Seite:Die Gartenlaube (1859) 574.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

diesen Melusinen, Theodolinden, Thekla’s und Amenaiden Gesellschaft zu leisten. Das Gesicht des Verfassers der „Sabina“ hatte eine große Menge Züge aufzuweisen, die alle dasselbe ausdrücken, nämlich unbeschreibliches Wohlgefallen an jugendlichen und sich entwickelnden Reizen, und eben brachte er den ganzen Vorrath dieses Muskelspiels in Anwendung, als er zu seinem Schrecken bemerkte, daß eine Bewegung im ersten Salon stattfand, wodurch die Blicke einiger alten Damen in das Nebenzimmer gelenkt wurden.

Elisa erhob sich, um das Zeichen zum Beginn der Vorlesung zu geben. Sie legte die Fingerspitzen auf den Arm ihres Verwandten, eines Reichsgrafen von Medem, und dieser führte sie in den zweiten Salon. Der ganze Zug, Herren und Damen, folgte. Zugleich begab sich die Prinzessin von Hechingen an das Clavier, denn das Recitiren der Verse sollte mit Musik durchflochten und einzelne Lieder aus dem Texte, von Himmel componirt, frei vorgetragen werden.

Eine tiefe Stille herrschte im Gemache. Man hatte sich gestellt und gesetzt in einer gewissen Ordnung; die Herren standen, die Damen saßen. Die Thüren zum Spielzimmer waren geschlossen, denn dort saßen einige alte Herren, die, unbekannt mit den Reizen der Urania und wenig lüstern, sie kennen zu lernen, es sich nicht nehmen ließen, ihren Beifall oder ihr Mißfallen über die erhaltenen Karten, nebst einem Gezänk mit ihren Mitspielern laut werden zu lassen.

Während Herr Tiedge las, füllte sich der vordere Saal mit Gästen, die zu spät kamen und den Vortrag nicht stören durften, demnach nur durch Zeichen aus der Entfernung ein Einverständniß mit ihren darin sitzenden Freunden zu unterhalten suchten. Zu diesen Exilirten gehörten die beiden Brüder von Kügelgen, das seltne Zwillingspaar in der Kunst wie im Leben, Gerhard und Karl, der eine Landschaftsmaler, der andre Portraitmaler, Frau von S–, die geniale mimische Künstlerin, Fräulein von K–, die die Kunst besaß, auf bewundernswürdige Weise Silhouetten zu fertigen, und die daher immer mit einer Scheere und einigen Blättern schwarzes Papier sich in die Gesellschaft begab, und dann einige Herrn, die bereits aus einem andern literarischen Vereine kamen, aus dem poetischen Kreise, dessen Mittelpunkt „Philalethes“ war.

Die ersten funfzig Verse waren gesprochen und das erste Glas Zuckerwasser war geleert; es trat eine kleine Pause ein, während welcher sich die Zuhörer ihrer enthusiastischen Exclamationen entluden. Aber Elisa war mit ihrem Poeten nicht zufrieden. Sie schüttelte leise ihr Haupt, und Herr Tiedge, der auf dieses Zeichen achtete, senkte seinen Blick kummervoll auf die Blätter des Buches. Jetzt ergoß sich der Strom der Melodien. Es wurde das Verzweifeln einer Seele geschildert, die an Gott nicht glauben kann, dann aber, als sie die Pracht des Frühlings sieht, sich entschließt, ihre feindlichen Gefühle aufzugeben, um sich dem allgemeinen Zuge der Herzen zum Himmel anzuschließen. Die Stimme der schönen Prinzessin von Kurland hatte noch nie so seelenvoll geklungen, das Recitativ und der darauf folgende Chor von fünf Männerstimmen thaten ihre volle Wirkung, und die trüben Wolken auf Elisa’s Stirn begannen zu weichen.

Während der Accorde der Musik war ein bleicher, schlanker, noch junger Mann eingetreten, mit feinen, ausdrucksvollen Zügen und einer eigenthümlichen Senkung des Hauptes nach einer Seite. Dieser Mann blieb an der Thüre stehen, halb von einem Fenstervorhang versteckt, und lauschte. Er war jetzt bemerkt worden, und ein freudiges Geflüster ging den Kreis herum; es war der Held des Tages, der erschienen war, Carl Maria von Weber. Elisa erhob sich, und gefolgt von einigen ihrer Vertrauten, ging sie dem Gaste entgegen, eine Ehre, die hier im Hause nicht leicht Jemand empfing. Der berühmte Componist küßte die Hand der Dame und begleitete sie zu ihrem Platze zurück. Hier stellte er sich hinter ihren Stuhl und beantwortete die Fragen, die sie und die zunächst sitzenden Damen an ihn richteten.

