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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

froh, daß dieses böse Wetter vorüberzog, daß auch der Herr Assessor wieder heiter sind! War ich doch erschrocken bis in’s Mark hinein! Und die ABC-Buchblätter nehme ich nun wohl auch mit zurück?“ fragte er vergnügt und streckte die Hand bittend darnach aus.

“Die brauche ich noch,“ entgegnete Theodor, „und nun gehen Sie, auch ich will fort! Also geschwiegen! kein Wort gegen Rosa! Späterhin werde ich Ihnen den Zusammenhang erzählen. Sie werden dann erkennen, wie Alles hätte verloren gehen müssen, wenn Sie geplaudert!“

„Der Herr Assessor haben mein Wort!“ betheuerte Schnurr, die Hand auf’s Herz legend. „Und gehen nun der Herr Assessor ein Weilchen mit in den „schwarzen Bär“? Bei heiterer Stimmung, die schnell auf eine trübe folgte, thut man das gern. Ich hätte Luft, ein Weilchen hinzugehen, wir sind in der Nähe.“

„Nein, nein, gehen Sie nicht dahin, auch ich gehe nicht!“ erwiderte Theodor und dachte an den geschwätzigen Wirth und an das Zeitungsblatt. „Gehen Sie überhaupt in den nächsten Tagen nicht in den „Bär“, versprechen Sie mir auch das! Es darf Sie nicht befremden. Ich habe meine Ursache, es gilt einen Scherz, eine freudige Ueberraschung für Rosa.“

„Ah, wenn das, mit Vergnügen, hier meine Hand darauf!“ sagte zufriedengestellt Schnurr. „Vielleicht auch ein kleiner Actus, wie Dero Herr Vater ihn simulirte. Gut, so gehe ich nun sogleich heim, gehe zur lieben Rosa. Und der Herr Assessor?“

„Ich erwarte die Post. Wie gern ich mit in’s Schulhaus ginge, wissen Sie, aber es darf nicht geschehen!“

„Ich glaube es!“ versicherte mit voller Herzlichkeit Jener, „sonst gingen Sie ja mit!“

„Einige Tage, und ich werde dann kommen! Bis dahin leben Sie wohl, mein lieber, künftiger Oheim!“ rief mit unterdrückter Bewegung Theodor und schüttelte treuherzig Schnurr’s Hand.

So schieden sie. Kaum war Schnurr verschwunden zwischen den hochragenden Kornfeldern, da sprach Theodor, wenigstens durch den Umstand etwas erleichtert, daß er sich jetzt nicht mehr zu verstellen brauchte, leise die Worte: „Ich will hin in ihre Nähe! ich will ihr meinen Abschied sagen, still und ohne daß sie es weiß und ahnt! still in Bekümmerniß und doch in unaussprechlicher Liebe!“

Er schlug einen andern Weg ein. Der Abend hatte nun in voller Sommerpracht sich niedergesenkt auf die Fluren. Am Himmel stand die schmale Mondsichel. Die Heimchen zirpten im Grase und Gebüsche. So schritt er hin durch die Felder, deren Halme und Aehren schon den ersten Abendthau ansetzten. Bald hatte er die Zäune des Obstgartens erreicht, der zum Schulhause gehörte. Er blickte hinein. Da blühte duftig die Rosenhecke, von welcher die Theuere in den Frühstunden dieses Tages die schönsten Blumen für ihn gebrochen. Da standen in der Laube noch die Stühle, auf denen heute die befreundete, glückliche Familie gesessen. Da hing vor einer Mauer die an einem Pfahl befestigte kleine, weiße Scheibe, nach welcher Rosa geschossen.

Plötzlich hörte er Musik. Rosa spielte einige gehaltvolle Gänge. Dann war es still. Ein Lichtschein fiel durch die Fenster nach dem Garten heraus, und Theodor bückte sich hinter den Zaun. An dem einen Fenster aber erschien Rosa, das Licht in der Hand. Sie wendete den Kopf nach der Stube und rief den Oheim herbei, Dieser kam.

„Ist’s richtig so?“ hob sie an, „liegt nicht gerade hier hinein Magdeburg?“

Schnurr bestätigte es.

„Gute Nacht, mein lieber, lieber Theodor!“ rief sie leise nach der bezeichneten Gegend hinein.

Alles war still. Nur Käfer summten durch den Garten. Es war, als halte Rosa kurze Abendandacht. Durch Theodor’s Herz zog’s wie Sonnenglanz und Gewitterschauer.

