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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Englische Skizzen.
Von A. Leschke.
1. Die Anzeige in London.

Wenn ich nicht irre, hat der Großmeister des Humbugs, der einstmals vielgenannte Barnum, ein Buch über die Anzeige und über ihren großen Werth geschrieben. Zum wenigsten hat er darüber geschrieben und sich das Verdienst erworben, die Anzeige ihren verschiedenen nützlichen Seiten nach beleuchtet zu haben. Wenn ein Deutscher über einen solchen Gegenstand schriebe, so würde man sich schier darüber verwundern, denn es möchte ziemlich überflüssig erscheinen, über solch eine unbedeutende Sache nur zwei Worte zu verlieren. Wenn ein Engländer oder ein Amerikaner darüber ein Buch schreibt, so erscheint dies ganz natürlich, denn die Anzeige ist dort eine andere, als in Deutschland, und wenn sie hier vorzugsweise nur als ein unbedeutender Appendix zu den Zeitungen und in dem immer noch bescheidenen Quart- und Folioformat als Placat erscheint, so nimmt sie dort ganz andere Dimensionen an und hat sich mit solchem Raffinement ausgebildet, daß ihre deutsche Schwester sich in keiner Weise mit ihr messen kann. Die öffentliche Meinung ist eine Macht, die Anzeige ist es auch; wo erstere in ihrer ganzen Machtfülle erscheint, da steuert auch die letztere mit vollen Segeln. Daher erscheint die Anzeige nirgends eigenthümlicher und gewaltiger, als in England und Nordamerika, in den Staaten, wo man die öffentliche Meinung gewissermaßen als den Regulator der staatlichen Verhältnisse bezeichnen kann.

Die Anzeige tritt dort mit einer Prätension auf, wie man sie bei uns nicht kennt. Läßt sie sich hier beikommen, eine etwas anspruchsvollere Miene anzunehmen, so wendet man sich mit einer gewissen Verachtung von ihr ab. Sie darf bei uns nun einmal nicht über das bescheidene Terrain, das ihr angewiesen worden ist, hinausgehen, wenn sie nicht in ein übles Renommee kommen will. Die Anzeige hat bei uns recht respectable Vertreterinnen in der Presse; aber ein solches Organ besitzt sie doch nicht, wie die Times. Wer jemals die Times gesehen hat, der weiß, was es sagen will, von den Times vertreten zu sein. Was sind alle die anderen englischen Blätter im Vergleich zu den Times? Was sind ihnen gegenüber das Morning Chronicle, die Morning Post, der Morning Herald, der Star, der Advertiser u. s. w.? Die Times sind in den Händen von ganz England, weil sie immer den echten und wahren John-Bullismus vertreten, und dann, weil sie mit der Anzeige eine Ehe eingegangen sind, die für ganz England von ungemeiner Wichtigkeit ist. Die Anzeige ist es, welche die Times immer über dem Niveau der anderen Blätter erhalten wird, und daher werden wahrscheinlich auch die Times mit Old-England stehen und fallen.

Massenhaft sind oft die Anzeigen, welche Bücher bringen, auf deren Absatz man rechnen kann. Hinten und vorn bilden die Anzeigen nicht selten eine solche Emballage, daß man sich ganz natürlich fragt, ob das Buch nur der Anzeigen wegen da sei. Sind bei uns nur die Buchhändleranzeigen in diesem Falle in einer sehr mäßigen Weise üblich, so ist dies in England anders; jedermann hat ein Recht, in diesen Anzeigebüchern vor und hinter dem eigentlichen Buche sich und seine Waare auszubieten. Da empfehlen sich neben Papierhändlerinnen und Buchhändlerinnen Bijouteriewaarenhändler und Händlerinnen, Kleider- und Putzwaarenhändler, Agenten und Leihbibliothekare, Photographen und Lithographen, Milchhändler und Zahnärzte, Schneider und Hoteliers, Gewürzkrämer und Glaswaarenhändler, Privatlehrer und Apotheker, Bürstenbinder und Hutmacher, Butter- und Käsehändler u. s. w.. Alles bunt durcheinander. Die Anzeigen sind oft eben so stark als das Buch selbst. Auch hält man es für gut, sich mehrmals zu empfehlen, und so kommt es, daß einem manche Anzeige zweimal und dreimal aufstößt. Die Engländer sind viel zu speculativ, um sich mit etwas Halbem zu begnügen. Sie wissen, daß unter der Menge Anzeigen eine wohl verloren gehen kann; daher suchen sie gleich durch die Masse zu wirken. So wie sie ihre Pfunde nicht scheuen, um auf andern Gebieten mit großen Mitteln große Erfolge zu erzielen, so machen sie es auch mit den Anzeigen.

