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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Ich erlaube ihm, zu tadeln, aber moralisch zu meuchelmorden, das empört mich.“

Die Staël wohnte auf dem Kai der Spree, und ihre Zimmer lagen zur ebenen Erde. Eines Morgens um acht Uhr wurde sie von ihren Leuten mit der Meldung geweckt, daß der Prinz zu Pferde unter ihrem Fenster halte und sie zu sprechen wünsche. Sehr erstaunt über diesen frühen Besuch, eilte sie aufzustehen und sich anzuziehen. Sie fand ihn, das edle Gesicht voll Schmerz und Entrüstung.

„Wissen Sie,“ rief er ihr vom Pferde zu, „daß der Herzog von Enghien im badischen Gebiete aufgehoben, einem Kriegsgerichte übergeben und vierundzwanzig Stunden nach seiner Ankunft in Paris erschossen worden ist?“

„Welche Thorheit!“ erwiderte sie ungläubig. „Sehen Sie nicht, daß nur die Feinde Frankreichs ein solches Gerücht ausstreuen?“

„Da Sie zweifeln,“ versetzte der Prinz, „so werde ich Ihnen den Moniteur schicken, wo Sie das Urtheil lesen werden.“

Mit diesen Worten sprengte er fort, und der Ausdruck verkündete Tod und Rache dem verhaßten Usurpator.

Immer ernster wurden die Zeiten und die Lage Preußens immer verwickelter; der König konnte sich seinem bedächtigen Charakter gemäß zu keinem kühnen Schritt entschließen und neigte, von seiner ganzen Umgebung mehr oder minder bestärkt, zum Frieden, während Prinz Louis vor Allem ein entschiedenes Handeln forderte.

„Aus Liebe zum Frieden,“ sagte er in einem Gespräche mit Friedrich Wilhelm dem Dritten, „nimmt Preußen gegen alle Mächte eine feindliche Stellung ein und wird einmal in derselben von einer Macht schonungslos überflügelt werden, wenn dieser der Krieg gerade recht ist. Dann fallen wir ohne Hülfe und vielleicht auch gar noch ohne Ehre.“

Er hatte nur zu wahr gesprochen, aber dem Propheten glaubte man nicht. Derartige Reden waren nur dazu angethan, die Kluft zwischen diesen beiden ohnehin so verschiedenen Naturen zu erweitern. Die Feinde des Prinzen beschuldigten ihn wegen seiner oft unüberlegten Worte geradezu der Rebellion und bestärkten nur die Abneigung und das Mißtrauen des Königs, welches dieser ohnehin gegen alles „Genialische“ empfand.

Unterdeß trat Napoleon auch Preußen gegenüber in einer Weise auf, die früher oder später einen Zusammenstoß befürchten ließ. Die Gelegenheit war günstig; Rußland, Oesterreich und England hatten ein neues Bündniß im Frühjahr 1805 gegen die drohende Macht des Welteroberers geschlossen und Preußen zur Theilnahme aufgefordert. Die Verletzung des preußischen Gebietes durch französische Truppen in Franken wurde vom Könige, so wie von dem ganzen Volke mit allgemeiner Entrüstung aufgenommen. Die Kriegspartei, an deren Spitze der Prinz Louis stand, jubelte; das Heer wurde auf den Kriegsfuß gesetzt und mobil gemacht; aber der König und besonders seine Umgebung hofften noch immer, die Ehre Preußens auf diplomatischem Wege durch Verhandlungen und Zögern mühsam zu wahren. Der charakterlose Graf Haugwitz, der zu Frankreich neigte und besonders von Napoleon sich durch einige wohlangebrachte Schmeicheleien bestechen ließ, wurde in das Hauptquartier des Kaisers abgesendet. Beim Abschiede fragte er den Prinzen hämisch triumphirend: „Haben Ew. Königliche Hoheit keine Befehle für mich nach Wien?“ Mit Würde antwortete der Prinz: „Herr Graf, hätte ich Befehle zu geben, Sie würden sie nicht überbringen.“

Das preußische Heer rückte ins Feld, doch hielten die siegreichen Fortschritte Napoleon’s in Oesterreich dasselbe in seinem Laufe auf. Prinz Louis Ferdinand war bei den Truppen in Sachsen und traf hier mit dem Herzog von Weimar und auch mit Goethe wieder zusammen. Diesmal kam er dem Dichter näher und er schrieb darüber an seine Geliebte aus Gera nach Berlin: „Ich habe nun Goethen wirklich kennen gelernt; er ging gestern noch spät mit mir nach Hause, und saß dann vor meinem Bette, wir tranken Champagner und Punsch, und er sprach ganz vortrefflich! Endlich deboutonnirte sich seine Seele; er ließ seinem Geiste freien Lauf; er sagte viel, ich lernte viel, und fand ihn ganz natürlich und liebenswürdig.“ Der Herzog von Weimar erzählte viele Jahre später noch gern diese Zusammenkunft; er selber hatte sich früh zurückgezogen, „die Andern aber tranken die ganze Nacht ungeheuer viel,“ sagte er, „um die Wette, und Goethe blieb nichts schuldig, er konnte fürchterlich trinken!“

