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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Trompeten? Husaren heraus!“ hat er nie künstlerisches Wohlgefallen gespürt. Nachdem ihm die Ordre zugegangen, sich bei seinem Truppentheile an einem bestimmten, nicht mehr entfernten Tage zu stellen, fühlt er eine zärtliche Neigung zu dem stummen ledernen Rosse, das ihn bei seinem schriftlichen Kampfe mit Coursen und Wechseln getragen hat. Rozinante wurde von dem Ritter aus der Mancha, Babieça vom Cid nicht mehr verehrt, als der arme Sitzbock mit blanken messingenen Nägeln nach dem Befehle zur Mobilmachung. Der Anblick seines stolzen Rappen verursacht Isidor Herzweh, er muß ihn von einem gleichgültigen alten Stallmeister der diätetischen Regel gemäß spazierenreiten lassen, der Ton der Wieprecht’schen Trompeten im Thiergarten macht ihn nervenschwach, er ahnt den Ausbruch der Kriegsscheu. Diese Geisteskrankheit überfällt nur den bemittelten Friedenssoldaten. Er vermag die Farben der Uniform nicht mehr zu ertragen, phantasirt über die Freiheiten von Nordamerika und muß sogleich mit Sitzbädern oder kalten Abreibungen behandelt werden, wenn er nicht ganz unfähig zu ordentlichen Geschäften werden soll.

Eine höchst eigenthümliche Classe der Friedenssoldaten bilden viele Verheirathete. Zum ersten oder zweiten Aufgebot der Landwehr gehörig, und vielleicht schon seit einigen Jahren unter das Ehejoch gebeugt, scheinen sie an Wehrlosigkeit und Mangel an Muth mit den Invaliden in der bekannten Posse „Die sieben Mädchen in Uniform“ auf einer Stufe zu stehen. Sie stöhnen Tag und Nacht unter der Tyrannei des Pantoffels, weder Domitian und Nero, noch Onkel und Neffe Napoleon flößten ihren gequälten Unterthanen solchen Schrecken ein, als unseren Männern ihre geliebten Weiber. Der unschuldige Besuch des bairischen Bierquells in ihrer Gegend, die Theilnahme an einer abendlichen Partie Boston, Whist oder Billard ist ihnen strenge untersagt; das Weib ihrer Wahl und Qual gestattet nur die Entfernung von Hause, wenn es, an den Arm des Dulders gehängt, mitgehen darf; sie genießen nicht den freien Gebrauch ihrer Gelder, und müssen sich eine fortwährende Controle der Ausgabebücher gefallen lassen. Bei den alljährlichen Controleversammlungen der Landwehr sehen die Officiere sie als die unnützesten Soldaten an; man fürchtet sogar, daß sie mit ihrer niedergeschlagenen Gemüthsstimmung das ganze Bataillon demoralisiren könnten. Wie gering ist die Menschenkenntniß unter den Officieren der activen Armee!

Kaum haben diese geknechteten Charaktere die Ordre der Einstellung zur Mobilmachung in der Tasche, so findet ein furchtbarer Umschlag im Innern statt. Die bevorstehende Subordination unter die strengen Kriegsgesetze erscheint ihnen wie eine himmlische Erquickung, eine Befreiung von der häuslichen Sclaverei. Niemand kann zween Herren dienen, also schütteln sie das Weiberjoch im Hause vom Halse, um einem ungleich milderen Gebieter, ihrem künftigen Kriegsbefehlshaber, zu gehorchen. Nach Jahren scharfer Internirung entfernt sich gleich am ersten Tage der ergrimmte Friedenssoldat Abends um die siebente Stunde, ohne officielle Anzeige bei der Frau Gemahlin zu machen, und kehrt erst gegen Mitternacht heim. Natürlich erwartet sie ihn bei hellbrennender Lampe in dem feierlichen Raume der Putzstube. Auf jeden Exceß dieser Art muß bekanntlich gleich ein nächtliches Standrecht gehalten werden. Wer vermöchte aber ihr Erstaunen zu schildern, als endlich der Gatte, der Theure, Arm in Arm mit einem halben Dutzend anderer Einberufener, in militärischem Marsche nach Melodie und Rhythmus des Preußenliedes nach Hause kommt, ihm ein Vivat von seinen Begleitern gebracht wird, während er, nicht ohne einige Mühe in Betreff der Auffindung des Schlüsselloches, die Hausthür öffnet, und als Abschiedsgruß noch ein nachträglicher Trommelwirbel mit den Fäusten auf dieser durch einen begeisterten Cameraden erschallt. Sie öffnet ihm selber die Thür des Quartiers und empfängt ihn mit den Worten: „Was fällt Dir ein, Theodosius? Du gehst aus, ohne es mir angezeigt, mich um Erlaubniß gefragt zu haben! Du bleibst bis Mitternacht fort! Du kommst mit singenden Taugenichtsen selbst singend nach Hause! Du leidest, daß auf der Hausthür gewaltsam getrommelt wird! Was ist aus Dir geworden?“

Bei dieser Rede überkommt den sich moralisch bessernden und aufraffenden Friedenssoldaten eine namenlose Wuth, er stützt die Hände auf den runden Klapptisch und ruft mit hohem Pathos:

