzen sollte. Das Gefühl vom Mystischen, Unerklärlichen, Unnatürlichen ist Jedem, der nicht mit Ernst dem Studium der Natur obliegt, zu sehr an’s Herz gewachsen, als daß er dagegen die allzu geringe Kenntniß der Naturgesetze durch seinen Verstand zur Geltung bringen könnte. Es zeigt sich hierin förmlich ein krankhaftes Sträuben des Menschen gegen seine gesunde Vernunft, und daß dieser Gegensatz etwas Krankhaftes sein muß, liegt schon in dem alten Ausdruck „gesunde Vernunft“. Wie wäre es auch sonst zu erklären, daß sogar gebildete Leute gegen die einfachsten Naturwahrheiten trotzen? Versuche einmal, einer Frau ihre über Nacht gehabte Geistererscheinung auf natürlichem Wege zu erklären, indem Du ihr etwa zu überlegen gibst, ob nicht auch vielleicht der Mondschein diese Täuschung hervorgebracht haben könnte, so bist Du von vorn herein ihr abgesagter Feind. „Greifen kann man nur das Greifbare“, „sehen kann man nur das Sichtbare“ u. dergl., solche einfache Naturgesetze sind diesen Leuten geradezu abgeschmackt; sag’ ihnen dagegen: „Auch das für den gewöhnlichen Menschen Unsichtbare kann das Auge des Erleuchteten schauen,“ so wird solche Behauptung von vorn herein als wahr anerkannt und viel beifälliger aufgenommen, schon weil Niemand zu den gewöhnlichen Menschen gehören will, selbst um den Preis – Gespenster sehen zu müssen.

Diejenige Sorte von Gespenstern, mit welchen wir uns hier specieller beschäftigen wollen, sind die sogenannten Universalmittel. Man wird den Uebergang von den obigen allgemeinen Betrachtungen zu unserem Gegenstande sonderbar finden. Aber ist die Erscheinung eines Universalmittels nicht wie ein Gespenst? Es erscheint plötzlich, fanatisirt alle Welt, die Menschen stürzen sich ihm blindlings in die Arme, dann verraucht der Fanatismus, des Mittels Universalheilkraft ist verduftet und – „ward nicht mehr gesehn.“ – War die Somnambule in der Blumenstraße in Berlin etwa nicht ein solches Gespenst? Oder reist etwa heute noch Jemand zum heiligen Rock nach Trier, um sich heilen zu lassen? Nein! aber das will nichts sagen, denn von ihrem Aberglauben werden die Leute doch niemals geheilt; taucht ein neues Gespenst, ein neuer Wunderdoctor auf – der Fanatismus ist gleich wieder da. Du, der Du Dich heute schämst, vor Jahren zum heiligen Rock gewallfahrtet zu sein, Du läßt Dir vielleicht morgen schon von einer alten Frau Dein Blut besprechen, und findest es ganz selbstredend, daß Dein Blut durch die Zauberformel mit den obligaten drei Kreuzen sympathetisch (!) zum Stillstand gebracht worden sei; während die natürliche und vernünftige Erklärung, „daß das Blut die Eigenschaft habe, nach einiger Zeit an der Luft zu gerinnen, wodurch sich die Blutgefäße selbst verstopfen,“ Dich vollständig kalt läßt. Was hätte auch „die unerlaubte (!) Selbsthülfe der Natur“ für eine Berechtigung, von Deinem Begriffsvermögen acceptirt zu werden, gegenüber der klar zu Tage liegenden Zauberkunst der alten Frau?!

Da treten mir nun aber sieben Leute entgegen, die alle sieben mit pharisäischer Ruhmredigkeit ausrufen: „Herr Gott, ich danke Dir, daß ich nicht so dumm oder abergläubig bin, wie einer von Jenen! Ich habe für alle Gefahren dieses Lebens ein wirkliches handgreifliches Universalmittel, welches mir durch die ihm wirklich innewohnende Heilkraft in allen Fällen hilft.“ Der Eine schwärmt für die Universalheilkraft des Bullrich’schen Salzes und würde es für eine Sünde hatten, irgend ein anderes Medicament jemals über seine Lippen zu bringen. Der Andere sucht sein ganzes körperliches Heil in Morison’s Pillen. Der Dritte geht von der Muttermilch direct zu Petsch’s Aepfelwein über und genießt sein Lebtage nichts Anderes, als den wunderthätigen Saft des Apfels. Der Vierte verdankt seine ganze Gesundheit der Revalenta arabica, und wie sollte er auch nicht? Ist doch das schöne Wort „Revalenta“ allein schon das „Wiedergenesen“! Der Fünfte zwingt Alles mit dem reinen, kalten, frischen, klaren Wasser, womöglich einem Bergquell entnommen; rein macht wieder rein, das ist natürlich. Der Sechste trägt seine Haut nur noch dem Braunscheidtismus zu Markte, denn seitdem auch das kalte Wasser ihm nur geschadet hat, glaubt er an kein anderes Mittel mehr. Und der Siebente endlich haßt alle Mittel, mögen sie naß oder trocken sein, und wirft sich ganz und gar dem wunderthätigen Imponderabile, der Elektricität, in die Arme. Das sind sieben Fanatiker, die sich alle sieben auf ihren Glauben todtschlagen lassen, und kein einziger von ihnen wird eingestehn wollen, daß er sich von Aberglauben oder Wunderglauben leiten lasse.

Wer hat denn nun aber von allen diesen sieben Leuten den besten Glauben? – Der gesunde Menschenverstand entscheidet diese Frage mit kaltem Blute und ohne Vorurtheil, und sagt natürlich: Keiner von ihnen! Sie sind alle Sieben verblendet, sie haben Augen, aber sehen nicht, – sie haben Ohren, aber hören nicht, Sie haben ihre Mittel gebraucht, – jeder ein ganz anderes, sie sind gesund geworden, und haben nur die Unachtsamkeit begangen, daß sie nicht bemerkt haben, wie die Natur so eigenmächtig verfahren ist und sich mit „unerlaubter Selbsthülfe“ ganz heimlich in die Gesundheit hineingeschlichen hat, und zwar in der großen Mehrzahl der Fälle nicht weil, sondern obgleich eines jener Mittel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_587.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)