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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Kopftücher ab, von den blaurothen Gesichtern rann der Schweiß, obgleich wir zehn Grad Kälte hatten. Um fester anzufassen, ließ jetzt dieser, dann jener einen Augenblick das Netz los und tauchte seine Hände, die bis über die Ellenbogen in schwarzledernen Stülphandschuhen staken, in’s Wasser. Vorwärts ging’s; stramm angestemmt, in äußerster Kraftanstrengung nach hinten zurückgelehnt, wuchtete diese Reihe stämmiger Gestalten die Last empor, dann ließen die 24 braunen Fäuste plötzlich los, um im Nu ein Stück tiefer anzupacken. Die Männer waren hohe, derbe Gesellen mit starkknochigen, tiefgebräunten Gesichtern, langbärtig, langhaarig, einige flachsblond, andere schwarz, der Meister schon eisgrau; die Frauen erwähnten wir schon. Aehnlich, wie diese, waren auch die Männer bekleidet, nur mit breiten schwarzen Pumphosen, die in die Fellstiefeln hineinreichten, und Fellmützen, die Pelze jedoch waren ganz gleich. Wild und trotzig sahen sie Alle aus und mochten es wohl auch sein, das hörte man an den rauhen Flüchen, die sie einander zuriefen, wenn einer momentan nachließ, das brachte das Gewerbe voll Beschwerden mit sich, welches sie jeder Witterung und vieler Gefahr aussetzte.

Immer kürzer und langsamer ziehen sie an, ihre Erschöpfung zeigt sich in der wankenden Bewegung der Beine, im Zittern der Arme. Die ermüdete Brust hebt sich schnell und schwer, der Athem keucht, die Augen quellen hervor, die langen Haare kleben zu Striemen zusammen. Zornig flucht der riesenhafte Meister, ihm funkelt’s wild unter den buschigen Brauen, mit doppelter Macht faßt er in die widerstrebenden Maschen. Jetzt gilt es ja, denn der Kessel[1] kommt herauf; augenblicklich verlassen mehrere ihre Plätze und gehen zur anderen Seite des Loches hinüber, denn da der Kessel rund ist, so muß er von allen Seiten zugleich angefaßt werden. Die Spannung ist nicht gering, das Wasser geräth in unruhig wallende Bewegung, hier und da tauchen Flossen und Schwänze von größeren Fischen auf, jetzt endlich ein breiter brauner Rücken, und dort wieder einer, eine ganze Menge!

„Brachsen, Brachsen, Hurrah!“ rufen die aufgeregten Zuschauer, Ueber das Gesicht meines Freundes geht ein zufriedenes Lächeln, denn ein reicher Zug steht zu erwarten.

Ein solcher wurde denn auch gethan; je mehr der Kessel herauf kam, desto deutlicher zeigte sich das. Noch lag die Hauptmasse in der Tiefe, noch konnten sich die betrogenen Wasserbewohner in ihrem gewohnten Elemente bewegen, aber in immer engeren Grenzen. Große Hechte erschienen auf der Oberfläche, wie Schlangen schossen sie mit ihren schlanken Leibern in gewandten Windungen umher, um sogleich wieder vermeintlichen Schutz in der Fluth zu suchen; phlegmatisch dahinschwimmend regten sich die trägen Brachsen, gewaltige Barse mit rothen Flossen tauchten dazwischen auf und eine Masse kleiner, silberschuppiger Fische sprang in jedem Augenblicke in die sonnenhelle Luft, so daß ein beständiger Tropfenschauer durch ihr Aufschnellen und Niederfallen unterhalten wurde. Doch auch diese karge Freiheit sollte den Ueberlisteten entzogen werden. Die Fischer riefen jetzt mehrere Bauern zu Hülfe, unter großem Geschrei wurde der Sack von allen Seiten emporgezogen, und nach einigen Minuten lag ein zappelnder, springender, schimmernder Haufe von Fischen jeder Größe auf dem Eise. Das war ein Zug! Wie sich ergab, waren über zweihundert fünf- bis zwölfpfündige Brachsen, an fünfzig große Hechte und einige Scheffel anderer Fische gefangen worden.

Nach altem Brauch hatte der Fischerälteste das Recht, von jedem Zug zuerst drei Schaufeln voll für sich abzunehmen. So griff er denn auch jetzt mit seiner breiten und tiefen, einer großen Schöpfkelle gleichenden Schaufel in die wimmelnde Thiermasse hinein, und wußte sehr gewandt sich einige der größten Brachsen scheinbar absichtslos herauszuholen. Außerdem erhielt er ein Drittheil vom Ertrage der Fischerei.

Ein arges Gedränge entstand. Jeder wollte die schönen Fische beschauen und bewundern; dies benutzten die kleinen Bauerjungen zur Entfaltung einer besondern Industrie. Jeden Augenblick, wo die Fische weniger bewacht wurden, schoß ein solcher Bube pfeilgeschwind auf diese los, und prakticirte sich ein paar der kleineren in das linnene Quersäckchen, das er an einem Band über die Schulter hangen hatte. Die kleinen Spitzbuben waren dabei sehr gewandt und entschlüpften fast immer, weil die Umstehenden sie gewähren ließen, war ja doch an den paar Fischchen nichts gelegen; fiel aber einer den Fischern in die Hände, so thaten diese ihm auch nicht viel, sie warfen ihm nur die Pelzmütze in’s Wasser, wo er sie zum großen Jubel des Volkes wieder herausholen mußte.

