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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 32. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Lord Felix.
Eine Lebensskizze von Ernst Fritze.
I.

In der kleinen, sehr hübschen Residenz S. fiel jedem Reisenden ein Haus auf, das, in einer breiten Seitenstraße belegen, durch seine höchst elegante Bauart sich auszeichnete. Es war einstöckig auf hohem Souterrain, und einige Treppenstufen führten auf eine breite Steinplatte, die, mit eisernem Geländer umhegt, von einer Menge der schönsten exotischen Gewächse geschmückt wurde. Eine Marquise, reich mit Purpureinfassungen und Troddeln verziert, spannte sich über dieses reizende Plätzchen, das außerdem mit kleinen Gartentischen und Sesseln besetzt war. Von der Treppe aus trat man sogleich in einen Vorflur, der von oben herab sein Licht empfing. Rechts und links führten die Thüren zu den verschiedenen Gemächern, und hinten schloß eine Glasthür die Wirthschaftsräumlichkeiten gänzlich ab. Eine kleine Seitenpforte im freistehenden Giebel des Hauses diente dem Gesinde zum Eingange und dieser Umstand vervollständigte die noble Ausstattung des Gebäudes.

Rechts lagen die prächtig ausgestatteten Gemächer, die in ihrer unveränderten Eleganz der Stolz der Hausfrau waren, während links in den Zimmern eine behäbigere Reinlichkeit herrschte, die im Verbande mit einem merkbaren Cigarrenrauche sich sogleich in ihrer Bestimmung als Herrenwohnung geltend machten.

Hier wohnte der Doctor Strodtmann, der Sohn der Hausbesitzerin. Unbeirrt von dem sehr ausgedehnten Reinlichkeitssinne seiner Frau Mama, die mit dem englischen Comfort ihrer häuslichen Einrichtung eine holländische Scheuerpassion verknüpfte, residirte er als unumschränkter Herr in seinen vier Pfählen und jagte gelegentlich in gemüthlichster Laune eine Magd mit Scheuerbesen und Bürsten aus dem Zimmer wieder hinaus, wenn der dämonische Trieb der Madame Strodtmann sie hineinbefohlen hatte.

Herr Doctor Matthias Strodtmann war der einzige Sohn seiner verwittweten Mutter. Eine jüngere Schwester, „Elisabeth“ getauft, in jüngeren Jahren und noch jetzt in besonders guter Stimmung „Elsi“ genannt, war früherhin stets der Gegenstand seiner Neckereien gewesen, wurde aber nach und nach seine treue Verbündete, als es darauf ankam, den jungen Arzt in seinem schweren Berufe aufrecht zu erhalten. Eine Nervenkrankheit grassirte in der Zeit, wo er sich habilitirte. In dieser furchtbaren Periode bewies Elisabeth die Tüchtigkeit ihres Charakters und bewährte die Güte ihres Herzens. Seitdem neckte Doctor Matthias seine Schwester nicht mehr auf verletzende Weise, sondern nahm sich mit väterlich weiser Miene ihrer an, wenn ihre Interessen unter der Leitung einer sehr eigenwilligen Mutter bedroht erschienen.

Doctor Strodtmann zögerte sonderbarer Weise von Jahr zu Jahr, sich zu verheirathen, obwohl er eine Gattin standesgemäß ernähren konnte.

Das Publicum der kleinen Residenz machte natürlich seine Randglossen darüber. Ein Theil desselben meinte, „der Herr Doctor sei von der noblen Lebensweise seiner Mutter und von der Klugheit und Bildung seiner Schwester zu verwöhnt, um eine Wahl treffen zu können.“ Die Leute irrten. Ausgeartete Tugenden sind nur Quälgeister der Menschheit, und in dem, was man an Frau und Fräulein Strodtmann zu preisen geneigt war, fand sich eine gewisse Ausartung vor.

Elisabeth hatte schon ihr dreiundzwanzigstes Lebensjahr erreicht, war ein sehr reizendes Mädchen, von tadellosem Rufe, vielseitiger Bildung und bedeutendem Talente, allein dessen ungeachtet fiel es keinem jungen Manne ein, sich ihr mit dem Wunsche zu nähern, sie als Gattin heimführen zu dürfen. Woran lag dies? Sie galt für gelehrt! Im Grunde mochte dies Urtheil richtig sein. Aber schloß ihre überwiegende Bildung denn die Eigenschaften aus, die zu einem glücklichen Familienleben nothwendig erscheinen?

Elisabeth Strodtmann war von ihrer Mutter, gegen ihren eigenen Willen, einer auswärtigen Erziehungsanstalt anvertraut, wo sie spielend gelernt, was Anderen furchtbare Anstrengungen verursachte. Sie las und schrieb und sprach englisch und französisch, wie deutsch. Unerhört für einen Bewerber, der das nicht konnte. Natürlich wich man von ihr zurück, weil man sich nicht zu blamiren wünschte. Elisabeth Strodtmann war mit einer schönen Stimme begabt, und sie erlernte spielend, wozu selbst Sängerinnen von Fach Monate gebrauchen. Natürlich ließ sie sich bei ihrer Zurückkunft in die Heimath nicht vergeblich um ein Lied bitten, und sie sang es so gut, wie die Primadonna vom Hoftheater. Eine Frau, die singt, ist aber einem nichtmusikalischen Manne ein Gräuel. Also applaudirte man und zog sich dann in seine Schranken zurück.

Hätte freilich Elisabeth Strodtmann ein Capital von zwanzigtausend Thalern als Mitgift gehabt, so würde man diese Bildung göttergleich gefunden und ihr Altäre gebaut haben, allein Elisabeth besaß gar kein Vermögen, denn die Einnahmen ihrer Mutter waren eine Rente, die mit deren Tode erlosch.

Das wußten alle heirathsfähigen Männer in der kleinen Residenz und deshalb konnten sie es nicht begreifen, wie Fräulein Elisabeth dazu kam, „die Welt etwas von oben herab, mit halb zugemachten Augen zu betrachten“, eine leidige Manier, die das junge Mädchen aus der Pension mit heimgebracht hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_449.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)