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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

durch reichlich gespendetes Lob belohnt wurden. Hiermit mag nachstehende merkwürdige Geschichte zusammenhängen.

Unsere jetzt lebende Katze, eine Enkeltochter der oben erwähnten Pflegerin des Eichhörnchens, warf Junge und wählte sich ihr Wochenbett in dem finstersten Winkel unseres Heubodens. Es blieb trotz unseres Nachsuchens Wochen lang unentdeckt. Mittlerweile waren viel Kätzchen herangewachsen, und bedurften nun wahrscheinlich so viele Nahrung, daß sie die Mutter allein nicht gewähren konnte. Da erscheint diese eines Tages mit einem ihrer Kinder im Maule im Wohnzimmer, geht gerade auf meine Mutter los, legt ihr das Thierchen vor die Füße und bittet und schmeichelt, als wolle sie sagen: „Seht, ich kann sie nicht mehr ernähren, so helft mir!“ Ihr Wunsch wird erfüllt und dem Kätzchen eine Schüssel mit Milch vorgesetzt. Sogleich eilt die Alte wieder zur Thür hinaus und holt ein zweites Kätzchen aus ihrem Neste, trägt dieses aber nicht bis in’s Zimmer hinein, sondern bloß bis an die Hausthüre, und ruft nun meine Mutter dorthin, ihr die Last abzunehmen. Das dritte trug sie nur bis in die Mitte des Hofes, das vierte warf sie einfach vom Boden herab auf unter demselben liegende Streu; solche Nachlässigkeit wurde jedoch nicht geduldet, sondern sie mußte beide noch bis in’s Zimmer bringen, wo sie dann mit höchster Befriedigung den schmausenden Kleinen zusah.

Diese Katze läßt sich ungemein viel gefallen, ohne jemals darum ärgerlich zu werden; sie unterscheidet aber ihr feindliche Personen sehr genau von den ihr wohlwollenden. Gegen diese ist sie ungemein zärtlich und artig, begleitet sie oft lange und setzt sich ihnen gern auf die Schultern. Mit dem Hunde lebt sie im vertrautesten Verhältnisse. Sie spielt mit ihm und schläft dicht neben ihm auf einem Kissen.

Als Knabe kannte ich zwei Katzen, welche auch gegen Fremde sehr artig waren. Wenn sie von uns geliebkost worden waren, begleiteten sie uns dankbarlichst Abends nach Hause. Wer hatten zwar eine halbe Stunde weit zu gehen, doch schien ihnen der Weg gar nicht lang zu sein; sie nahmen niemals eher, als vor unserem Hause von uns Abschied.

Mit solchen Beweisen der Anhänglichkeit an den Menschen widerlegt man leicht das eingewurzelte Vorurtheil; nach welchem man annimmt, daß die Katzen blos das Haus und nicht den Menschen lieb gewännen. Ich will hier nochmals an die Erzählungen unseres Lenz erinnern, namentlich an die wahrhaft rührende Geschichte der treuen Liebe einer Katze zu ihrem Pfleger und Gespielen, dem Sohne des Hauses, dessen Tod die Katze niemals vergessen konnte, und dessen Grab Jahre lang ihr einziger Ruheort wurde. Auch nachstehende Mittheilungen, welche ich der Güte meines trefflich beobachtenden Freundes Schach in Rußdorf bei Crimmitschau verdanke, sprechen für die Treue der Katze gegen ihren sie gut behandelnden Gebieter.

„Als ich noch als Knabe im väterlichen Hause weilte,“ schreibt mir der Genannte, „hatte ich ein inniges Freundschaftsverhältniß mit unserer alten Hauskatze, einem prachtvollen Cyper, eingegangen. Riese – so hatten wir Kinder sie ihrer ansehnlichen Körpergröße wegen genannt – fühlte sich in dem Grade zu mir hingezogen, in welchem ich ihr meine Liebkosungen angedeihen ließ; sie war meine Nachbarin bei Tische, wie meine nächtliche Schlafgenossin; und selbst im gereitzten Zustande, wenn sie heftig den Schwanz hin und her peitschte, vermochte sie Niemand leichter zu beschwichtigen, als ich. Stets begleitete sie mich auf meinen täglichen Geschäftsgängen, und nie ging ich in den Wald, um Sprenkel zu stellen, außer in ihrer Gesellschaft. In meiner Abwesenheit schien sie sich zu langweilen, und wurde ich durch die Schulstunden zu lange ihrer Gesellschaft entzogen, so unternahm sie allein die Gänge in den Wald, sei es nun in der Hoffnung mich daselbst zu treffen, sei es, um mich der Mühe des Ausnehmens der gefangenen Vögel zu überheben. Gewöhnlich erwartete sie hier meine Ankunft, und kehrte dann in meiner Gesellschaft nach Hause zurück. Dabei war sie überaus neugierig, und Alles fesselte ihre Aufmerksamkeit. Bog ich dann, um sie dafür zu züchtigen plötzlich auf einen Seitenweg ein, so war sie meist binnen Kurzem mir auf der Fährte und nahm, nachdem sie mich sorgfältig berochen und geleckt, ruhig neben mir Platz, bis ich zum Weitergehen mich anschickte.

Als ich im Jahre 1834 das zwei Stunden von meiner Heimath entfernte Privatseminar zu P. bezog, war Riese auch dahin mein Begleiter, und weilte hier während meiner ganzen Studienzeit, die einen Zeitraum von 3 1/2. Jahren umfaßte. Hier hatte ich Gelegenheit, eine höchst anziehende Beobachtung zu machen.

