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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)


dann das Papier hinein, auf welchem die Nachricht geschrieben stand. Nachdem er sodann gewartet, bis die Wunde vollkommen zugeheilt war, übergab er das Thier einem seiner Diener, auf welchen er unbedingtes Vertrauen setzen konnte, und beauftragte ihn, den Hasen dem König Cyrus zu überbringen und diesem zu sagen, daß er das Thier selbst und ohne Gegenwart von Zeugen öffnen solle.

Ziemliche Aehnlichkeit mit den vorstehend erzählten Auskunftsmitteln hat das des Demokrates, eines Spartaners, der, während er als Flüchtling in Asien sich aufhielt, hörte, daß Xerxes im Begriff stehe, die Griechen mit Krieg zu überziehen. Natürlich war ihm viel daran gelegen, diese wichtige Nachricht nach Sparta zu befördern, er konnte sich aber nicht sogleich auf ein Mittel besinnen, wie dies geschehen könne, ohne daß Entdeckung zu befürchten stehe. Endlich fiel ihm folgende List ein.

Er nahm eine der Schreibtafeln, welche damals in allgemeinem Gebrauch waren. Dieselben waren bekanntlich von Holz gefertigt und mit einer Wachsschicht überzogen, in welche die Worte mittelst eines scharfen Griffels, „Styl“ genannt, hineingeschrieben wurden. Nachdem Demokrates von einem dieser Täfelchen das ganze Wachs heruntergekratzt, kritzelte er den Brief, durch welchen er seine Landsleute von den Plänen des Königs Xerxes in Kenntnis zu setzen wünschte, auf das Holz. Sodann überzog er das Täfelchen wieder mit Wachs wie vorher, so daß, da nichts darauf geschrieben stand, den Boten, dem er es übergab, von Seiten der Wachen an den Pässen kein Verdacht treffen konnte. Die Spartaner erriethen, als ihnen von Demokrates' Abgesandten das Täfelchen zugestellt ward, nicht sogleich, zu welchem Zwecke er es ihnen geschickt habe. Nach einer kleinen Weile aber kam Gorgo, das Weib des Leonidas, auf die richtige Vermuthung und meinte, wenn man das Wachs entferne, so werde man die Schrift wahrscheinlich auf dem Holze finden. Man folgte ihrem Rathe und die Botschaft ward enthüllt. Die Spartaner lasen die Nachricht und setzten ohne Säumen auch das übrige Griechenland davon in Kenntnis.

Alle diese vorstehend erwähnten Auskunftsmittel verdienen jedoch kaum einen Platz in der Kategorie der Geheimschrift, unter welcher man eigentlich nur eine Methode versteht, durch welche ein Schleier über die Schrift als solche geworfen wird, daß, wenn auch die Depesche in die Hände des Feindes fiele, dieser in seinen Versuchen, den Inhalt zu enträthseln, sich dennoch getäuscht sehen würde.

Zu dieser Classe gehörte die Skytala der Spartaner, welche Plutarch ungefähr auf folgende Weise beschreibt:

„Wenn ein General einen Feldzug beginnt, so werden zwei kleine runde Stöcke von genau einerlei Durchmesser und Größe hergerichtet. Einer dieser Stöcke wird an einem sichern Ort daheim aufbewahrt und der andere dem Feldherrn übergeben. Gesetzt nun, daß eine wichtige Mittheilung von der einen oder der andern Seite zu machen wäre, so wird ein langer schmaler Streifen Pergament genommen und spiralförmig um die Skytala gewunden, sodaß die Ränder sich berühren, ohne sich zu decken. Dann, wenn der ganze Stock auf diese Weise umwunden ist, wird die Botschaft der Länge nach auf das Pergament geschrieben. Dieses wird dann wieder abgewickelt und an den Ort seiner Bestimmung befördert. Die Boten oder andere Leute, in deren Hände es vielleicht unterwegs fällt, sind nicht im Stande, den Inhalt der Schrift zu ermitteln, weil die Worte aus allem Zusammenhang gerissen sind. Wer sich jedoch im Besitz des entsprechenden Stabes befindet, windet den Pergamentstreifen so darum, daß die Ränder genau an aneinander stoßen, wo dann die Buchstaben und Worte sich zu einem zusammenhängenden Satze ordnen und die Depesche ohne Schwierigkeit gelesen werden kann.“

