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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

was die Ostsee bei Nord- und Westwinden an die ost- und westpreußische Küste wirft. In der einen wie in der andern Hinsicht ist übrigens die Westküste Samlands, die eigentliche „Bernsteinküste“ Preußens, die vom nassen Elemente begünstigste; etwas minder reich ist der Strand von Danzig, desgleichen die frische Nehrung und die Nordküste des Samlands, noch weniger die kurische Nehrung und Hinterpommern, und am unergibigsten die Küsten von Kurland in Rußland und Schonen in Schweden. An allen übrigen Küstenstrecken, wo überhaupt Bernstein noch angetroffen wird, kommt derselbe nur ganz sporadisch vor.

Die zweite Art der Bernsteingewinnung ist die durch Nachgraben. Man sucht sich an dem Strande jene Stellen aus, wo durch Unterwaschung ein Theil der Ufer herabgestürzt ist, so daß die schroffe, stehengebliebene Wand die Schichtung der Erdarten deutlich erkennen läßt. Wo braune Streifen auf das Vorhandensein von Braunkohlenlagern hinweisen, oder wo sich blaue Thon- und ockerfarbene Kieselschichten zeigen, da darf man auch Bernsteinlager erwarten. Da die Strandhügel meist lockeres Geschiebe bilden, so schafft man sich zunächst eine sichere Grube, indem man das Gerölle am Strande wegräumt, dann den Fuß des Strandhügels untergräbt, damit ein Stück Uferrand herabrutscht, dessen Erdmasse man am Meere aufschichtet, um sie als Wall gegen dasselbe aufzuführen. Es bildet sich dadurch eine halbkreisförmige Vertiefung, deren Wände man schräg absticht, um das Nachfallen der Erde zu verhindern. Darauf gräbt man von oben den Grubenrand ab, während andere Arbeiter das Herabgefallene ringsum zu einer Umwallung der Grube aufthürmen, die nun gereinigt, weiter vertieft und geebnet wird. Da sich nicht selten über dem Bernsteinlager Grundwasser zeigt, so muß dieses fortgetragen werden, worauf man das übrige Wasser in kesselartige Vertiefungen leitet, die Grube mit einem Pfahlwerk umgibt, Reisig dazwischen flicht und jede Lücke sorgsam mit Gras und Moos zustopft.

Nachdem diese mühsamen Vorarbeiten beendet sind und die Grube „fix und fertig“ ist, stellen sich die Bernsteingräber in eine Reihe, treiben ihre Eisenmeißel vorsichtig, damit sie die etwa vorhandenen Bernsteinstücke nicht zerstoßen, etwa drei Fuß tief in den Boden und heben langsam eine dünne Erdlage ab. Vor dem „Stecher“ steht ein „Abnehmer“ in der Grube, der sorgfältig Acht hat, ob der Erstere auf Bernstein gestoßen ist. Größere Stücke hebt der Abnehmer sorgfältig heraus und umwickelt sie mit nassen Lappen, damit sie nicht, was sonst geschähe, an der Luft zerspringen. Hat man eine Erdschicht abgegraben, so sticht man noch eine zweite ab und gräbt dann so weit in den Rand der Grube, als dies möglich, ohne ein Einstürzen der überhängenden Erdmasse herbeizuführen, weshalb auch Aufseher („Ausgucker“) unausgesetzt die Risse oberhalb der Grubenwand beobachten. Erst wenn man die Ueberzeugung gewonnen, daß in einer Grube nichts mehr zu finden ist, verläßt man dieselbe, um an einer anderen Stelle, ähnlich den californischen und australischen Goldgräbern, sein Heil auf’s Neue zu versuchen. Was den Gewinn anbetrifft, so geschieht die Theilung gewöhnlich in der Art, daß von demselben ein Drittheil der Inhaber des Bodens bekommt, auf welchem gegraben wird; ein zweites Trittheil erhalten der oder die Unternehmer der Gräberei und das dritte endlich wird den Arbeitern zur Vertheilung unter sich übergeben, die aber noch überdies einen kleinen festen Wochenlohn aus der Tasche des „Grabeherrn“ (Unternehmers) empfangen und von ihm, wenn er die Grube besucht, mit Tabak und Bier – Branntwein wird von den Bernsteingräbern, im Gegensatz zu den Bernsteinfischern, meist verschmäht – regalirt werden. Die Realisierung des ergrabenen Gewinnes geschieht meist in der Weise, daß der „Grabeherr“ die sämmtlichen gefundenen Stücke, nach einem vorher zwischen ihm, dem Grundeigentümer und den Arbeitern vereinbarten Preise, an sich bringt und den anderen Betheiligten die ihnen zukommenden Beiträge baar auszahlt. Das, was er von den Bernsteinhändlern und Bernsteindrehern (so heißen die Bearbeiter des Bernsteins) über den von ihm selber gezahlten Preis erhält, bildet einen zweiten Bestandtheil seines Gewinnes aus dem von ihm unternommenen Speculations-Geschäfte; denn ein solches ist das Bernsteingraben immer mehr oder weniger.

Der Preis des Bernsteins wird vorzugsweise bedingt durch die Größe, außerdem durch Farbe und Form der Stücke und ihre größere oder geringere Durchsichtigkeit. Der vollkommen durchsichtige Bernstein ist in der Regel am meisten geschätzt. der durchscheinende („Bastardbernstein“) der am häufigsten vorkommende und der undurchsichtige der am mindesten werthvolle. Von ihm gibt man im Occident dem milchweißen, im Orient dem blaßgelben den Vorzug.