„Und nun komm, nun spielen wir vierhändig, Oheim’,“ hob Rosa wieder an. „Wie wunderbar ordnen sich doch die Sterne unsers Schicksals! Als mein Pater starb, versprach ich ihm, Dich, wie er es wünschte, aufzusuchen in Deinem Dörflein. Jahre vergingen, ohne daß ich es that. Da lerne ich vor zwei Monaten meinen Theodor kennen. Ich habe keine Ahnung davon, daß er in deiner Nachbarschaft wohnt, und kaum ist er abgereist, da fügt sich’s, daß ich mein Engagement aufgebe, und mir kommt der Gedanke, Dich aufzusuchen, eine Zeit lang in ländlicher Einsamkeit zu verleben. Und in Deinem Hause werde ich so glücklich!“

„Alles vom Himmel, Alles!“ antwortete Schnurr, „und auch ich wurde glücklich, in doppelter Hinsicht glücklich. Nicht nur, daß ich Dich kennen lernte, Du hast mich auch so reichlich –“

„Still, Oheim, Du sollst dieses Geld nicht erwähnen!“ fiel sie rasch und fast unwillig ein, „nun hast Du augenblicklich meine Stimmung getrübt! Komm, wir wollen spielen!“ Sie nahm das Licht vom Fenster. Nach einigen Augenblicken erklang das Spiel.

„Rosa, Rosa!“ sagte seufzend Theodor, indem er leise am Zaune vorbeischritt und die Hand auf’s Herz drückte, „o hättest Du sie nicht geredet, diese letzten Worte!“ Dann stand er wieder still. Auf und ab wogten die Gedanken und Gefühle in seinem Innern. Er blickte nach den Fenstern, ohne dem Gange der Musik zu folgen. Da ertönte in der Ferne das Posthorn, „Auch Dir, o Rosa, eine gute Nacht! Rosa, schlaf’ wohl! schlaf’ ohne Schuld! Der Himmel gebe uns ein glückliches Wiedersehn!“ rief er leise und preßte die Hände fester auf die Brust. Und doch konnte er, so fest er auch die Hände auf die Brust drückte, das Drama nicht zerstören, welches in seinem Herzen spielte. Er schritt durch die Sommernacht hinüber nach der Straße. Auf ihr war es öde und still. Weich wallte die Luft um feine Schläfe. Vom Schulhause her klang leise noch die Musik. Die Post kam an, er stieg ein.

Nach einer Stunde gelangte man in die Nähe der Eisenbahn. Da stieg er aus und schritt nach dem nächsten Anhaltspunkte. Er ließ sich ein Billet nach Berlin geben. Dann schrieb er folgenden Brief:

„Mein theurer Vater!

„Nur an Ort und Stelle kann Licht, vielleicht auch Lösung in das Räthsel kommen. Darum reise ich nach Berlin. Thue nichts, auch gar nichts in der bewußten Angelegenheit, bis ich Dir Nachricht gebe oder selbst komme. Das vergiß nicht, das halte genau, lieber Vater! Sollte ich in Berlin Geld brauchen, so werde ich es von unserm dortigen Bankhause nehmen.

„Dein Sohn Theodor.“     

Kaum hatte er den Brief in den Kasten geschoben, da kam der Zug, der nach Berlin ging. Nach wenigen Minuten ertönte das Signal zur Abfahrt. Theodor stieg ein. Kein Schlaf schloß seine Augen, der Gutenachtwunsch, den Rosa liebend für ihn ausgesprochen, erfüllte sich nicht.



VII.

Noch früh am Morgen war es, als Theodor, den Berliner Adreßkalender in der Hand, in der Restauration des Bahnhofes stand. Er blätterte und suchte. Er legte unwillig das Buch auf den Tisch.

„Mein Herr, Sie finden nicht, was Sie suchen?“ fragte der Kellner. „Dürfte ich bitten? Vielleicht vermöchte ich Auskunft zu geben.“

Theodor fragte nun nach dem Schauspieldirector Liebing.

„Der steht nicht im Kalender, seine Gesellschaft spielt nur zuweilen in einer hiesigen Vorstadt, dann geht sie wieder in eine Nachbarstadt, gegenwärtig spielt sie in Luckenwalde.“

Mit dem nächsten Zuge fuhr Theodor nach Luckenwalde, Ehe eine Stunde verging, stand er vor der Thüre des Schauspieldirectors, hörte im Zimmer eine Kaffeetasse klirren und klopfte leise an.

Eine sonore Stimme rief zum Eintreten. In demselben Augenblicke überschritt Theodor die Schwelle. Der Director erhob sich von seinem Kaffeetische, Theodor stellte sich vor.

„Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu reden, Herr Director,“ begann jetzt Theodor, „sind wir allein?“

Der Director versicherte es, und rückte einen Stuhl zurecht.

„Eine wunderbare Verkettung der Umstände,“ hob Theodor an, indem er sich setzte, „läßt mich ein warmes Interesse nehmen an dem Gange der Untersuchung, betreffend den Diebstahl, der bei Ihnen verübt ward. Darf ich fragen, wie weit die Untersuchung vorwärtsschritt und was sich in derselben ergab?“

„In der letzten Zeit ist nichts darin geschehen,“ gab der Director zur Antwort, „ein besonderes Resultat ward auch nicht gewonnen. Derjenige, auf den sich Verdacht warf, mußte auf Handgelöbniß seiner Haft entlassen werden, weil die vorliegenden Indicien während der Untersuchung sich abschwächten. Gestern soll er wieder im Verhör gewesen sein. Das wäre so ohngefähr das Hauptsächlichste. Mein Geld ist weg, ich werde es nicht wieder erlangen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_535.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)