Unterdeß hatte Graf Haugwitz im französischen Hauptquartiere mit Napoleon neue Verträge geschlossen, welche der zum Kriege geneigten Partei alle Hoffnung darauf benahmen und außerdem einen für Preußen höchst bedenklichen Ländertausch enthielten. Die Armee kehrte ohne einen Schwertstreich zurück; Scham und Ingrimm erfüllte die Gemüther. Niemand war jedoch mehr über diesen Ausgang empört, als Prinz Louis. Aus diesem vereitelten Feldzuge kam er nach Halle und aß bei dem Capellmeister Reichardt in Giebichenstein, der, wie er selber, Napoleon von ganzer Seele haßte. Um recht auszudrücken, wie schmachvoll für die Deutschen die Allgewalt des Usurpators sei, that der Prinz bei Tisch die charakteristische Aeußerung: „Ja, wenn Bonaparte einmal ein Gericht Prinzenohren haben will, so sind meine“ – und er faßte sich an beide – „in Gefahr, denn bekommen wird er sie!“

In Berlin war die Verstimmung am heftigsten und lautesten. Dem zurückgekehrten Haugwitz wurden die Fenster eingeworfen, dagegen dem Minister Hardenberg, welcher entgegengesetzten Ansichten folgte und darum für einige Zeit aus dem Staatsdienste scheiden mußte, von der kriegerisch gesinnten Jugend und besonders von den tonangebenden Officieren des Regiments Gensd’armen fast jeden Abend in auffallender Weise Ständchen durch Militairmusik gebracht. Der Prinz lebte seit seiner Rückkunft von der Armee zurückgezogen, er schien weit ernster geworden zu sein. Er schloß sich jetzt vorzugsweise enger an Männer einer festen Richtung an. Dazu gehörte vor Allen der Minister Stein, den der Prinz öfters sah. Was in jener Zeit den Geist des Prinzen beschäftigte, traf in Stein auf anklingende Saiten; bei Gleichheit der Ansichten und Gefühle fehlte es an wohlthuenden Berührungspunkten nicht, und bald erwachte in ihm eine Achtung und ein Zutrauen für den Minister, die der eines Jüngers gegen den Meister zu vergleichen war. Auch zu dem Könige trat er wieder in ein minder gespanntes Verhältniß; durch die Bemühungen der Königin Louise, welche ihre Blicke auf die äußere Lage Preußens richtete, war es gelungen, eine Versöhnung zwischen diesen sich schroff gegenüberstehenden Charakteren herbeizuführen. Der Prinz bezog eine Sommerwohnung in Moabit bei Berlin. In dieser Villa waren Johannes von Müller und Humboldt sehr oft gesehene Gäste; auch an Frauen fehlte es nicht, welche die Geliebte des Prinzen, Madame Wiesel, eben so schön als originell, um sich versammelte. Hier traf man auch die geistreiche Rahel, welche der Prinz überaus hochschätzte und die ihm trotz ihrer jüdischen Abkunft und ohne hervorstechende körperliche Reize die innigste Freundschaft abzugewinnen wußte, welche Beiden in gleicher Weise zur Ehre gereichte. Trotz seiner Sinnlichkeit vermochte der Prinz die wahre Weiblichkeit mit echt ritterlichem Sinne zu ehren, wo er sie auch immer finden mochte. Dafür legte seine wahrhaft poetische Liebe Zeugniß ab, die ihn an Emilie von Rauch, ein liebenswürdiges Mädchen in Berlin, kettete. Wären die Briefe vorhanden, die er ihr geschrieben, man würde die Rosenjahre der Liebe aus den Zeiten des Mittelalters darin finden; leider wurden sie alle der armen Emilie, die bald nach dem Tode des Prinzen starb, auf die flehende Bitte der Verscheidenden in das frühe Grab gelegt.

Durch die geschlossenen Verträge wurde Preußens Lage nur noch bedenklicher, Napoleon verfuhr mit einer Willkür und Hinterlist, welche nothwendiger Weise den bis dahin verschobenen Krieg zum Ausbruch bringen mußte; er traf diesmal Preußen allein, ohne Bundesgenossen, ohne Vorbereitung. Man pochte aber auf den alten Ruhm der preußischen Waffen, auf den Namen des großen Friedrich, nachdem sein Geist längst mit ihm verschwunden war. Altersmüde, unfähige Feldherren oder Führer, welche auf der Parade ihre Lorbeern und ihren Rang erworben hatten, standen dem Genie eines Napoleon gegenüber, der in unzähligen Schlachten sein Uebergewicht den ältesten und mächtigsten Monarchien bewiesen hatte. Das preußische Heer war trefflich ausgerüstet und dressirt, aber keineswegs den Soldaten der Revolution gewachsen, welche in jugendlicher Kraft und Begeisterung unter einem solchen Genius von Sieg zu Siege flogen. Dazu kam die größte Selbstüberschätzung, Sorglosigkeit und Nichtachtung des gewaltigen Feindes von Seiten der preußischen höheren und unteren Officiere. Prinz Louis, wenn auch von gleicher Kampfbegier wie früher beseelt, war doch weit entfernt, den blinden Wahn der Seinigen zu theilen.

„Ich wünsche den Krieg,“ sagte er bei dieser Gelegenheit, „weil er das Einzige ist, was uns übrig bleibt, weil die Ehre ihn fordert; aber ich weiß sehr gut, daß wir auch unterliegen können.“

Zu denen, welche eine allzu große Zuversicht in den Ausgang

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