Dieses Auskunftsmittel kann nicht in sehr ausgedehntem Gebrauch gewesen sein, da sich sonst der Mangel an Sicherheit sehr bald herausgestellt haben würde. Unsere Leser werden nur eines kurzen Nachdenkens bedürfen, um einzusehen, daß durch einiges Probiren sich bald herausstellen mußte, welche folgende Linie auf dem Pergamentstreifen die an die erste Linie passende war. Hatte man einmal dies heraus, so war die vollständige Entzifferung leicht, denn gesetzt, der Zwischenraum zwischen der ersten Zeile und der, welche darauf folgen müßte, um einen Sinn zu geben, wäre drei, so brauchte man blos bis zur neunten, von da bis zur dreizehnten, dann bis zur siebzehnten etc. bis an’s Ende zu springen, wo dann die erste Linie der Depesche ermittelt sein mußte. Finge man dann wieder mit der zweiten Linie von dem obersten Ende des Streifens an und nähme respective die sechste, zehnte, vierzehnte etc. so würde man die zweite Linie der Depesche haben, und durch Weiterverfolgung derselben Methode würde binnen sehr kurzer Zeit die ganze Botschaft im Besitz derer sein, vor deren Augen die Skytala sie hätte schützen sollen. Man wird dies sehr leicht verstehen, wenn man erwägt, daß eine auf einen Spiralstreifen geschriebene Zeile nothwendig aus mehrern Zeilen zusammengesetzt ist, die sich in gleichweiter Entfernung von einander befinden.

In neueren Zeiten haben sich manche Monarchen in Bezug auf die Undurchdringlichkeit der von ihnen angewendeten Chiffreschrift oft in gleicher Weise getäuscht. Ein merkwürdiges Beispiel hiervon ereignete sich gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Die Spanier, welche Beziehungen zwischen allen den zerstreuten Gliedern ihrer umfangreichen Monarchie - die damals einen großen Theil von Italien, die Niederlande, die Philippinen und unermeßliche Länderstrecken in der neuen Welt umfasste - anzuknüpfen wünschten und das größte Interesse daran hatten, ihre verschiedenen Mittheilungen streng geheim zu halten, bedienten sich einer Chiffreschrift, welche sie von Zeit zu Zeit abzuändern pflegten, um Jedem, welcher etwa versuchte, die Geheimnisse ihrer Correspondenz zu durchdringen, dies unmöglich zu machen.

Diese aus mehr als fünfzig Schriftzeichen bestehende Chiffre war ihnen während der Kriege, welche damals Europa verheerten, von großem Nutzen, die Heinrich der Vierte, der einige ihrer Depeschen hatte auffangen lassen, sie einem geschickten Mathematiker, namens Viete, mit dem Befehl übergab, den Schlüssel ausfindig zu machen. Dies gelang dem Mathematiker auch wirklich, und er sah sich sogar in den Stand gesetzt, bis zur Bedeutung der Chiffre in allen ihren verschiedenen Modficationen zu gelangen. Frankreich benutzte diese Entdeckung zwei Jahre lang, bis endlich der spanische Hof, vollständig verblüfft, die französische Regierung beschuldigte, sie habe Zauberer in ihrem Solde und bediene sich teuflischer Mittel, um zur Enthüllung der cryptographischen Geheimnisse der spanischen Krone zu gelangen. Zugleich verlangte sie, daß Viete als Schwarzkünstler zur gerichtlichen Untersuchung gezogen werde, und brachte ihre Beschwerden sogar bis an den römischen Hof. Natürlich blieben dieselben fruchtlos, aber dennoch hätte es dem Mathematiker übel ergehen können, wenn er nicht unter dem Schutze eines mächtigen Monachen gestanden hätte, denn die Anklage auf Zauberei war im Jahre 1600 oft von sehr ernsten Folgen begleitet.

Eine der gegenwärtig im allgemeinsten Gebrauche bei der diplomatischen Welt befindlichen Geheimschriftmethoden besteht darin, daß jeder Buchstabe und eine gewisse Anzahl von Worten, Redensarten und Eigennamen durch verschiedene Zahlen dargestellt werden. Um die Bemühungen der Dechiffrirkünstler um so wirksamer zu vereiteln, wird ein und derselbe Buchstabe oder ein und dasselbe Wort durch mehr als eine Zahl ausgedrückt. Auf diese Weise werden Tabellen wie die folgende aufgestellt:

a 6 ... 19 ... 500 ... 46
b 8 ... 50 ... 250 ... 20
c 4 ... 2 ... 125 ... 18
d 11 ... 41 ... 65 ... 87
e 37 ... 47 ... 201 ... 900
f 49 ... 96 ... 113 ... 6998
g 23 ... 43 ... 68 ... 100
h 39 ... 93 ... 20 ... 8446
i 57 ... 89 ... 98 ... 105
k 64 ... 86 ... 244 ... 9797
l 51 ... 69 ... 83 ... 111
m 13 ... 63 ... 92 ... 536
n 54 ... 102 ... 107 ... 5886
o 58 ... 79 ... 129 ... 7654
p 21 ... 95 ... 140 ... 999
q 35 ... 84 ... 110 ... 1220
r 59 ... 81 ... 108 ... 548
s 52 ... 74 ... 103 ... 1370
t 56 ... 82 ... 104 ... 925
u 53 ... 97 ... 112 ... 1000
v 32 ... 94 ... 203 ... 1266
w 80 ... 3 ... 25 ... 400
x 34 ... 114 ... 300 ... 966
y 67 ... 78 ... 201 ... 6740
z 42 ... 91 ... 106 ... 120
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_519.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)