Der Abend hatte hier seinen Höhen- und Glanzpunkt erreicht; von da ging es abwärts. Herr Tiedge las, aber man war nicht mehr sehr aufmerksam. Die Damen betrachteten Weber, und die Herren fingen an sich nach dem Souper zu sehnen, das im Nebenzimmer angerichtet wurde. Noch einmal ertönte die Musik, dann wurde das Clavier geschlossen, die Prinzessin erhob sich und erntete die Lobsprüche der Gesellschaft ein. Der Minister ging durch den Saal, indem er Herrn Tiedge an einem Arm und Frau von Hellwig am andern führte. Alles hatte sich erhoben und bewegte sich durch alle drei Säle. An den Spieltischen warf man die Karten zusammen, und ein paar alte Damen, die eingeschlummert waren, wurden erweckt, indem man sie anstieß und ihnen eine Prise Tabak anbot. Die geschminkte und gepuderte Excellenz benutzte einen günstigen Augenblick, um sich im Spiegel zu betrachten und ein lose gewordenes Pflästerchen wieder anzuheben. Fräulein von K–, an einem Seitentisch stehend, beschäftigte sich, unbemerkt die Silhouette Weber’s zu fertigen, und wurde darin gestört, indem ein Herr mit einem breiten Rücken und einem schwarzen Tituskopfe sich beständig zwischen sie und ihren Gegenstand stellte. Herr von Maltitz eilte mit flüchtigen Schritten durch den Saal, bald hier bald da einen lustigen Einfall anbringend, während Ernst von Brunnow, immer tiefsinnig und düster, aus einem Winkel die Gesellschaft beobachtete. Die beiden Brüder Kügelgen, einig in der Kunst wie im Leben, hatten sich zwei der schönsten Damen ausgesucht, und waren im lebhaften Gespräch mit ihnen begriffen. Der junge Parnaß tummelte sich in der Nähe des Speisesaals, durch den Spalt der Thüre hineinblickend und die Schüsseln und Lichter zählend, die in dem Heiligthume erglänzten.

Endlich eröffnete den Zug der Minister mit der im Range am höchsten stehenden Dame, ihm folgte die Dame des Hauses mit ihrem Verwandten, dann Paar auf Paar die übrigen Gäste. Man aß und trank gut und viel, und blieb weit über eine Stunde sitzen. Gesundheiten wurden ausgebracht, Trinksprüche, komische Reime. Mit einem Worte, der literarische Abend schloß heiterer und ungezwungener, als er begonnen. Jedoch blieb sich die Dame des Hauses immer gleich. Nie verließ sie das Gefühl ihrer Würde, nie entglitt ihr ein lautes Wort, ein Scherz, ein Lachen. Die Gesellschaft trennte sich, als die Neustädter Rathhausuhr halb elf schlug.




Hier hast du nun, mein Leser, einen literarischen Abend des alten Dresden. Nicht wahr, er ist etwas steif, etwas pedantisch, allzu förmlich? allein vergleichst Du ihn mit dem, was heutzutage diesen Namen trägt, so wirst Du finden, er hat seine unleugbaren Vorzüge. Vor allen Dingen: es war eine Vereinigung. Kann man aber das lose, zerstreute, in Form wie in Inhalt zerfahrene Zusammenkommen von Männern und Frauen, die sich mit der Literatur beschäftigen, heutzutage so nennen? Unsere Zusammenkünfte sollen natürlich und ungezwungen sein, aber sie sind roh. Unter dem Vorwande, sich frei zu äußern, sagt man sich Beleidigungen und tritt die Sitte mit Füßen. Es ist wahr, die Genialität fand keinen Platz in jenen Gesellschaften, sie stieß überall, wo sie sich zeigte, auf alte Verhacke und Regeln, auf Prüderie und Conventionalismus; allein ist das, was sich heute in unsern Salons breit macht, Genialität? O nein; es ist Salopperie, es ist ein Sichgehenlassen, es ist eine Unkenntniß der Form, die man bereits so lange nicht geübt, daß man sie vergessen hat. Und dann, was lernen wir noch aus jenen Gesellschaften? Daß bei allen literarischen Fehden es vier Stunden an einem Abende geben kann, wo sich die Talente vertragen, wo sie mit einander verkehren, ohne sich den Rücken zu kehren und sich einander auf die Hühneraugen zu treten, mit einem Worte, ohne den Streit aus den Büchern in den Gesellschaftssaal mitzubringen. Das ist etwas – was sage ich! das ist viel.




Vom Bier in Bayern und vom Hofbräuhaus in München.
Von Albert Henrich.
(Mit Abbildung.)

Uns Bayern hat unsere Bierglückseligkeit viel argen Verdruß schon eingetragen: wir sind als ein schwerfälliges, geistigem Leben abholdes, an der Materie und am Aberglauben haftendes Geschlecht verschrieen, und unser Getränk soll es sein, das unser Blut verdickt, unsern Sinn vernebelt, das zwar den Körper stärkt, aber den Geist schwächt. Der mächtige Aufschwung, den in den letzten Jahrzehenden namentlich München unter der Aegide zweier großer Könige in Kunst und Wissenschaft gewonnen, soll nicht ein gesundes,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_574.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)