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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

und des Perlsago’s aus Kartoffeln führte. Diese beiden neuen Artikel fanden bald einen ungeheuern Absatz. Auch die übrigen Fabrikate wurden von einem weit und weiter verbreiteten wohl verdienten Ruf weit über Europa und Amerika abgesetzt, und brachten die Sattlersche Firma auf alle Markplätze der civilisirten Welt. Die dadurch nothwendig gewordene Erweiterung der Fabrikanlagen wurde von 1815 bis 1834 zu verschiedenen Perioden mit Umsicht ausgeführt.

Zu Anfang des Jahres 1822 brachte Sattler das schon seit fünfzehn Jahren unbewohnte und allmählich zur Ruine verfallende Schloß Mainberg käuflich an sich, setzte es anfangs, so weit es seinem Zwecke dienlich, in baulichen Stand und errichtete darin eine Papiertapetenfabrik, die erste im Königreich Bayern, die in kurzer Zeit außerordentlich prosperirte.

Von den ferneren großartigen industriellen Etablissements Sattler’s sind hervorzuheben die wegen der damaligen Zollgrenze von Preußen in Langensalza in Thüringen in Gemeinschaft mit dem dortigen Handlungshause Winkel und Weickert 1826 errichtete Farben- und Sagofabrik, die in demselben Jahre in Schweinfurt hergestellte Zuckerraffinerie (in Verbindung mit den Kaufleuten Engelhardt aus Cassel und Wüstenfeld aus Münden), und endlich die 1829 mit Wüstenfeld aus Münden und Reuter aus Schweinfurt zu Aschach angelegte Steingutfabrik. Alle diese gewerblichen Institute stehen noch heute in erfreulicher Blüthe.

Bei dieser großartigen und außerordentlichen industriellen Tätigkeit fanden Sattler’s Energie, weise Zeiteinteilung und Menschenliebe doch noch Zeit, nach drei Seiten hin mit segensreichem Erfolge zu wirken, nämlich für das Wohl des Vaterlandes und der Heimathstadt, für das Glück und die Ausbildung seiner Familie und für seine eigene wissenschaftliche und humane Weiterbildung.

Als Landrath und langjähriger Gemeindebevollmächtigter, zuletzt eine geraume Zeit als Vorstand des städtischen Collegiums, sorgte und schaffte er unermüdlich für das Gemeinwohl Schweinfurts. Zur Betreibung des Zollanschlusses an Würtemberg und später an Preußen unternahm er viele Reisen nach München; auch als Sachverständiger mehrmals zu den Zollconferenzen beigezogen, sah er seine Brust für seine Verdienste nach dieser Seite hin mit der goldnen Civilverdienstmedaille geschmückt, König Ludwig fügte derselben später den Orden des heiligen Michael hinzu. Aber auch das Volk anerkannte und ehrte sein Wirken zum Besten des Gemeindewohls durch seine Wahl (1846) zum Landstande. Als solcher war er mit Erfolg besonders thätig, daß die projectirte Eisenbahn von Bamberg nach Würzburg über Schweinfurt geführt wurde, und redete der Judenemancipation mit warmer Humanität das Wort.

Als echter gemüthlicher Deutscher war seine Familie der Inbegriff seines höchsten Erdenglücks, und die ihn in ihrem Schooße schalten und walten gesehen haben, können seine geistige und seelische Regsamkeit, seine würdige Heiterkeit, seine hingebende Liebe und seinen alles Edle und Schöne in diesen geweihten Kreis hereinziehenden Hochsinn nicht genug rühmen. War er als Gewerblicher ein thätiger, als öffentlicher Beamter ein sorgsamer, als Menschenfreund ein besonnener, dem Flügelschlage des Zeitgeists ruhig folgender, so war er als Familienvater ein liebenswürdiger, in allen Wirkungskreisen aber ein verehrungswürdiger Mann.

Hervorzuheben und zu betonen ist, daß ihm eine an Geist und Gemüth ebenbürtige, allem Guten und Wahren holde, für alles schöne aber begeisterte, ungemein würdige, echt deutsche Hausfrau fünfzig Jahre lang zur Seite stand und mit ihm in Eintracht und Gemeinschaft nach dem gleichen hohen Ziele strebte, die blühende Mutter einer blühenden Kinderschaar, eine in Kunst und Literatur vielbewanderte, ja in beiden Reichen selbstständig schaffende wahrhaftige Edeldame – ein Glück, das in solcher Ausdehnung wenigen Sterblichen zu Theil wird.

