Seite:Die Gartenlaube (1859) 582.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

und wo er auch herkam, da hatte sich irgend eine Unthat, ein Unglücksfall zugetragen.

Hinten an dem brennenden Hause wurde es lebendig. Ein junger Mann hatte sich von der Mitte des Platzes aus durch die Leute gedrängt. In der Nähe des Hauses maß er es noch einmal mit einem raschen Blick, als wenn er eine Stelle suchte, an der er hinein dringen könnte. Allein unten stand Alles in vollen Flammen. Keine Thür, kein Fenster, keine andere Oeffnung war da, welche die Möglichkeit eines Einlasses dargeboten hätte. In dem zweiten Stock, dem, in welchem die Unglückliche sich befand und um Hülfe rief, waren die Fenster noch immer von dem Feuer nicht ergriffen. Aber die längste Leiter reichte nicht bis dahin, und wenn auch, konnte man sie mitten in die Flammen der unteren Theile stellen? Unmittelbar war in das brennende Haus nicht zu gelangen.

Der junge Mann hatte mit seinem raschen Blicke schnell weiter beobachtet. Er eilte an eins der beiden nächsten Nachbarhäuser. Sie waren beide von dem Feuer noch verschont; der ungeheuersten Anstrengung der Spritzen war es noch geglückt. Ferner konnte es nicht gelingen. Arbeitsleute waren daher beschäftigt, sie, wenigstens die Theile nach dem brennenden Hause hin, niederzureißen. Zu den Arbeitsleuten an einem der Häuser stürzte der junge Mann. Zwei von ihnen, die mit Aexten versehen waren, riß er mit sich fort. Eine Brechstange, die herrenlos da lag, ergriff er selbst.

„Oben ist dringendere und bessere Arbeit, und – zwar nicht hundert Pfund, aber hundert Thaler Euch, wenn sie glückt.“

Die Leute folgten ihm. Er stürzte vor und mit ihnen in das Haus hinein, das niedergerissen werden sollte, an dessen Niederreißen sie mit gearbeitet hatten. Alle drei verschwanden in dem Hause.

„Wer ist der junge Mann? Was mag er wollen?“ das waren Fragen, die man von Mund zu Mund auf dem Platze hörte.

Man kannte ihn. Er war seit etwa vierzehn Tagen hier. Urner war sein Name. Er sollte ein reicher Kaufmannssohn aus Hamburg oder Bremen sein. Er hatte die Aufmerksamkeit der Badewelt besonders dadurch erregt, daß er einer nicht mehr ganz jungen, kränklichen Dame angelegentlich den Hof machte. Die Dame sollte zudem eine Ladenmamsell sein. Manchem gefiel er nicht. Niemand konnte aber sagen, was ihm an ihm mißfiel. Man mochte ihm daher auch Unrecht thun.

Auffallend war indeß der Unheimliche, als der ihn ebenfalls sah. Er stutzte, dann erkannte er ihn, dann durchzuckte sein Gesicht ein Zug plötzlichen, heftigen, finsteren Zornes. „Du hier, Elender?“ glaubte man ihn rufen zu hören.

Was der junge Mann mit den beiden Arbeitern wollte, war unschwer zu errathen. In das brennende Haus konnte er unmittelbar nicht gelangen. Aber das brennende Haus und das Nachbarhaus hatten eine gemeinschaftliche Brandmauer. Diese wollte er einschlagen lassen, durch sie wollte er in jenes eindringen, zu der Unglücklichen gelangen, sie retten. Aber ob er seinen Zweck erreichen werde, erreichen könne? Brandmauern sind stark; auch Aexte und Brechstangen können stundenlang arbeiten, ehe sie eine Lücke nur zum Durchkriechen hineinschlagen. In einer halben Stunde konnten die Arbeiter das Haus unten eingerissen haben, und es fiel Alles in einander. In höchstens einer Viertelstunde mußte das brennende Haus in allen seinen Theilen von den Flammen ergriffen sein, und wenn es dann auch noch gelang hindurchzudringen, ein Menschenleben war nicht mehr zu retten, nur eine Leiche konnte noch der vollen Verzehrung durch die Gluth entrissen werden. Eine besondere Schwierigkeit war endlich noch dadurch gegeben, daß das Fenster, also auch das Gemach, in welchem man die Unglückliche sah, sich nicht unmittelbar an dem Nachbarhause befand, sondern von diesem durch ein anderes Gemach getrennt war, vielleicht gar ohne eine Verbindungsthür. Noch eine zweite Mauer war dann zu durchbrechen. Neuer Zeitverlust, wenn auch das Seitengemach nicht schon von Feuer und Rauch erfüllt war und einen Durchgang zuließ.

Auf dem Platze war es wieder still geworden. „Wird es ihm gelingen?“ hörte man noch Stimmen ängstlich fragen. Dann vernahm man keine Stimme mehr.

Auch die Dame rief nicht mehr. Man sah sie noch. Ihr Haupt lag auf dem Kreuze des Fensters niedergebeugt, nur die Augen waren gen Himmel gerichtet. Sie rief die Hülfe der Menschen nicht mehr an; sie hatte sie genug vergeblich angerufen. Sie erflehte die Hülfe des Himmels.

