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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Muße hat und zu Schlitten sowohl ihre Geräthschaften leichter mit sich führen, als auch die etwa erworbenen Fische fortschaffen kann.

Ich verbrachte vor einigen Jahren einen Winter bei einem Freunde, dem Pächter eines großen Gutes in jenem Theile der Provinz, zu dem ein größerer See gehörte, welcher unweit des Hofes liegt. Schon seit mehreren Wochen erwarteten wir die russischen Fischer, endlich überbrachte uns eines Abends der Verwalter die Nachricht, daß sie angekommen seien. Ich hatte nicht Gelegenheit, sie sogleich zu sehen, doch vernahm ich, daß ihre Gesellschaft aus neun Männern und drei Frauen bestände. Nach altem Herkommen erhalten diese Leute auf jedem Gute, wo sie arbeiten, für die Dauer ihres Aufenthaltes Fourrage für ihre Pferde, sowie Wohnung, Verköstigung und Branntwein für sich selbst; dies wurde ihnen auch hier verwilligt und am anderen Morgen gingen sie an’s Werk.

Wir waren sämmtlich in einer gewissen Aufregung; einestheils machte dies die Unentschiedenheit darüber, wie der Fang ausfallen würde, welcher oft einen Werth von mehr als 1000 Rubel Silber haben kann; anderntheils ging es uns, wie der ganzen Umgegend, wir freuten uns auf das interessante und fremdartige Schauspiel. Der Erfolg konnte nur dann gut sein, wenn viele Brachsen gefangen wurden, weil diese sehr geschätzt und theuer bezahlt werden, die anderen Fische blieben vergleichsweise fast werthlos; es fragte sich also, ob wir Brachsen erhalten würden oder nicht. Umkreiste das Netz in der Tiefe eine Schaar dieser Fische, so konnten wir sie vielleicht in Menge haben; geschah dies nicht, so käme kaum einer herauf; letzteres war auf diesem See schon seit Jahren bei jeder Fischerei der Fall gewesen.

Andern Morgens fuhr ich zum See hinab, dessen jenseitiges Ufer von einem Walde aus Laubhölzern und Rothtannen begrenzt ist, die sich am steilen Abhange stufenweise emporthürmen. Der bereifte Wald gab den Hintergrund zu einem fremdartigen Gemälde ab. Je naher ich kam, desto deutlicher trat es hervor.

Ich muß hier vorausschicken, daß die erwähnten Russen, durch langjährige Erfahrung belehrt, sehr genau die ergibigsten Stellen der von ihnen besuchten Seen kennen, daß sie daher nur an solchen Stellen ihre Züge veranstalten und jeden See in eine bestimmte Anzahl von Zugbezirken eintheilen. An einem Tage werden nur drei Züge gethan; da jeder Zug mit den Vorbereitungen drei Stunden wegnimmt, so fällt bei den kurzen Wintertagen der Anfang des ersten und das Ende des letzten Zuges ohnehin in die Dunkelheit.

Dicht vor dem waldigen Ufer prasselte auf dem See ein Feuer, zu welchem von einem Gestell aus Stangen ein großer, berußter Kessel an einer eisernen Stange herniederhing, von blauem Rauch umwirbelt, der in lustig tanzenden Wölkchen in die Morgenluft aufstieg. Die Frauen saßen am Feuer, Zwiebeln schälend und Fische abschuppend, drei große, kräftige Gestalten mit plumpen, rothen Gesichtern; sie trugen rothe oder gelbe Kopftücher, bis an die Hüften reichende Schafspelze, mit der grauen Lederseite nach außen, und darunter kurze bunte Röcke, während sie bis zu den Knieen mit derben Mannsstiefeln bekleidet waren. Sie sangen bei der Arbeit eines jener Volkslieder mit klagender, tremulirender Melodie, welche sich in den höchsten Tönen bewegt.