Aber auch an seiner eignen Vervollkommnung arbeitete er mit rastlosem Eifer. Da erkannte er denn bald mit klarem Blick die erhabenen drei Disciplinen Religion, Staatskunst und Naturkunde als die drei Hauptäste des fort und fort jugendlich treibenden goldnen Lebensbaums, die in ihrem rüstigen Wachsthum den vierten, Geschichte, erzeugen. Und diesen dreien galt nun sein gesundes, redliches Forschen. Sein schlichter Sinn ließ sich dabei vom Glanze keiner Autorität blenden; er sah und prüfte mit eignem Auge, das, nicht vom Schulstaube der Gelehrsamkeit getrübt, ihn unbefangen auf die Seite trieb, wo alle redlichen, gesinnungstreuen, vorurtheilsfreien, edlen und hochherzigen Forscher der Gegenwart standen und stehen. Was diese als das Rechte und Wahre anerkannt und ausgesprochen hatten, das fand sein heller, prüfender Geist als wahr und recht bestätigt, und nun konnte seinen geraden selbstständigen Sinn nichts von der erkannten Wahrheit abbringen. Mit vielen dieser Männer stand er in brieflichem und persönlichem Verkehr, so mit Ronge und Moleschott. Doch hatte er sich den Geist des alten Wahlspruchs des Chilon: ne quid nimis, zu eigen gemacht und war ein Feind alles Ueberstürzens und aller Gewaltschritte, selbst in der besten Sache. Das sanfte Wesen des Geistes, die friedliche Macht der Ueberzeugung, aus redlichem Forschen hervorgegangen, galten ihm allein als die echten und rechten Besieger der alten Nachtschatten. So sprach er sich wohl offen zu Gunsten der freireligiösen Richtung, welche in Schweinfurt Platz griff, aus, erklärte aber bestimmt, daß er aus der Kirche, in der er geboren und aufgewachsen war, nicht austreten werde.

Durch Selbststudium hatte er es in vielen Wissenschaften, besonders in den Naturwissenschaften und in der Mechanik, zu bedeutenden Kenntnissen gebracht.

Für das Menschenleben in seinen tausenderlei Gestalten und Verwicklungen hatte er sich ein reines, unschuldiges Auge, ein treues, teilnehmendes Herz und einen billig und liebevoll urtheilenden Sinn zu erhalten gewußt. Aber er war ein in sich gefestigter Charakter und ein strenger Feind aller Gleißnerei, aller Faulheit, alles Egoismus und aller falschen Ruhm- und Genußsucht, Keine verschimmelte oder angemaßte Autorität konnte ihm imponiren. So war er der Freund und Rathgeber aller Bedrängten, die sich an ihn wandten, und gar vieler, denen stolze Scham Schweigen auferlegte. Er hat viel Kummer und Rath durch thatkräftige Hülfe gelindert, aber er that es mit jener stillen Würde, die weder auf der einen Seite das Zartgefühl, noch auf der andern die öffentliche Meinung verletzt. Und so suchte er weder Lob noch Dank, noch fürchtete er Tadel. Er war ein durchaus selbstständiger Mann, der nur nach eigner Ueberzeugung dachte und handelte. Einen schönen, fast rührenden Beweis seines kindlich reinen Sinnes lieferte seine ausgesprochene Ueberzeugung: er könne keinen Feind haben.

So war Wilhelm Sattler nach der Ueberzeugung und dem gleichstimmigen Ausspruch aller Braven, die ihn gekannt, geehrt und geliebt haben. Auf ihn paßte Hamlets schönes Wort: Er war ein Mann!

Burg Mainberg, deren Erbauungszeit geschichtlich nicht bestimmt werden kann, tritt im 13. Jahrhundert als Besitz des thüringisch fränkischen Dynastengeschlechts der Grafen, dann Fürsten von Henneberg auf, welche als Schutzherrn von Schweinfurt oft längere Zeit hier residirten. Im Bauernkriege verwüstet, dann noch schöner restaurirt, kam es kurz vor dem Aussterben des Henneberg’schen Fürstenhauses (1583) durch Kauf in den Besitz der Bischöfe von Würzburg (1542), wurde von dem berüchtigten Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Culmbach geschädigt und gab in dieser trüben Zeit die erste Veranlassung zur Ermordung des Bischofs Melchior von Würzburg und der bösen „Grumbach’schen Händel“. Die Fürstbischöfe hielten sich der Jagd in den reichen Waldungen wegen oft auf Mainberg auf, in dessen weitläufigen Kellern ihre bedeutenden Weinvorräthe lagerten, hatten aber oft Unfrieden mit dem nahen protestantischen Schweinfurt. Im 30jährigen Kriege hatte Mainberg als schwedisches Eigenthum viel zu leiden, gerieth dann in die Hände der kaiserlichen Generäle, die noch schlimmer dort hausten, kam nach dem westphälischen Frieden wieder unter bischöfliche Botmäßigkeit, und durch die Säcularisation des Bisthums (1803) an die Krone Bayern. Nur wenige Jahre Sitz eines Rentamts, stand Schloß Mainberg dann so gut wie leer; denn nur in einer schlechten Stube wohnte noch ein merkwürdiges Menschenpaar, ein Cabinets- und Dosenstück, der leibhaftige Zopfgeist des vorigen Jahrhunderts, ein alter Oberlieutenant des ehemaligen Landesausschusses, Namens Fuß, mit seiner alten Haushälterin, die Gott bei der Auflösung des heiligen römischen Reichs deutscher Nation vergessen zu haben schien, und würdige, schier gespensterhafte Insassen dieses öden, verfallenden Fürstenhauses. Dieser ehrwürdige Herr marschirte mit steifem Paradeschritt, in einem langschößigen scharlachrothen Soldatenrock mit blauem Kragen, ungeheuerm Zopfe, dreieckigen, goldbordirten, federgeschmückten Hute, kurzen schwarzsammtnen Beinkleidern, weißen Strümpfen und dreimal geschnallten Halbstiefeln, den langen Degen an der Seite, das stark bequastete spanische Rohr gravitätisch in der Hand, aus seinem Neste nach der nahen Stadt, mit dem Schlosse verfallend,

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