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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Lord Felix.
Eine Lebensskizze von Ernst Fritze.
(Fortsetzung.)


Der Anfall[WS 1] von Schwäche war soeben überwunden, und Frau von Dahlhorst richtete lebensfrisch und hoffnungsreich ihr Gesicht wieder empor, als Herr Felix in rasch veränderter Toilette eintrat. Lenchen verschwand nun aus dem Zimmer.

„Wie komme ich zu dieser unverhofften Ehre, gnädigste Frau?“ rief der junge Mann der Dame entgegen, und er bediente sich auch jetzt mit Geflissentlichkeit eines Jargons, der bieder und aufrichtig, aber fern von aller Hofartigkeit sein sollte.

Frau von Dahlhorst legte kein Gewicht auf diese Manier, welche nicht dem feinen Ton gleichkam, den sie gewohnt war. Ihr Geist war mit zu abstracten Dingen beschäftigt, um den Gehalt gewöhnlicher Artigkeitsfloskeln controliren zu können.

„Mich führt eine Bitte in geschäftlicher Beziehung zu Ihnen,“ entgegnete sie mit der liebenswürdigen Freundlichkeit, die ihr ganzes Wesen immer durchdrang. „Ich war in Ihrem Comptoir, und man sagte mir, daß Sie schwerlich vor morgen dort erscheinen würden. Mein Gesuch leidet aber keinen Aufschub.“

Der junge Mann schaute mit Verwunderung auf die zarte Gestalt, die gegen seinen athletischen Wuchs winzig klein erschien, ohne es zu sein. Er konnte durchaus nicht errathen, was für Gesuche eine Beziehung zwischen ihm und dieser Dame, um die er vor Jahren etwas Schmerz, Verdruß und Aerger getragen hatte, herbeizuführen vermöchten.

„Wollen und können Sie mir auf der Stelle eine Summe von zwölfhundertzweiundsechzig Thalern verschaffen, Herr Mettling?“ fügte Frau von Dahlhorst entschlossen hinzu.

„Ich? Ihnen? Zwölfhundertzweiundsechzig Thaler?“ wiederholte Herr Felix mit unverstelltem Erstaunen. „Wie käme ich dazu? Sie scherzen wohl nur?“

„Das wäre ein Scherz mit blutendem Herzen,“ versetzte Frau von Dahlhorst, und ihr Lächeln erstarb für einen Augenblick auf ihren Lippen.

„Aber warum wendeten Sie sich mit dieser Bitte gerade an mich, Gnädigste?“

„Weil ich Vertrauen zu Ihnen habe –“

„Das haben Sie mir vor sechs Jahren eben nicht bewiesen, als Sie meine Bewerbung rundweg ablehnten,“ fiel der junge Mann etwas brüsk ein.

„Damals war nicht von Vertrauen, sondern von Liebe die Rede,“ war ihre schnelle Antwort, die sie mit einem schönen, innig zufriedenen Lächeln begleitete, das jedenfalls der Rückerinnerung galt. „Außer dem Vertrauen, das ich zu Ihnen habe, leitete mich auch der Umstand, mein Herr, daß Sie meine Familienverhältnisse am besten kennen, daß ich nicht nöthig haben würde, hier im Orte von Dingen zu reden und Verlegenheiten zu erörtern, die nur ganz vorübergehend sein werden. Sie wissen, daß ich die einzige Erbin meiner Großmutter bin, und daß deren Nachlaß hinreichen wird, meine Schuld bei Ihnen vollständig zu decken –“

„Gnädige Frau, auf solche faule Speculationen lasse ich mich nicht ein,“ unterbrach der Kaufherr sie lachend.

Verletzt von einer heitern Laune, die ihrem stockenden Athem die letzte Kraft raubte, sah die junge Dame unsäglich betrübt zu dem jungen Manne empor. Felix fühlte sich nicht aufgelegt, diesen Blick zu beachten.

„Ueberdies sollten Sie sich nicht um Angelegenheiten bemühen, die Ihr Herr Gemahl so weit –“

„Mein Mann ist krank,“ fiel sie hastig dazwischen.

„Ja – ja. Will krank sein – muß krank sein –“ sprach Herr Mettling mit hohnvoller Geringschätzung.

„Nein, er ist krank!“ erklärte die Dame fest?

„Nun, so hat er es glücklicher Weise dahin gebracht, krank zu sein,“ behauptete hartnäckig Herr Mettling.

Eine Pause folgte diesem Ausspruche. Frau von Dahlhorst erhob sich, Herr Felix blieb sitzen. Sein Auge musterte das bleiche, verfallene Gesicht mit dem tiefen, kummervollen Schatten um Augen und Mund – sechs Jahre waren verflossen, seit er dies Gesicht nicht in der Nähe betrachtet hatte – sechs Jahre, ein langer Zeitraum, und dann in der Stunde, wo die breit ausgedehnte Vergangenheit zusammenfällt, ein so kurzer Abschnitt des Menschenlebens! Sechs Jahre! Er hatte sie ruhig in schwelgerischem Treiben verbracht – sie war von Sorgen, Schmerzen und Entbehrungen heimgesucht worden; sie hatte zwei Kinder begraben lassen müssen – o, was sie aber jetzt zu begraben begann, das griff härter an ihr Leben, das erschütterte das Mark ihres Herzens.

