Seite:Die Gartenlaube (1859) 550.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Und die Umstände drängen,“ fiel Theodor ein, „Sie haben Recht. Wir wollen eilen, – wir müssen fort!“

Der Director machte freilich noch einige Einwendungen, aber Theodor überzeugte ihn, daß durchaus Beide reisen müßten.

Mit dem Mittagszuge fuhren sie ab.



VIII.

Auf demselben Anhaltepunkte, wo Theodor am gestrigen Abend das Billet nach Berlin genommen hatte, stieg er mit dem Director aus. War Rauschenbach in Schnurr’s Dörflein gereist, so hatte auch er hier aussteigen und dann die zwei Wegstunden bis an’s Ziel zu Fuß oder zu Wagen zurücklegen müssen.

Sofort stellte Theodor Erkundigungen an. Er fragte, ob nicht ein stattlich aussehender junger Mann, der mit dem ersten Zuge heute angekommen, hier ausgestiegen sei und nach dem Wohnorte des Schulmeisters Schnurr sich erkundigt habe. Das traf. Der junge Mann hatte in der nahegelegenen Restauration einige Stunden sich aufgehalten und dann einen Einspänner genommen.

Theodor und der Director begaben sich nach der Restauration. Hier hörten sie, daß Rauschenbach bestimmt hatte, er werde nicht zu spät zurückkehren, weil er mit dem Abendzuge nach Berlin müsse.

Um allein zu sein, traten sie heraus in den Garten.

„Wollen wir ihm nicht entgegenfahren oder ganz hin an den Ort, wo Fräulein Rosa bei dem Oheim verweilt?“ fragte der Director.

„Nein, nein,“ versetzte Theodor, „mein Plan ist gefaßt. Kaum zwei Stunden noch und der Zug geht ab. Rauschenbach muß ja drüben längst fertig fein, jeden Augenblick kann er zurückkehren. Ueberhaupt bleibt er viel zu lange. Heute früh schon hin – und nur zwei Stunden weit ist’s – er könnte ja eigentlich schon längst wieder hier sein.“

„Und Ihr Plan?“ fragte der Director.

„Den sollen Sie sofort hören, wenn wir hinauf in unsere Zimmer sind.“

„Brauchen wir zwei Zimmer? Sagten Sie nicht: in unsere Zimmer?“

Theodor bejahete es mit einem Kopfnicken. Er rief dann den Wirth, und bat um zwei aneinanderstoßende Zimmer. Oben angelangt, begaben sich Beide in eins der angewiesenen Gemächer.

Der Wirth entfernte sich.

„Vor der Hand können wir hier in Gemeinschaft uns aufhalten,“ sagte Theodor zum Director, „sobald wir aber den Wagen sehen, in welchem Rauschenbach kommt, müssen Sie hinüber in das anstoßende Gemach.“ Und nun theilte er ihm den Plan mit.

Der Director billigte denselben. Uebrigens blieb er noch immer bei seiner Behauptung, Rosa werde schuldlos erscheinen.

„Selbst daß sie Ihnen nur Einiges, nur das Hauptsächlichste über Rauschenbach mittheilte, befremdet mich nicht,“ sagte er. „Ich kenne ihre noble Gesinnung, ihr Zartgefühl, ich kenne ihr ganzes Wesen. Sie mag von dem Manne nicht sprechen, den sie verachten lernt. Sie will die Erinnerung an ihn aus ihrer Seele werfen, wenigstens von den Fehlern und Gebrechen nicht reden, durch welche er ihr zuwider wurde. Späterhin,“ fuhr er fort, „wird sie schon weniger zurückhaltend sein – aber gestern, bei diesem schnellen Wechsel der Dinge – ja, ich finde es, wenn ich den ganzen Charakter von Fräulein Rosa auffasse, sehr natürlich, daß sie es vermied, Näheres von Rauschenbach gerade mit Ihnen zu sprechen. Und erwähnten Sie nicht, daß sie gegen Ihren Herrn Vater bedeutsame Aeußerungen that?“

„Das erwähnte ich, und es ist wahr,“ antwortete Theodor, der sich durch diese Erklärung, die ja eigentlich seine eigenen Gedanken nur bestätigte, erquickt fühlte; „gegen meinen Vater hat sie im Grunde deutlicher über Rauschenbach gesprochen, als gegen mich. Mit schmerzlichem Lächeln hatte sie erklärt, daß es gegen das Gefühl der Frauen laufe, von den Gebrechen eines Mannes zu reden, der ihnen näher gestanden, – daß Rauschenbach selbst die Schuld trage von der Auflösung ihrer Bekanntschaft mit ihm.“

„Und Sie kennen Rauschenbach nicht, sahen ihn nie?“

„Nie,“ erklärte Theodor, „wie konnte ich sonst auch den Plan ausführen wollen, den ich Ihnen vorhin mittheilte?“

„Wahr, ganz wahr, entschuldigen Sie meine Vergeßlichkeit,“ entgegnete lächelnd der Director; „Sie hörten ja blos von ihm, als Sie in Berlin waren und Fräulein Rosa kennen lernten.“

„Sehen Sie?“ rief jetzt überrascht Theodor, und trat schnell an’s Fenster, „nun werde ich auch ihn kennen lernen. Da kommt der Einspänner!“

Der Director eilte zum Fenster und überzeugte sich.