Die Fische wurden nun abgetheilt, der größere Gutsantheil in Säcke verpackt und zum Hofe geschickt, und dem alten Russen sein Drittheil übergeben, womit er auch sogleich einen Handel etablirte. Käufer waren in Fülle vorhanden, alle Welt begehrte ein leckeres Fischgericht. Am lüsternsten darnach zeigten sich die Schacherjuden. Ein Fisch ist für diese armen, mäßigen Menschen ein Königsessen. Mit welchem Eifer handelten sie um einen Hecht, ein paar Barse, ein Schüsselchen Weißfische! Wenn Russen und Juden mit einander handeln, gibt es gewiß einen Wettkampf von Schlauheit und Zungenfertigkeit; so auch hier: eine ganze Weile zankten sich sich, bis endlich Freund Itzig freudestrahlend sein Fischchen in den schmutzigen Leinbeutel steckte und abzog, träumend von den gastronomischen Genüssen, welche ihm bald die eigene küchengewandte Hand bereiten würde. Es währte nicht lange, so hatte der Russe seinen ganzen Vorrath verkauft, und beorderte seine Leute zu den Vorbereitungen eines zweiten Zuges. Diesen warteten wir jedoch nicht ab, denn trotz der Pelze und Pelzstiefeln machte der kalte Wintertag sein Recht geltend, wir waren durchfroren, besonders die Damen; auch nahete schon der Mittag, so ging’s denn wieder in die Schlitten, und heimwärts klingelten unsere Glöckchen. Die meisten Leute eilten zum Kruge, um den zweiten Zug abzuwarten.

Oben auf dem Ufer angekommen, blickte ich noch einmal zum See zurück; den abschüssigen Pfad erklimmte eine lange Reihe von Schlitten, deren Glocken die ganze Luft mit Geläute erfüllten, ein Klang, der gar lustig anzuhören ist und belebend auf die Seele wirkt. Unten brannte noch immer das Feuer, hob sich der weißgraue Rauch zierlich vom bereiftem Forste ab, drängten Bauern durcheinander, während weiter hinaus die Fischer neue Löcher in’s Eis hieben. Ein prächtiger Wintertag! Diese kalte, reine Luft stimmt den Nordländer so heiter, macht ihn so frisch, wie nach einem Bad in einem klaren Gebirgsbach, stählt den Körper, erquickt den Geist. Darum lieben wir auch den alten grimmen Recken mit den Eiszapfen im Bart, dem Schneemantel und Krystallpanzer, schauen ihm keck in’s Gesicht und suchen ihn auf im weißen Feld, im beschneiten Waldrevier.

Als es Nacht wurde und der Vollmond Tageshelle über die Landschaft ergoß, forderte mich mein Freund auf, nochmals zum See zu fahren, um den letzten Zug anzusehen.

Ueber die weite, beschneite Eisfläche flogen wir wieder dahin. Nach Osten hinaus zog sie sich unabsehbar in die Weite, dort verschwamm die leuchtende mit dem Horizont; drüben ragte geisterhaft weiß der träumerische Waldeshang in den sternbesäeten Himmel auf, es war eine unendliche Ruhe in diesem Bilde. Aber lauter und lauter kamen die Rufe der arbeitenden Fischer und die Stimmen schwatzender, lachender Zuschauer zu uns herüber, je mehr wir uns näherten. Nun waren wir angelangt, Bauern nahmen unsere Pferde in Empfang, man machte uns Platz, wir konnten Alles übersehen. Eine Menge dicker, brennender Kienspähne, von den Umstehenden hoch emporgehalten, erleuchteten die Scene; ihr dunkelrothes, flackerndes Licht contrastirte seltsam mit dem milden Mondesglanz, auf dem bewegten Wasser zitterten zu gleicher Zeit silberne und purpurne Reflexe. Wir waren gerade zu rechter Zeit gekommen, denn schon tauchten einzelne Fische auf, und bald zeigte sich die ganze Masse der Gefangenen. Diese gewährten einen prächtigen Anblick. Ein Blitzen und Schimmern spiegelnder Fischkörper erfüllte das Netz; wie die Tausende durcheinander wühlten, brach es immer wieder an zahllosen Stellen hervor; es war, als ob ein mächtiger Schatz aus der Tiefe gehoben sei, aber jedes einzelne Silberstück Leben und Bewegung erhalten hätte und noch im letzten Moment dem glücklichen Schatzgräber tückisch entfliehen wollte.

Auch das Mal war der Zug ungemein ergibig, doch verblieb dem Aufseher die Theilung; wir begaben uns bald nach Hause. Noch zwei Tage währte die Fischerei und brachte einen ungewöhnlich reichen Ertrag; dann zogen die Russen weiter zum nächsten Gute, welches einen See besaß.

Zum Schlusse will ich noch erwähnen, daß man ein paar Mal mit glücklichem Erfolge kurz vor dem Zuge ganz glühende Steine in die Eislöcher versenkt hat; dieses Mittel scheucht die Brachsen an die Oberfläche und läßt sie leichter in’s Netz gerathen.



  1. Der Kessel ist ein weiter Sack, welcher vom mittelsten, breitesten Stück des Netzes abgeht und sich nach hinten verengt. In diesen müssen beim allmählichen Emporziehen des Netzes zuletzt alle gefangenen Fische hineingerathen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_443.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)