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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

von dem Bettlergesindel, nach manchem Kampf unter sich, begierig aufgefangen. Während dem hatte sich die Gesellschaft um mehrere andere Geier (Vultur Rüppellii und Vultur fulvus) vermehrt, welche, wie der Ohrengeier, mit unbeschreiblicher Gier dem Aase zueilten. Da trat ein neuer Ankömmling auf: der Marabu (Leptoptilus crumenifer). Er schien gewillt, den Geiern ihre Mahlzeit streitig zu machen. Mit weit geöffnetem Schnabel stelzte er heran; der Ohrengeier richtete sich stolz auf und bereitete sich vor, den Frechen nachdrücklich zu empfangen. Er sah wahrhaft königlich aus, während er sich rüstete. Die Schwingen gebreitet, den nackten Hals und Kopf in Zornesfalten gelegt, den furchtbaren Schnabel geöffnet, erwartete er den gefräßigen, mit riesigem Keilschnabel bewehrten Gegner. Dieser schien diesmal nicht gesonnen, einen Kampf anzunehmen, sondern blieb in seiner Fechterstellung stehen, und die Mahlzeit der Geier ging weiter.

Unser treffliches Versteck gestattete uns zwar einen ganz vorzüglichen Ueberblick der Gesellschaft, schien uns jedoch noch etwas zu entfernt, um später mit Erfolg unter die Schmaußenden zu feuern. Ich vertraute also endlich den Versicherungen meines Dieners, daß man an fressende Geier bis auf zwanzig Schritte herangehen könne, ohne sie in die Flucht zu jagen, und schlich mich, durch die Felsen gedeckt, bis auf etwa dreißig Ellen an die Vögel an. Der Erfolg zeigte, daß Aali wahr gesprochen; zugleich aber machte ich die später oft wiederholte Bemerkung, daß die noch herbeifliegenden Geier, wenn sie ihre Genossen auf einem Aase sitzen sehen, ohne die geringste Scheu dicht über und neben dem heranschleichenden Jäger vorbei nach dem Schmauße fliegen.

Von dem Gewimmel, welches jetzt am Aase stattfand, kann ich nur eine sehr dürftige Beschreibung geben, weil mir die Worte fehlen, es gehörig zu schildern. Die Geier zeigen während ihrer Mahlzeit eine Gier, als wollten sie sich auf Monate mit Speise versorgen. Mit wagrecht vorgestrecktem Halse, erhobenem Schwanze und schleppenden oder ausgebreiteten Flügeln eilen sie in mächtigen Sätzen auf das Aas zu, und hier beginnt nun ein Getreibe, ein Arbeiten, Streiten, Zanken, Beißen, Schlagen mit den Flügeln, Kreischen und Schreien, welches man gesehen und gehört haben muß, um im Stande zu sein, sich eine Vorstellung davon machen zu können. Die Ohrengeier halten sich mehr an die äußeren Fleischlagen des Aases; die langhälsigen Geier aber öffnen mit ein paar Hieben die Bauchhöhle, stecken ihren Hals bis zur weißen Krause in dieselbe und wühlen in den Eingeweiden herum. Manchmal reißt einer einen Darm heraus, sucht sich so viel als möglich davon zu sichern und zieht denselben, hastig vom Aase weglaufend, ellenlang aus dem Leibe; da stürzen sich dann die andern wüthend auf diesen leckeren Bissen, helfen den Darm noch länger ausziehen, suchen ihn für sich zu gewinnen, werden von andern ihrer Art wüthend angefallen; und es entsteht nun allemal ein heftiger Kampf, ein tolles Lärmen und ein wahrhaft babylonisches Wirrsal von Tönen und Gestalten. Alle Waffen gelten bei solcher Balgerei; die Vögel gebrauchen nicht blos Schnabel und Klaue, sondern auch die Flügel, um das Erworbene damit zu decken oder andere Gierige durch Schläge mit ihnen zu vertreiben. Beständig langen hungrige Gäste an und beginnen sofort Kampf und Streit mit den Fressenden, welche sich unter ingrimmigem Gekreische ihrer Haut wehren. Die Marabus und, wenn das Aas in der Nähe bewohnter Ortschaften liegt, auch alle Hunde des Dorfes benutzen solchen Zwiespalt und nahen sich während des Kampfes der Speise; die ersteren schlingen dann rasch ungeheure Bissen hinab und füllen in einer Minute ihren Kropfsack so an, daß er fußlang ausgedehnt wird; die Hunde eilen zähnefletschend zwischen den gefährlichen Vögeln hindurch und reißen, mit ihren Füßen sich anstemmend, rasch ein Maul voll Fleisch herunter; denn die Geier dulden keine Beeinträchtigung ihres Gewerbes. Kaum erblicken sie die fremden Eindringlinge, so lassen sie von allem Zwist und Hader unter sich ab und stürzen sich auf Jene. Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt des Kampfes. Weder die Hunde noch die Kropfstörche weichen gutwillig, sondern beide vertheidigen sich nach Kräften. Knurrend und bellend springen und schnappen die Hunde nach den auf sie zustürzenden Geiern, diese weichen dem Bisse aus und hauen nun ihrerseits mit dem Schnabel nach den Vierfüßlern. Gelingt es ihnen, einen derselben zu treffen, dann hört man lautes Geheul und gleich darauf wüthendes Bellen, Knurren und Kreischen, bis zuletzt der Hund seine Tracht Hiebe weg hat und mit eingeklemmtem Schwanze heulend das Feld räumt. Der Marabu haut mit seinem schweren Schnabel rücksichtslos in solches Getümmel und sucht sich nach allen Seiten hin das Feld frei zu halten; aber auch er wird gar nicht selten von den Geiern besiegt. Ueber der ganzen Gruppe schweben und flattern während eines solchen Kampfes alle kleineren Schlecker beobachtend umher, nur darauf lauernd, für einen Augenblick eine freie Stelle des Aases zu erspähen, auf welche sie dann im Nu herabstürzen, um hier bis zu ihrer Verdrängung sich gütlich zu thun.