Aber sie verlor ihr liebliches, zufriedenes Lächeln nicht. „Sie haben also nicht Lust, mir zu helfen?“ fragte sie engelsmilde. „Sie tragen Bedenken, meiner Ehrlichkeit diese Summe anzuvertrauen? Die Sicherheit meines Wortes genügt Ihnen nicht?“

„Thut mir leid, Gnädigste!“ rief Herr Felix in munterem Tone. „Thut mir leid, – Ich zweifle nicht an Ihrer Ehrlichkeit und würde mir die Sicherheit Ihres Wortes wohl genug sein lassen, allein wer steht mir denn dafür, daß Sie nicht eher sterben, als Ihre sehr gut conservirte Großmama? Dann ist mein Anspruch „futsch!“

Frau von Dahlhorst sah ihn höchst betroffen an.

„Daran habe ich freilich nicht gedacht –“ stammelte sie. „Es wäre Unrecht, wollte ich Sie ferner mit meinen Bitten belästigen!“

„Es ist mir äußerst angenehm, daß Sie dies selbst einsehen, Gnädige,“ meinte der Herr sich erhebend. „Ihr Herr Gemahl ist als kinderloser Vater ausgeschlossen von der Erbschaft Ihrer Großmama, und wenn er auch erbte, so würde er mich dennoch nie bezahlen – das ist seine Mode nicht!“

Frau von Dahlhorst verbeugte sich abschiednehmend – Herr Felix that desgleichen und war dann schnell allein.

Frohlockend die Hände reibend, ging er zwei Mal hastig in dem kleinen Salon hin und her; frohlockend über die Niederlage, die er einer Dame bereitet, welche ihm ein Stein des Anstoßes in seinem Lebenswege gewesen war. Nicht, daß er sich einstmals so sehr um sie gegrämt hätte, oder daß er überhaupt noch irgend ein Gefühl für sie in der Brust gehegt, sondern lediglich frohlockend in dem schön menschlichen Vergnügen, sich rächen zu können. Er glaubte eine Heldenthat verrichtet zu haben, indem er den Zufall benutzte, der ihm die einzige Person in der ganzen weiten Welt bittend entgegenführte, welche ihn seiner rohen Außenseite wegen verworfen hatte. Zwar liebte sie damals schon den jungen Gerichtsassessor von Dahlhorst, der aristokratisch fein in allen Manieren, auch aristokratisch fein in andern Rücksichten sie blendete, aber für Lord Felix blieb es eine Blamage, daß das Publicum seine Bewerbung um diese reizende Adeline gesehen und daß es aus der Verlobung mit dem Assessor von Dahlhorst den zartgeflochtenen Korb für ihn errathen hatte.

Frohlockend schritt er also zwei Mal hin und her – er hätte tanzen mögen – da tönte es, wie eine Stimme in ihm und wie eine Stimme außer ihm: „Pfui, Felix – pfui! pfui!“ Er stand still. Sein starker Nacken beugte sich ein wenig. Seine großen blauen Augen glänzten nicht mehr. Wie Nebel zog es über seine breite Stirn. Er stand still. Sein guter Geist rauschte durch das Gemach.

„Was würde Elisabeth sagen?“ murmelte er, wie aus einem Traume erwachend.

Da hüpfte Lenchen herein, im neuen Putze, mit komischer Eleganz geschmückt, und fragte ihn nach Bestellungen, da sie wegen häuslicher Bedürfnisse nach der Stadt müsse. Zerstreut nickte er, und strich über ihre sammetweichen Wangen, die sie ihm geflissentlich nahe brachte.

„Das Wetter ist so mißlich,“ plauderte das hübsche Mädchen, „Wenn ich doch den Wagen nehmen dürfte –!“

„Warum nicht?“ erwiderte Lord Felix im gütigsten Tone. „Lassen Sie anspannen.“ –

„Befehlen Sie es dem alten Friedrich,“ bat Lenchen kluger Weise. „Von mir klänge es für jetzt noch unbescheiden. Ich bin zu kurze Zeit –“

„Pah! Friedrich muß Ihnen wie mir gehorchen,“ fiel Felix ein, als sie den Satz zu vollenden zögerte.

Der Befehl wurde gegeben, und Fräulein Lenchen machte in der Stille einen sehr zufriedenstellenden Vergleich zwischen sich und der gnädigen Frau von Dahlhorst, die im strömenden Regen zu Fuß gekommen war.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Unfall
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_466.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)