Es war eine grausige Stille, die herrschte. Unter den tausend Zuschauern kein Laut, keine Bewegung. Die Arbeiter hatten, wie in augenblicklicher Ueberraschung, ihre Arbeiten eingestellt. Selbst die Spritzen ruheten einen Augenblick. Nur das Feuer prasselte, Balken krachten. Und oben in dem Fenster die Betende, und unmittelbar über ihr das prasselnde Jener. Das Alles konnte hinein wohl das Herz zuschnüren.

„Wird es ihm gelingen, sie zu retten?“ Das war die einzige Frage, die in aller Herzen bebte.

Man hörte Schläge in dem Nachbarhause. Die fielen oben, in einer Höhe mit dem Fenster, in dem die Unglückliche lag. In manches Herz strömte Hoffnung.

Aber das Feuer in dem brennenden Hause hatte weiter gegriffen. Auch in jenem zweiten Stock fing es an zu brennen, dicht neben der Dame. Zum Glück auf der entgegengesetzten Seite von der, auf welcher die Versuche zu ihrer Rettung gemacht wurden.

Die Arbeiter mußten ihr Zerstörungswerk wieder aufnehmen. Die Spritzen mußten sich wieder in Bewegung setzen. Man vernahm kein anderes Geräusch mehr, auch nicht mehr das Schlagen der Aexte. Das Feuer drang wie mit rasender Hast näher zu der Unglücklichen. Schon durch das Fenster neben dem ihrigen sah man den hellen Schein der eindringenden Flamme. Noch wenige Minuten und Alles war vorbei. Und die Minuten flossen dahin, langsam, bleiern, und doch schnell, unaufhaltsam reißend.

Wo waren die Retter? Man sah und hörte sie nicht. Die tödtende Flamme sah man desto deutlicher, heller. Sie erfüllte das Zimmer neben der Unglücklichen. Auf einmal ein furchtbarer Schrei. Die Dame stürzte von dem Fenster zurück. Das Feuer war in das Gemach gedrungen. Man sah sie wieder zu dem Fenster hinstürzen, wie eine Wahnsinnige. Sie konnte es nicht mehr erreichen. Sie war verschwunden, sie mußte niedergesunken sein in dem brennenden Gemache. Und ihr Retter?

Es blieb still da oben. Kein Hülferuf, kein Angstschrei mehr, aber auch kein anderer Laut, und auch keine Bewegung, keine Gestalt eines Menschen. Man sah nur die Flammen, man hörte nur ihr Prasseln. Eine Minute später sah und hörte man mehr. Ein donnerähnliches Krachen erfüllte die Luft. Das Feuer hatte sämmtliche Theile des Hauses ergriffen und verzehrt. Das Haus stürzte zusammen,

„Sie sind Alle todt und begraben!“ riefen tausend todtbleiche Lippen auf dem Platze.

Sie waren es nicht, kein Einziger war es.

Aus dem Nachbarhause kamen sie Alle hervor, unversehrt, auch die Dame. Sie war gerettet.

Hunderte von Augen weinten Freudenthränen. Aber Eins war auffallend. Die Dame war entkräftet, erschöpft, einer Ohnmacht nahe. Sie mußte halb getragen werden. Doch nicht der junge Mann, ihr Retter, trug sie. Er hatte sie den beiden Arbeitern überlassen. Diese hielten die Halbtodte, aber Gerettete triumphirend, freudestrahlend in den Armen.

Er, der sie gerettet, ging finster, in sich gekehrt hinterher, und als er draußen war, warf er noch einen Blick auf sie, um sich zu überzeugen, ob sie außer aller Gefahr sei, dann war er plötzlich verschwunden. Man mochte sich nach ihm umsehen, wie man wollte, er war nicht mehr da. An der Stelle, wo er gestanden hatte, stand der Unheimliche. Der warf erst einen traurigen Blick auf die Gerettete, dann blickte er finster in die Gegend, in welcher der junge Mann verschwunden war.

Wer die gerettete Dame war? Das hatte Niemand gewußt. Einige mochten es wohl wissen, aber sie sagten es nicht, sie hätten es wenigstens in den Augenblicken der entsetzlichen Gefahr nicht sagen können, und in dem erhabenen, heiligen Momente, da das Werk der Rettung vollbracht war, gewiß nicht. –


Jede Badewelt theilt sich in Coterieen, die Damen mehr als die Herren. In jeder Coterie führen Damen die Herrschaft, – für das nichtsthuende Badeleben doppelt recht und billig. Die herrschenden Damen sind in den einzelnen Coterieen nur wenig verschieden. Gewöhnlich sind es ältere Damen, die auch dort, wo sie zu Hause sind, eine gewisse Stellung einnahmen, und jetzt ein gewisses Embonpoint haben. In den höheren Kreisen sind es alle Generalinnen, verwittwete und nicht verwittwete Präsidentinnen, Gräfinnen von uraltem Adel und großem Reichthum. Ministerinnen

sind heutiges Tages nicht mehr darunter. Denn die Minister heutigen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_582.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)