Nach seiner Größe, dem vorzüglichsten Werthtmesser, zerfällt der Bernstein in „große“ und „kleine“ Waare. Die große Waare, die auch „Sortiment“ heißt, zerfällt 1) in „Großbernstein“, d. h. in Stücke von 1/3 Pfund und darüber, je nach Form und Farbe mit 40 bis 60 Thalern per Pfund bezahlt; bei Stücken jedoch, die ein volles Pfund erreichen, mit 100 Thalern und darüber: 2) in „Zehner“, Stücke von 5 bis 9 Loth, 25 bis 30 Thaler per Pfund im Preise; 3) in „Dreißiger“, Stücke von 2 Loth an, mit 14 bis 18 Thalern das Pfund bezahlt; und 4) in „Czacken“, Stücke von 1 Loth an, das Pfund 7 bis 10 Thaler. Die kleine Waare zerfällt in „Grundsteine“, d. h. Stücke, die zwar noch nicht ein Loth (Haselnuß-Größe) erreichen, aber doch die Größe einer Bohne, und 1 1/6 bis 1 1/2 Thlr., und in „Knibbel“, nur erbsengroß, welche mit 2/3 bis 3/4 Thlr. das Pfund bezahlt werden. Sämtlich hier aufgeführte Preise gelten jedoch nur für den durchsichtigen Bernstein; der blos durchscheinende ist nur halb, der undurchsichtige kaum ein Drittheil so viel werth. Aus den „Knibbeln“ werden, trotz ihrer Kleinheit, noch Perlen gedreht; sie gehören daher noch zu den „Arbeitssteinen“. Was noch kleiner ist, eignet sich zu solchen nicht mehr und wird, als „Abgang“, das Pfund für wenige Groschen verkauft und zur Bereitung von Bernsteinfirniß, Bernsteinöl und Bernsteinsäure verwendet, oder, der kleinste und schlechteste, zu Räucherungen benutzt. Bernsteinsäure und Bernsteinöl gelten als reizende, nervenstärkende, auch als krampfstillende, schweiß- und harntreibende Arzneien; Bähungen von Räucherbernstein sind bei Gicht, Gliederreißen und Rheumatismus häufig mit Vortheil angewendet worden. Bernsteinfirniß gibt einen schönen, glänzenden, dabei wasser- und luftdichten Ueberzug für Holzwerk ab.

Der Bernstein bildet einen wichtigen Ausfuhrartikel des preußischen Küstenlandes, namentlich nach dem Oriente, und vormals in noch größerem Maße, als gegenwärtig. In früheren Zeiten kamen türkische, armenische und griechische Handelsleute nach Ost- und Westpreußen, den Bernstein hier theils verarbeitet, theils roh einzuhandeln und den türkischen, wie den Ländern des noch ferneren Ostens und Südens zuzuführen, wo er theils als Frauenschmuck getragen, theils zu Räucherungen verwendet wird, da namentlich die Perser, Chinesen und noch andere Orientalen den Geruch des Bernsteins jenem der aromatischen Stoffe vorziehen, an denen das Morgenland so reich ist, und seinen Duft bei religiösen Festen und Gastmahlen nur ungern missen. Heutzutage hat sich der levantinische Bernsteinverkehr insofern geändert, als die Orientalen nicht mehr nach Preußen kommen, sondern preußische, namentlich Danziger israelitische Kaufleute diesen Handel an sich gezogen haben. Danzig ist und war schon seit Jahrhunderten unbestritten das größte Emporium für den Bernsteinverkehr. Ist derselbe auch nicht mehr so schwunghaft, als früher, so ist er doch immer noch sehr belangreich. Im vorigen Jahre wurden seewärts aus Danzig, nach Ausweis der officiellen „Schiffsabrechner-Liste“, nicht weniger als 1028 Ctr. roher und verarbeiteter Bernstein, sowie Bernsteinchemikalien (z. B. 14 Ctr. Bernsteinöl) ausgeführt; der meiste ging nach Holland, welchem ausschließlich die Versorgung von Hinterindien, den indischen Inseln, China und Japan mit Bernsteinschmuck und Bernstein-Präparaten, die dort viel begehrt werden, obliegt. So beträchtlich auch schon der Werth ist, den jene 1029 Centner repräsentieren, so bilden sie jedoch keineswegs den ganzen Export, vielmehr geht mindestens eben so viel binnenwärts aus Danzig nach Polen, Rußland, den rumänischen Ländern und der Türkei.

Wie Danzig noch heut das Hauptemporium, so war es früher auch der Ort, wo der meiste Bernstein und am künstlichsten verarbeitet wurde; in letzterer Beziehung ist es jedoch gegenwärtig von Paris ansehnlich überflügelt. Dort wird jetzt viel Bernstein geschliffen, und zum Theil zu unverhältnißmäßig hohen Preisen nach Deutschland zurückgeführt. Da der Bernstein im Vergleich mit anderen Harzen eine sehr bedeutende Festigkeit hat, so wird er auf vielfache Weise bearbeitet. Enorme Mengen von Korallen zu Halsbändern gehen nach der Türkei, den Donauländern, Egypten; von letzterem Lande aus auch nach Sudan, Nubien und Abyssinien, wo sie von den Sklavenhändlern nur zu häufig benutzt werden, um gegen sie Sklaven für die Haus- und Feldwirtschaft der trägen Moslem und Favoritinnen für seinen Harem einzutauschen. Für Indien werden eigens große, platte, unförmliche Korallen gefertigt,

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