Auf ein solches Schauspiel waren jetzt unsere Blicke gerichtet. Der Marabu hatte uns erspäht und spazierte, scheinbar mit der größten Seelenruhe, auf und davon; die Geier aber waren viel zu sehr mit ihrer Mahlzeit beschäftigt, als daß sie uns beachtet hätten. Ich gebot Aali, sein Gewehr zu spannen und so bereit zu halten, daß ich es sofort erhalten könnte, wenn ich das meinige abgeschossen haben würde. Nun suchte ich mir das dichteste Gewimmel aus und zielte auf die Köpfe von sechs bis acht eifrig beschäftigten Geiern. Die ersten beiden Schüsse brachten eine außerordentliche Wirkung hervor. Zwei oder drei Geier sanken im Feuer zusammen; die übrigen erhoben sich nach einem Anlaufe von zwei senkrechten Sprüngen in die Luft. Das Gewimmel war aber so arg, daß einer den andern durch seine Flügelschläge am Fliegen hinderte und hierdurch ein wirrer Klumpen durcheinander flatternder Vögel entstand. Ich feuerte ohne allen Erfolg unter dieses Wirrsal der Vögel und war in so hohem Grade überrascht, daß ich beinah versäumt hätte, einem der Verwirrung entronnenen und ganz niedrig über mich wegfliegenden Ohrengeier die ganze Ladung des letzten Rohres in die Brust zu jagen. Trotz der geringen Entfernung schien der wohlgezielte Schuß wirkungslos geblieben zu sein. Der Geier zog ruhig weiter, hatte sich bereits in ziemliche Höhe erhoben und schien uns verloren zu sein; da legte er plötzlich seine Schwingen zusammen und stürzte, schon in der Luft verendet, senkrecht zur Erde. Seine übrigen Genossen schienen mehr erstaunt, als erschreckt zu sein. Die Raben und Milane hatten schon längst die Höhe gewonnen und schrieen uns aus Leibeskräften ihre Verwünschungen zu, die Geier dagegen waren nur theilmeise verschwunden. Eine große Anzahl hatte sich nach den Schüssen sofort wieder niedergelassen und saß ruhig auf den nächsten Felsenzacken und auch im Thale selbst. Der Versuch, sich ihnen zu nahen, war jedoch vergeblich. Sie hatten blos die Ursache der Unterbrechung ihrer Tafel erforschen wollen und ergriffen scheu die Flucht, als wir mit frisch geladenen Gewehren auf sie zugingen. Blos zwei von ihnen liefen ganz unbefangen auf und nieder; ihre hängenden Flügel belehrten mich, daß es flügellahm Geschossene waren. Als sie mich auf sich zukommen sahen, erbrachen sie zunächst alle im Kröpfe aufbewahrte Nahrung und flüchteten dann laufend. Ich holte den einen mit Mühe ein und schickte mich an, ihn zu ergreifen. Dies war aber keine leichte Aufgabe, Der Verwundete kehrte sich gegen mich, duckte sich etwas nieder und lauerte mit eingezogenem Halse blitzenden Auges auf den Augenblick, mich mit seinem furchtbaren Schnabel ergreifen zu können. Meine Bemühungen, ihn mit dem Gewehrlaufe niederzudrücken, waren umsonst; denn er wußte sich immer frei zu machen. Da kam mir Aali zur Hülfe und fing den Vogel mit leichter Mühe, indem er ihm sein Umschlagetuch über den Kopf warf und ihn darin verwickelte. Er wurde gebunden und auf den Rücken gelegt; dann gingen wir dem zweiten nach. Dieser schien sich fast erholt zu haben und wäre uns sicher entkommen, wäre einer seiner Flügel nicht unbedeutend verletzt gewesen. So wurde auch er eingeholt und zu den andern gebracht. Das Ergebniß der Jagd war sehr zufriedenstellend: wir hatten zwei Ohren-, drei langhälsige und einen armen schmutzigen Aasgeier erbeutet, und zogen stolz auf unsere stinkende Beute dem Dorfe zu, um dort das mühselige Geschäft des Abbälgens und Ausstopfens vorzunehmen.

Später habe ich während meines Aufenthaltes in Charthúm drei Monate nach einander auf Geier gejagt. Dabei hatte ich Gelegenheit, dieselben so oft und so genau zu beobachten, als ich mir wünschen konnte. Die Ergebnisse dieser Beobachtungen habe ich zum Theil schon hier mit erwähnt; das noch Fehlende erzähle ich vielleicht ein anderes Mal an dieser Stelle.

Der beistehenden Abbildung liegen sorgfältige Studien lebender Geier und meine eigenen Angaben zu Grunde; sie darf sich in jeder Hinsicht einer großen Treue rühmen.



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