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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Herr Direktor – Sie – Sie hier?“ stammelte Rauschenbach, „Nun ist Alles vorbei! – Herr des Himmels und der Hölle!“ setzte er gepreßt hinzu und drückte die Hände in die Augen. „Jetzt ist Alles verloren, Alles! Nur Zuchthaus!“

„Antworten Sie, wie konnten Sie es wagen, Fräulein Rosa zu beschuldigen? Noch soll nichts verloren sein für Sie! Sie sollen geschont werden, Ihr Vergehen soll zugedeckt bleiben! Alles wird für Sie gewonnen sein –“

„Alles, Alles!“ betheuerte einfallend Theodor und trat wieder näher herzu, „aber reden Sie die Wahrheit! Ist Fräulein Rosa Mitwisserin?“

„Nein doch, nein!“ entgegnete der Director ungeduldig. „Ich sehe ja gerade an dieser Lüge, daß ihr nichts davon bewußt ist! Und warum, Herr Rauschenbach, verdächtigen Sie dieselbe?“

„Hat sie die verrätherischen Blätter nicht eingesandt? Nicht, nicht?“ fragte Rauschenbach erschüttert.

„Diese zwei Blätter habe ich vom Schulrath Werner, und dieser fand sie in der Schule bei Schnurr, Ich aber gehöre weder der Polizei in Berlin, noch Ihrem Untersuchungsgerichte an. Fräulein Rosa hat nichts gegen Sie gethan, keinen Schritt, Herr Rauschenbach! Das Fräulein hat Sie mit Schonung behandelt! Aber auch Sie, Herr Rauschenbach, sollen von mir und dem Director geschont, Ihre Untersuchung soll abgebrochen werden, ich will Ersatz leisten – ich gebe Ihnen mein Wort darauf! Reden Sie also die Wahrheit! Wußte Rosa von der Entwendung?“

„Nein, nein!“ betheuerte Rauschenbach weich, und helle Thränen standen in seinen Augen. „Rosa wußte nichts, Rosa ahnte nichts! Als ich das Kästchen entwendet hatte, verging kaum eine Stunde, und ich sendete ihr das Geld nach Hamburg, wohin sie zwei Tage früher abgereist war. Ich schuldete ihr hundert Stuck Louisd’or. Sie hatte in der Lotterie gewonnen, mir den größeren Theil des Gewinnes anvertraut, und ich verbrauchte, ich verspielte das Geld. Meine Herren,“ fuhr er gerührt fort, „ich weiß es, ich war der Liebe, der Freundschaft dieses Engels nicht würdig. Dennoch ergriff mich, als Rosa abreiste und mir ihre vollkommene Verachtung auch dadurch bewies, daß sie an eine Zahlung oder an eine Sicherstellung mit keinem Worte mich erinnern ließ, ein gewisser Stolz. Der Gedanke, ihr durch Rückzahlung des Geldes wenigstens in einer Hinsicht noch Achtung abzwingen zu können, war ein Triumph in meiner Seele, und so schritt ich bald nach Rosa’s Abreise zu der That, die Sie kennen.“

„Sonst würden Sie nicht dazu geschritten sein?“ fragte Theodor sinnend, als wolle er tiefer in Rauschenbach’s leidenschaftliche Seele schauen. „Es war nur dieses Ehrgefühl, dieser Stolz, dieser innere Trotz, der Sie zur That verleitete?“

„Nein,“ antwortete nach einer Pause Rauschenbach, „ich gestehe es, ich würde es gethan haben auch ohne diesen Umstand. Ich glaube es wenigstens. Die Gelegenheit war zu günstig, mein Bedarf zu vielfach, mein Leichtsinn zu groß. Der erste Gedanke aber, als ich zur That schritt, galt allerdings der Rückzahlung jenes Geldes. Ich erwähnte bereits, daß ich die Rückzahlung sofort auch vollzog. Ich that es freudig, ja triumphirend, daher überhurtig, unvorsichtig, nicht bedenkend, daß die Verpackung, die ja nur die innere war, mir verderblich werden könne. Das Bilderbuch warf ich, als ich Haussuchung befürchtete, von mir, bedachte aber nicht, daß ich zwei Blätter herausgerissen hatte. Jetzt wissen Sie Alles.“

„Und schrieben Sie mit an Fräulein Rosa, als Sie das Geld sendeten?“ hob Theodor von Neuem an.

„Nur wenige, stolze Worte.“

„Und Rosa – schrieb sie Ihnen wieder?“

„Nein. Das wußte ich auch im Voraus, sie verachtet mich.“

„Und heute, wie standen Sie ihr gegenüber?“

„Mit tiefem Schmerz, den ich zu verbergen wußte.“

„Hätten Sie sich besser gehalten!“ tadelte der Director. „Sie brauchten wenigstens die andere Hälfte meines Geldes nicht zu verthun! Aber Sie spielten, Sie tranken! Sie treiben es noch! Bessern Sie sich, Herr Rauschenbach! Ist’s denn nicht möglich, daß Sie sich bessern?“

„Konnte mich der Engel nicht bessern, wer wird es können?“ antwortete lächelnd Rauschenbach, und eine helle Röthe zog über sein Gesicht, „Wissen Sie, was Leidenschaft ist, wenn sie zur Gewohnheit wird?“

„Herr Rauschenbach,“ nahm Theodor, den in der Freude, welche in ihm jauchzte, zugleich ein tiefes Mitleid bewegte, abermals das Wort, „es beginnt jetzt ein neuer Lebensabschnitt für Sie! Ihre Untersuchung wird niedergeschlagen, ich leiste dem Director vollen Ersatz, Niemand weiß das, Sie gehen an ein fernes Theater, werden ein guter Mensch!“

„Ihre Sprache bleibt mir räthselhaft, so lange ich nicht weiß, wer Sie sind,“ antwortete mit Sicherheit Rauschenbach.

