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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Humanitäts-Anstalten.

Waisenhaus und Findelhaus;[1] 0 Säuglings- und Kinder-Bewahranstalten.

Vor dem Findelhause.

Soll’s besser werden mit der Menschheit, und zwar ebenso in Bezug auf das körperliche Wohl, wie auf Verstand, Moral und Willenskraft derselben, so muß den Menschen schon von ihrer Geburt an, und zwar vorzugsweise in ihren ersten Lebensjahren, eine andere Behandlung, eine andere körperliche und geistige Erziehung zu Theil werden, als wie dies zur Zeit der Fall ist, wo theils aus materieller Noth, theils aus Mangel an Einsicht fortwährend gegen das Kind gesündigt wird. Die allermeisten Kinder, und zwar nicht etwa blos die armer Leute, sondern auch die von Wohlhabenden und sogenannten Gebildeten, werden schon in den ersten Jahren ihres Lebens geradezu körperlich und geistig verkrüppelt und für’s ganze Leben verbildet. Es ist dies aber auch ganz natürlich, da sich nur äußerst wenige Eltern, und am allerwenigsten die Mütter, darum kümmern, wie ein Kind eigentlich zu behandeln und zu erziehen ist, und weil die meisten Eltern kleine Kinder nur wie Puppen, als erheiterndes Spielzeug betrachten. Die Kinderbehandlung und Erziehung muß aber erlernt werden, denn dazu kommt den Eltern die Fähigkeit nicht über Nacht in den Kopf; sie darf nicht nach dem Gutdünken des Einzelnen bald so bald so geschehen. Den meisten Schaden bei der elterlichen Erziehung in den ersten Lebensjahren der Kinder bringt die allgemein verbreitete und den Eltern allerdings recht bequeme Idee, daß ein Kind, wenn bei ihm „nur erst der Verstand kommt“ und wenn es dann in die Schule geht, schon noch gut und klug genug werden wird. Als ob Verstand, Gemüth und Wille,

  1. Um unseren deutschen Lesern, die aus eigener Anschauung die Einrichtung eines Findelhauses nicht kennen können, eine Vorstellung wenigstens von dem Aeußern zu geben, führen wir in dem beigegebenen Bilde den Moment vor, in welchem eine Mutter ein Kind dem Findelhause anvertraut. Die Einrichtung ist so getroffen, daß sich, nachdem die Klingel gezogen, der zum Empfange der Kinder bestimmte Schalter öffnet, in welchem diese den sich darbietenden Händen übergeben werden, um dann von einer bereitstehenden Wärterin die weitere Pflege zu erhalten. Es besteht, da die Mutter des Kindes der Anstalt unbekannt bleibt, die Vorschrift, den Findling mit irgend einem Zeichen zu versehen, das die Wiedererkennung Seitens der Angehörigen nöthigenfalls möglich macht.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_509.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)