„Das ist er!“ bestätigte der Director.

„Und nun auf Ihren Posten und ich auf den meinen!“ entgegnete mit klopfendem Herzen Theodor. „Der Himmel mache Ihre Vermuthung wahr, er gebe, daß Rosa schuldlos sei!“

Unter diesen Worten schenkte er schnell die Römer noch voll, die neben den zwei Weinflaschen auf dem Tische standen. Leise stieß er mit dem Director an –- schnell tranken sie aus. – Der Director begab sich in das Nebenzimmer. Auf dem Tische ließ man nur eine Flasche und ein Glas zurück. Theodor ging, als der Wagen etwa noch hundert Schritte vom Hause entfernt war, mit bedecktem Haupte hinab. Er schritt dem Wagen entgegen.

„Sie sind der Schauspieler Herr Rauschenbach?“ fragte er fest und mit amtlicher Höflichkeit, und lüftete den Hut.

Rauschenbach stutzte. Er erhob sich, erwiderte höflich den Gruß und stieg aus dem Wagen.

„Sie entfernten sich aus Berlin?“ setzte Theodor seine Frage fort und gab dem Kutscher durch Handbewegung einen Wink, mit dem Wagen in das Gehöfte zu lenken. „Sie hatten nicht die erforderliche Erlaubniß dazu!“ sprach er weiter, während er bemerkte, wie Rauschenbach erblaßte.

„Mein Herr, wenn Sie Beamter – –“

„Sie haben nicht nöthig, zu erschrecken, so wenig als Sie zu leugnen brauchen,“ fiel Theodor ein, „ich habe Ihnen Mittheilungen zu machen, Herr Rauschenbach, folgen Sie mir auf mein Zimmer.“

Düpirt, aber mit sicherm Anstande schritt Rauschenbach an Theodor’s Seite hinauf in das Zimmer.

„Setzen Sie sich,“ sprach Theodor und präsentirte ihm einen Stuhl. Rauschenbach verbeugte sich und blieb stehen.

„Darf ich fragen, wer Sie sind, mein Herr?“ hob er gefaßter an.

„Das sollen Sie erfahren. Sie kommen soeben vom Schulmeister Schnurr?“

„Nein.“

„Nun ja, ich hätte sagen können, von Fräulein Rosa?“

„Nein, mein Herr.“

„Herr Rauschenbach!“

„So eben komme ich von Magdeburg – bei dem Schulmeister Schnurr war ich heute früh.“

„Wen suchten Sie in Magdeburg?“

„Den Schulrath Werner – ich traf ihn nicht, er war verreist. Dann suchte ich seinen Sohn daselbst, auch er war verreist.“

„Beide verreist?“

„Beide.“

„Und was wollten Sie bei dem Schulrathe und dessen Sohn?“

„Mein Herr, haben Sie wirklich ein Recht zu solchen Fragen?“ entgegnete verlegen und ausweichend Rauschenbach.

„Ich werde Ihnen sagen, was Sie suchten, ich werde Ihnen zeigen, was Sie suchten,“ versetzte langsam und betont Theodor, „und dadurch werde ich beweisen, daß ich allerdings zu solchen Fragen ein Recht habe!“

Er trat einen Schritt zurück, und hielt die bekannten zwei Blätter empor.

„Ha! – die Elende! So hat sie mich verrathen!“ rief gellend Rauschenbach und bedeckte fein Gesicht. „Sie hat die Blätter eingesendet, – und doch hat sie behauptet, der Schulrath Werner besitze dieselben! O Verrath, scheußlicher Verrath!“

„Wußte Rosa von Ihrer Schuld?“ fragte erschrocken Theodor. Rauschenbach schwieg einige Augenblicke. Dann durchschritt er rasch das Zimmer, streckte die Hände empor und versicherte, Rosa wisse davon – Rosa sei schuldig.

Theodor’s Lippen entfärbten sich – er schöpfte tief Athem – er stand wie vernichtet.

Aber in demselben Augenblicke stand auch Rauschenbach wie vernichtet. Aus dem Nebenzimmer hörte er plötzlich eine sonore Stimme, die ihm so bekannt vorkam.

„Ich muß den Plan durchkreuzen, kann nicht warten!“ stürmte der Director aus dem Nebenzimmer, „also entschuldigen Sie!“ In raschen Schritten trat er zu Rauschenbach, schüttelte ihn an der Brust und rief: „Elender! Wie können Sie es wagen, Fräulein Rosa zu verdächtigen?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_550.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)