Sehen wir uns doch einmal eine solche Anzeige etwas genauer an. Da beginnt eine mit dem prätentiösen: „Was ist in einem Namen?“ Diese Frage beantworten die Herren Gebrüder Samuel durch eine Empfehlung ihrer Sydenhamhosen, indem sie sagen: „Mit den Sydenhamhosen verbindet man den vollkommensten Begriff eines reizenden, leichten, trefflich sitzenden Kleidungsstückes, unerreicht von allen früheren Versuchen in dieser Branche.“ Sie gewähren nach der Angabe der Gebrüder Samuel dem, der sie trägt, die größte Bequemlichkeit, und abgesehen davon ist auch ihre Billigkeit berücksichtigenswerth. Der Erfolg, den die Herren Samuel mit ihren Sydenhamhosen gehabt haben, hat sie übrigens kühn genug gemacht, auf diesem Felde der Entdeckungen noch weiter vorzugehen. Eine andere Anzeige mit der Ueberschrift: Facta, non verba! verkündigt ebenfalls eine Erfindung jener Herren, nämlich die des Sydenham-Ueberrockes, in dem sie eine glänzende Probe ihres Wissens in der Geometrie und Anatomie abgelegt zu haben glauben. Auch meinen sie mit dieser Erfindung ihr Motto: „Thaten, keine Worte!“ wahr zu machen. Gut so! Wenn man aus Deutschland nach England kommt, so will es einen bedünken, als ob die Herren selbst sich gelegentlich nicht so streng an ihre Devise hielten; indessen man muß bedenken, daß sie in England sind, und daß man dort vom Wortemachen andere Begriffe hat, als bei uns im bescheideneren Deutschland. Wir werden übrigens später noch einen Rivalen der Herren Samuel kennen lernen. Jetzt wollen wir uns noch einige andere Anzeigen besehen.

Da fragt Einer an: „Wer ist Ihr Hutmacher?“ und ladet dann das geehrte Publicum ein, seine Waare einmal zu versuchen. Noch ein Anderer fragt: „Wer ist Ihr Buchdrucker? – Warum zahlt man solche horrende Preise, da jede Art von Drucksachen beträchtlich billiger und besser gedruckt werden kann?“ – nämlich von dem Anzeiger selbst. Am Schlusse der ganzen Anzeige endlich kommt noch der Nachsatz: „Gesucht wird zum Druck eine Zeitung oder ein Magazin für einen ungewöhnlich billigen Preis.“

Um das Publicum Vertrauen zu den angekündigten Firmen fassen zu lassen, hält man es für gut, anzugeben, wie lange das Geschäft schon besteht, und daher findet man oft über oder in der Anzeige das Wort established mit der Jahreszahl, d. h. besteht seit so und so lange. Ein anderes Empfehlungsmittel ist die Angabe der hohen Protection, unter der das Geschäft steht. So empfiehlt Einer sein Geschäft als stehend unter der Protection des Adels und der Geistlichkeit von Brighton und der Grafschaft Sussex. Rowland und Sohn nehmen für ihre eleganten Waaren, zu denen auch das berühmte Macassaröl gehört, sogar die hohe Protection der Könige und der Aristokratie von ganz Europa in Anspruch. Eines der gesuchtesten Empfehlungsmittel ist der Name der Königin. Die große Königin muß es sich gefallen lassen, die Schutzgöttin von ganz England zu spielen, ganz abgesehen von dem Schutze, den sie dem Lande von Rechtswegen kraft ihrer Würde zu ertheilen hat. O du lieber Himmel, zu wie Vielem muß sie ihren Segen geben, die gute Königin! Hier kündigt sich Einer als Parfumeur der Königin und der ganzen königlichen Familie an; dort betreibt ein Anderer sein Haarkräuslergeschäft unter dem besonderen Schutze Ihrer Majestät, oder wenn es Ihre Majestät nicht sein kann, heißt es doch wenigstens S. K. Hoheit Prinz Albert. Noch ein Anderer verkauft Hüte und Handschuhe unter dem besonderen Schutze Ihrer britischen Majestät. Wird eine Gesellschaft gegründet, so muß sie Patrone haben; und den meisten Segen kann sie sich versprechen, wenn sie die Königin zur Protectorin hat. Wie oft begegnet Einem der Name der Königin, wenn man durch die Straßen Londons geht! Die gute Dame hätte sehr viel zu thun, wenn sie allem dem, wozu sie ihren Namen huldreichst hergegeben hat, ihr schützendes Auge zuwenden wollte. Glücklicher Weise für sie selbst ist sie in allen oder wenigstens in den meisten Fällen nur Aushängeschild. So wie man in Deutschland die privilegirten Hof- Tabaks-, Bier- und Schnaps-, Tinten- und Schuhwichsfabrikanten und Lieferanten hat, so hat man sie dort unter dem Namen Ihrer Majestät.

Die Anzeige befindet sich indessen in England nicht blos in den Zeitungen und andern Aushängeschildern, sondern sie ist überall. In den Eisenbahnwagen, in den Omnibussen, auf den Dampfschiffen, auf den Eisenbahnstationen sieht und hört man sie. Sitzt man im Waggon, so präsentirt sich einem gegenüber ein Mr. So und So, der einem gern glauben machen möchte, daß seine Handschuhe die besten und billigsten in der ganzen Welt seien. Er präsentirt sich einem nicht in Person, sondern hat es für gut befunden, seine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_529.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2023)