„Was mir einfällt? Frauenzimmer, das will ich Dir sagen! Vor Freuden außer mir bin ich, daß ich endlich fortkomme und mit dem Schießprügel abziehe. Wir wohnen in einer stillen, trockenen Gegend, aber Du hast in den letzten Jahren ein wahres Cayenne für mich daraus gemacht. Lieber will ich doch selbst unter dem Sicherheitsgesetz stehen, als unter Deiner Willkürherrschaft. Ein Unterofficier im achten Landwehrregiment soll Dich noch fragen, ob er ausgehen darf! Gerechter Himmel, was hat man sich von der eigenmächtigen Person im Laufe der Zeiten Alles gefallen lassen? aber es soll anders werden, ganz anders. Lieber will ich täglich mit afrikanischen Tirailleuren kämpfen, als mit Dir. Da kann Einem doch nichts Unangenehmeres begegnen, als daß man todtgeschossen wird, und das passirt jedem Menschen nur einmal, aber mit Dir zusammen, muß man täglich hundert Kartätschenladungen von Redensarten und Klagen über nervöse Kopfschmerzen aushalten, und kann sich nicht einmal zur Wehr setzen, Du weiblicher Turco!“

Die Wirkung dieser Rede ist furchtbar. Die Gattin stürzt in das dunkle Nebenzimmer und den Abgrund eines Lehnstuhls, sie bricht in Weinen und Wimmern aus, sie articulirt die bekannten Molltöne des gebrochenen Herzens, endlich endigt sie mit einem unheimlichen Röcheln, aber Theodosius kehrt sich an keinen dieser häuslichen Symphoniensätze. Er kennt sie aus genügender Erfahrung, der reichlich genossene St. Julien, die Kriegsordre in der Tasche, die Hoffnung auf Befreiung, auf einen herrlichen Soldatentod machen ihn fest. Mit dröhnendem Tritt begibt er sich in sein Arbeitszimmer, schließt und riegelt sich ein und schläft, als Vorschule der künftigen Bivouacs, auf dem Sopha bis an den lichten Morgen den Schlaf des gerechten und freigewordenen Landwehrmannes, nicht den des geknechteten Friedenssoldaten.

Einen sehr wehmüthigen Gegensatz zu diesem tugendhaften Bürger bildet der alte Obrist, der noch wenige Monate vor der Mobilmachung in seiner Galauniform mit dem Stolze eines Prätorianers spazieren ritt. Wenn man ihn auf dem hohen Braunen vorübergaloppiren sah, so mußte man für die Truppenabtheilung zittern, gegen welche er seine Bataillone führen würde. Schenkel und Waden des Heroen waren von einer prallen Rundung, das dunkle Haupthaar und der Schnurrbart glänzten von Narden und Weihrauch, mächtig hielt die Faust die Zügel des Rosses, furchterweckend klirrte der herabhängende Säbel. Nichtsdestoweniger gehört dieser aufragende Mann unter die Friedenssoldaten. Seine sanfte Seele steckt nur in einem steifen Uniform- und Commandofutterale, in Wattirung, Steifleinen und lackirtem Leder; die Haare sind mühselig gefärbt, die Haltung wird durch eine Schnürbrust unterstützt. Der Held schlägt ein wenig das Clavier, arbeitet an einer Eiersammlung, hört gern in Gesangvereinen zu und leidet unmenschlich an der Gicht. Diese Friedensmomente in seiner psychischen Zusammensetzung würden ihn bei seiner unbestrittenen Ehrenhaftigkeit nicht abhalten, sich den Strapatzen eines Feldzugs zu unterziehen, wenn die Frau Obristin nicht ein entschiedenes Wort darein spräche. Sie beweist ihm, daß er auf dem Paradeplatz für das Vaterland genug gethan, daß die Menge ausländischer Orden auf seiner Brust darthue, wie seine Verdienste nicht nur von dem Landesherrn, sondern auch von fremden Monarchen anerkannt würden, daß es in den gehörigen Jahren die Pflicht älterer Herren sei, jüngeren Cameraden die Gelegenheit zum Avancement zu bieten, und bewegt ihn, sein Abschiedsgesuch einzureichen. Er wird ohne Weiteres pensionirt, und es bleibt von ihm nichts übrig, als der Schatten eines Friedenssoldaten. Die kriegerische Würde knickt in der Civiltracht zusammen, aber auch der geistige Theil des alten Menschen schleppt sich nach Entfernung des Dienstspaliers nur noch am Boden hin. Die Ausstopfung der Gliedmaßen, die Colorirung des Haares und Schnurrbartes wird aufgegeben, das Sammeln von Eiern, der Besuch von Chorübungen hört auf, der alte Herr trägt keine Orden mehr und sinkt so tief, daß er sich bis zum Besuch von Kaffeehäusern und Conditoreien herabläßt, allerlei Zeitungen liest, mehrere geographische Problemkarten vom Kriegstheater für wenige Groschen kauft und die heftigsten Streitigkeiten zu Gunsten Napoleons auskämpft. Das Schrecklichste, was einem denkenden Menschen begegnen kann, ist dem Alten geschehen. Da alle Möglichkeit zu Schuhriegelei seiner Nebenmenschen in der Caserne aufgehört hat, ist er, um sich zu entschädigen, ein Schwärmer für den Retter der Gesellschaft geworden.





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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