Riese war Mutter geworden, und pflegte ihre reizenden Kinderchen mit der größten Zärtlichkeit. Da widerfuhr ihr das Unglück, eingefangen und den noch gar sehr der Mutterhülfe bedürftigen Kleinen grausam entrissen zu werden. Ich konnte sie unmöglich umkommen lassen oder gar in’s Wasser werfen, und sann auf Rettung. Da erfuhr ich, daß des Nachbars Katze ebenfalls geworfen hatte, aber ihrer Jungen beraubt worden war. Sie wurde als Pflegemutter ausersehen und gewonnen. Bereitwillig unterzog sie sich der Pflege der Stiefkinder, und säugte, leckte und reinigte sie auf’s Beste. So ging die Sache vortrefflich ihren Gang, bis eines schönen Tages die rechte Mutter zurückam. Riese war der Gefangenschaft entflohen und sorgenvoll heim geeilt. Ich brachte sie zu der Pflegerin ihrer Kinder. Erfreulich schnurrend und zärtlich rufend näherte sie sich ihr und den Kleinen und – legte sich neben ihnen hin, um auch ihrerseits die Pflichten der Mutter zu übernehmen. Von nun an wurden die jungen Kätzchen von beiden Müttern gemeinschaftlich gesäugt, gepflegt und erzogen. Bald war die eine, bald wieder die andere Mutter bei ihnen, bei Gefahr aber vereinigten sich beide zur wüthendsten Gegenwehr. Ein Fleischerhund, welcher in Begleitung seines Herrn auf seinem Berufswege arglos in den Hof eintrat, wo gerade beide Katzen mit der kleinen Schaar sich tummelten, wurde von den besorgten Müttern mit solcher Wuth angefallen, daß er fast die Augen verloren hätte, und sein Heil nur in eiliger Flucht finden konnte. Treulich und einig besorgten die beiden Katzen die fernere Erziehung des jungen Volkes.

Nach Beendigung meiner Studienzeit kehrte Riese mit mir nach Hause zurück. Ihre ferneren Schicksale sind mir unbekannt, da wir jetzt auf immer uns trennen mußten.

In meinem jetzigen Wohnorte hatte ich Gelegenheit zu ähnlichen Beobachtungen. Ich erzog mir eine Katze, welche nicht nur eine wahre Schönheit war, sondern auch, was Reinlichkeit und gute Sitte betraf, als ein wahres Muster gelten konnte. Dafür war sie aber auch in der ganzen Nachbarschaft beliebt, und wurde von den Hausmüttern nicht selten mit Milch beschenkt. Von Naschhaftigkeit war bei ihr keine Spur zu bemerken. Oft saß sie unter einer Anzahl geschossener Vögel, die ich auszustopfen hatte, ohne einen zu berühren; ja sie unterstützte mich bei Vergrößerung meiner Vogelsammlung, insofern sie mir gefangene Vögel zutrug; meine Sammlung hat davon noch heute einige aufzuweisen. Ihre Anhänglichkeit an mich war außerordentlich groß. Sie machte, namentlich in den jüngeren Jahren, oft Wanderungen mit mir in den Wald und in das benachbarte B., später erwartete sie mich, vielleicht Stunden lang sitzend und lauernd und zuweilen weit von meiner Wohnung entfernt, wenn sie ausgewittert hatte, welchen Weg ich gegangen war. Um Mitternacht heimkehrend, vernahm ich dann plötzlich fern vom Hause ihre Stimme, und mit einem einzigen Satze saß sie auf meiner Schulter oder geleitete mich unter Schmeicheleien und Liebkosungen in meine Wohnung. Nicht ein einziges Mal erinnere ich mich, in die Nothwendigkeit versetzt worden zu sein, sie strafen zu müssen; auch hätte Strafe jedenfalls ihren Zweck verfehlt, da Lotte – so hieß sie – schon gegen jedes harte Wort empfindlich war, und nach solchem sogleich meine Wohnung mied, während sie bei freundlichen Worten förmlich zärtliche Blicke mir zuwarf; kam es mir doch vor, als hätte selbst „Lottchen“ bei ihr einen besseren Klang gehabt, als das gewöhnliche „Lotte“!

Sie unterzog sich gern auch der Pflege anderer Thiere, z. B. junger Füchse, deren sie einst eine ganze Familie aufzog und denen sie fleißig Nahrung, Ratten und Mäuse, zutrug.

Eins ist mir bei ihr unerklärlich geblieben. Sie hatte in ihren letzten Lebensjahren ein junges Kätzchen, das sie anfangs zärtlich liebte und mit dem sie manche Stunde verspielte. Plötzlich verwandelte sich diese zärtliche Liebe in unauslöschlichen Haß. So sehr sich auch die Tochter bemühte, die Zuneigung der Mutter zu erhalten, stets knurrte, stets drohete sie. Zuletzt wurde ihr dieselbe ein förmlicher Abscheu; und da ich letztere nicht gern entfernen wollte, quartierte sich Lotte in der Nachbarschaft ein, von wo aus sie mich zwar täglich besuchte, woselbst sie aber bis zu ihrem Tode verblieb. Ich hatte sie vierzehn Jahre.“

So weit mein Berichterstatter. Ich habe wohl nicht nöthig, noch ähnliche Beispiele hier mitzutheilen. Die vorstehenden beweisen hinlänglich, daß auch die Katze der Erziehung durch den Menschen fähig und für sie sehr dankbar ist.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_515.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)