In der Nähe standen drei niedrige, nach hinten zu in breite Flügel auslaufende Schlitten, wie man sie im Winter überall auf den russischen Heerstraßen sehen kann; diese hier hatten zum Transport der Geräthschaften gedient. Auf dem einen lag ein zottiger, gelbbrauner Hund mit bereiftem Fell, der aufmerksam mit gespitzten Ohren zu meinem eben stillhaltenden Fuhrwerk herüberschaute. – Etwas weiter ab befand sich eine starke Winde mit horizontaler Welle, an welcher die Endstücke von zwei Tauen befestigt waren, letztere lagen selbst zu beiden Seilen in regelmäßige Windungen aufgerollt auf dem Eise; etwa fünf Schritte vor der Winde war ein wohl zehn Fuß in’s Geviert haltendes Loch in das Eis gehauen, wo soeben das mächtige Netz hineingelassen wurde. Auf jeder Seite standen drei Fischer, je zwei von ihnen ließen das in kurzen Zwischenräumen am Rande mit fußgroßen Steinen versehene Netz in’s Wasser herab, zwei andere hielten beständig ein kleines Stück desselben gerade gespannt in den Händen, die beiden letzten achteten darauf, daß die in großer Ordnung übereinander geschichteten Netzflügel nicht im Entfalten verwirrt wurden, und reichten den in der Mitte Stehenden nur so viel davon hin, als die Vordersten in’s Wasser ließen; Alles ging taktmäßig, rasch und vorsichtig. Endlich war das Garnwerk vom Eise verschwunden, nur noch die an starken Hölzern befestigten Enden beider Flügel schwammen auf dem Wasser, und diese Querhölzer waren mit den Anfangsstücken der erwähnten Taue umwunden. Jetzt brachten die Fischer zwei lange Stangen herbei, welche vorn gabelförmig getheilt waren, und schoben jene Querhölzer in die Gabeln hinein. In einem Kreise von mehr als 1000 Fuß Umfang befanden sich, von dem großen Loche nach beiden Seiten divergirend, einige zwanzig kleinere, etwa zwei Fuß im Durchmesser haltende Oeffnungen in der Eisdecke, je fünfzig Fuß von einander entfernt; ihre Bestimmung sollte mir sogleich klar werden. Es gingen nämlich zwei Fischer nach den zunächst sich gegenüberliegenden kleinen Löchern und erwarteten dort das Erscheinen der Netzenden, welche ihnen vom Hauptloche aus mit langen Stangen unter dem Eise zugeschoben wurden; natürlich mußten die Flügel dieselbe Richtung einhalten. Sobald die Gabelspitzen in den Eislöchern erschienen, wurden sie von den wartenden Fischern erfaßt und auf dieselbe Art zu der nächsten Station hingeschoben, wo schon andere Leute aufmerkten. Unterdeß leiteten die Frauen an der großen Oeffnung das regelmäßige Abwickeln der Taue, das ganze Verfahren ging seinen sicheren Gang, von Strecke zu Strecke drangen die Flügel vor und beschrieben allmählich den vorgezeichneten Kreis, bis zuletzt die Parteien an den beiden der Winde gegenüberliegenden Oeffnungen angelangt waren. Damit war die Hauptarbeit gethan, Tau und Netz lagen auf dem Grunde des etwa sechzig Fuß tiefen See’s, die Leute eilten zur Winde und der Zug begann. Er mußte den ganzen Seeabschnitt umgrenzen und Alles mitnehmen, was sich in seinem Bereiche fand. Schon knarrte die Winde und langsam umwickelten beide Taue den Wellbalken.

So eben fuhr mein Freund mit seiner Frau und zwei liebenswürdigen Töchtern den Abhang zum See hinab; eine Menge anderer Leute fanden sich nach und nach ein, Gutsschreiber, Handwerker, Pächter aus der Nachbarschaft, auch der russische Pope und mehrere Handelsjuden, sowie Bauern, Weiber und Kinder fehlten nicht. Alle Augenblicke kündete das Schellengeklingel die Ankunft neuer Zuschauer an. Bald machte sich auch der Speculationsgeist, in Gestalt des Wirthes vom nahen Kirchenkruge, bemerkbar; er erschien mit einem hochbepackten Schlitten, schlug einen Schenktisch, besetzt mit diversen Getränken und allerlei Speisen, auf dem Eise auf und fand bei dem kalten Wetter auch genug begierige Abnehmer. Ein buntes Treiben entfaltete sich auf dem See, die vielen kleinen Schlitten, an welchen die Pferde in der Kälte ungeduldig stampften und mit den Schellen klingelten, standen etwas abseits gegen den Wald hin; um den Schenktisch tummelte sich ein Haufe kauender und trinkender Menschen unter lautem Geschwätz und Gelächter, komisch plumpen Ansehens in ihren großen Schafs-, Wolfs- oder Schuppenpelzen mit verschiedenfarbigen Ueberzügen und rothen oder blauen Wollshawls umgürtet, hohen Pelzstiefeln und Pelzmützen. Die Handelsjuden wanden sich geschäftig durch den Knäuel, diesem oder jenem von ihren Waaren anbietend; der Bauernhaufe stand beisammen, in beliebter lässiger Weise redend und qualmend, und stach durch seine grauen langen Wollenkittel von den Andern ab; es mochten wohl im Ganzen über hundert Menschen da sein.

Nach einer halben Stunde waren die Taue aufgewunden und die Querhölzer der Netzflügel erschienen über dem Wasser. Sofort verließen die Russen ihre Winde, um das Netz zu erfassen und kunstgerecht heraufzuziehen. Jetzt zog auf jeder Seite ein Mann etwa drei Fuß Netz aus dem Wasser senkrecht und straff hervor, der Hintermann empfing dies Stück und übergab es dem Letzten, welcher Alles wieder in regelmäßige Lagen aufschichtete. Schon befanden sich auf jeder Seite an vierhundert Fuß Netz auf dem Eise, hin und wieder zappelte in einer der weiten Maschen ein Rothauge oder ein Weißfischchen, die ersten unglücklichen und unbeachteten Opfer, aber es mochte doch wohl noch das letzte Viertel des Netzes unten in der Tiefe sein, als die Fischer ihre drei unbeschäftigten Cameraden und die Frauen zu Hülfe riefen und nun die ganze Gesellschaft gewaltig zu ziehen begann.

Alle Welt drängte sich jetzt näher heran, das Netz schien gewaltig schwer, die Fischer stellten sich zu sechs, mit dem Rücken gegen den Wald gekehrt, an einen Flügel desselben, der Aelteste stieß einen rauhen Schrei aus, ähnlich dem Rufe der Matrosen beim Emporwinden einer Last, die Andern wiederholten ihn im Chor, bei jedem Rufe kam das Netz stoßweise vielleicht um einen Fuß lang herauf, schoß aber wieder fast eben so weit in’s Wasser zurück. Es mußte eine mühselige Arbeit sein, denn allmählich wurden die Leute sehr erhitzt, Einer nach dem Andern schleuderte seine Fellmütze durch Schütteln mit dem Kopfe zu Boden, die Frauen rissen ihre

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