„Wohl denn! Sie haben die Wahrheit geredet, Herr Rauschenbach, und ich bin Ihnen nun ebenfalls die Wahrheit schuldig. Herr Director,“ wendete er sich an diesen, „darf ich bitten?“

Der Director verstand das Schonende dieses Benehmens und erklärte ruhig: „Ich stelle Ihnen den Herrn Assessor Theodor Werner vor, seit gestern Bräutigam von Fräulein Rosa.“

„Bräutigam? seit gestern Bräutigam von Rosa?“ rief heftig Rauschenbach, und trat einige Schritte zurück. „Also wirklich? und so schnell? Man hat mir im Schulhause nichts davon gesagt. O, nun sehe ich, warum Sie mich schonen, warum Sie Ersatz leisten! nun verstehe ich Alles, Alles!“ setzte er schmerzlich hinzu.

„Danken Sie dem Herrn Assessor dadurch, Herr Rauschenbach,“ sprach ruhig der Director, „daß Sie vollziehen, was er Ihnen vorhin anrieth. Auch ich rathe Ihnen das.“

Mit vornehmer, fast höhnender Eleganz, die Arme in einander schlagend, trat Rauschenbach einen Schritt vorwärts.

„Nicht mein Wohl, nicht meine Besserung war der Beweggrund zu Ihrer Handlungsweise,“ sagte er, „aber es ist mir lieb, daß ich nicht öffentlich als Dieb stehen werde, daß Sie – – und dennoch, dennoch!“ fuhr er fort, und sein Ton wurde plötzlich ein anderer, und die verschränkten Arme ließ er herabgleiten, „was ist doch Alles, wenn sie es weiß? O sagen Sie mir,“ wendete er sich an den Assessor, und faßte mit Innigkeit dessen Hand, „weiß Rosa schon Alles?“

„Nichts, gar nichts! nicht einmal, daß Sie in Untersuchung sind!“ versicherte Theodor, „auch Herr Schnurr weiß nichts.“

„Und wollen Sie dafür sorgen, daß es so bleibt? daß Rosa nichts erfährt? Wollen Sie das? wollen Sie mir das zuschwören? zuschwören bei Ihrer Liebe zu –“

Noch weicher wurde Rauschenbach’s Stimme, er stockte, er schwieg, tief senkte er den Blick zu Boden.

„Ich schwöre es Ihnen zu!“ versetzte Theodor, „mein Lebensglück soll verloren gehen, wenn ich dieses Wort nicht halte!“

Rauschenbach schwieg. Noch immer stand er gebückt und blickte zu Boden. „Sind Sie zufrieden damit?“ fuhr Theodor fort.

Ohne seine Stellung zu verändern, nickte Rauschenbach mit dem Kopfe.

„So befolgen Sie denn unsern Rath,“ mahnte der Director, „nehmen Sie, sobald Ihr Proceß beseitigt ist, in der Ferne Engagement, bessern Sie sich, Rauschenbach, bessern Sie sich! Ohne Besserung sind Sie verloren!“

„Bei solcher Demüthigung auch noch Vorschriften? auch noch Bedingungen?“ fragte mit bitterm Lächeln Rauschenbach, indem er sich empor richtete. „Die Menschen sind verschieden organisirt, doch will ich sehen, wie es geht, will mir Mühe geben, mit der Leidenschaft zu brechen.“

Er ging mit diesen Worten nach der Thüre und zog die Klingel. Dem herauseilenden Kellner rief er zu, daß er ihm Wein bringen möge.

Da war es, als rassele draußen ein Wagen. Theodor trat an’s Fenster. Der Wagen hatte bereits das Gehöfte erreicht, und man konnte daher nichts weiter sehen.

Der Kellner brachte den Wein. Rauschenbach stürzte gierig Glas auf Glas hinunter. Dabei ging er, ohne sich um die zwei Andern zu kümmern, schweigend im Zimmer auf und ab.

Draußen auf der Treppe erklangen Stimmen, unter welche sich die Stimme des Kellners mischte.

„Ist’s Täuschung?“ rief Theodor überrascht, und eilte vom Fenster nach der Thüre hin.

Auch Rauschenbach stutzte, stellte heftig das wieder geleerte Glas auf den Tisch.

„Wie leidenschaftlich Sie trinken!“ sprach der Director, der jetzt ebenfalls horchte und nach der Thüre blickte, welche Theodor schon erreicht hatte und nun schnell öffnete.

„Wahrhaftig!“ rief Theodor laut und stürzte hinaus, „Ihr seid es!“

„Wir sind’s!“ antwortete der Schulrath, während Theodor

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