Seite:Die Gartenlaube (1859) 435.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

in die Natur gethan, der mußte die Wahrheit des volksthümlichen Wortes über die Kinder erkennen und bestätigen, daß bei ihnen „Lachen und Weinen in einem Sacke“ befindlich sei. Die Malerkunst zur Darstellung dieses Processes braucht keine sonderlich große zu sein. Das Leben stellt stets seine schärfsten Contraste neben einander, und in der Poesie spielt der Humor die Rolle des Rubens, durch einen leisen Strich ein mit Zähren bethautes Angesicht in ein lachendes zu verwandeln.

Versuchen wir daher, mit schüchterner Hand in dieser bitterbösen Zeit aus den Schaaren der sich von allen Seiten ansammelnden Kämpfer einige Gestalten auszusuchen und bei ihnen den genannten umwandelnden Strich anzubringen. Fern sei es von uns, tapfern Kriegern zu nahe zu treten, mit einer heiligen vaterländischen Sache ruchlos Spott zu treiben; aber wir erblicken nichts Strafbares darin, unter den wirklichen Soldaten die sogenannten Friedenssoldaten auszusuchen und zu zergliedern.

Glücklich derjenige, welcher mit einem Talent geboren, zur Ausübung desselben auf Erden berufen ist! So etwa sagt Goethe an einer Stelle, die noch nicht durch allzuhäufiges Citiren zu einer literarischen Fuhrt ausgetreten ist. Der Friedenssoldat befindet sich nicht in der vom Dichter als glücklich gepriesenen Lage. Er ist entschieden für die Werke des Friedens geboren und soll doch auf Grund der preußischen Militairverfassung tapfere Thaten des Krieges verrichten. Durch dreijährige Dienste in der Garde für Heldenthum herangebildet, ein Meister im Parademarsch, eingeweiht in die tiefe Wissenschaft der militairischen Grüße, ein vollendeter Künstler in der Reinigung des Riemenzeuges, mit dem üppigen Genuß des Commißbrodes vertraut, ist er erst vor einem Jahre aus der Linie entlassen und jetzt wieder als Kriegsreservist einberufen, um gegen den Retter der Gesellschaft unter Waffen zu treten. Johann war nie mit ganzem Herzen bei der Fahne. Aus zarterem Stoffe schuf ihn die Natur, und schon frühe lernte er die Süßigkeit einer bürgerlichen Abhängigkeit kennen, die nichts von Uniform weiß, sich mit einer sackleinenen Schürze, einen Strauchbesen und einem kleinen Handwagen begnügt, Johann war nur für die Berliner Hausknechtschaft geboren, seine Brust war nicht hoch genug gewölbt für militairischen Ehrgeiz. Nur einen sehnsüchtigen Wunsch hatte er während seiner Dienstzeit genährt, aber vom Schicksal war ihm die Gewährung versagt worden. Befreiung von dem Zündnadelgewehr und die Belehnung mit dem Posten eines Officierburschen, dahin zielte sein Streben, allein Johann näherte sich hinsichtlich der Größe und leider auch des Verstandes dem Format des berühmten Murphy, mithin konnte das Bataillon seiner persönlichen Repräsentation nicht entbehren und fesselte ihn für drei Jahre an die Fahne. Als sein Triennium auf der „hohen Schule der Preußen“, wie der berühmte Reactionair, Herr von Kleist-Netzow, die Armee in einem Augenblicke patriotischer Congestionen nach dem Kopfe nannte, vollendet war, trat Johann aus den exclusiven Kreisen der Gardegrenadiere in das bürgerliche Leben zurück. Ruhmsucht störte nicht seine Träume; so gelassen, wie jener alte Römer vom Schlachtfelde hinter den Pflug zurücktrat und Rüben baute, schied Johann aus der Caserne und ward wieder Hausknecht.

Die Mobilmachungsordre hat ihn als den verlobten Bräutigam einer Vestalin in den reifsten Jahren, einer perfecten Köchin in einem vornehmen Hause, betroffen. Die culinarische Kunst seiner Geliebten macht ihm außerordentliche Freude, noch mehr ihr während einer langen und rechtschaffen zurückgelegten Laufbahn zusammengebrachtes Capital in städtischen Obligationen von anderthalbtausend Thalern. Das edle Paar war bereits einig geworden, einen Bierkeller nebst freiem Verkauf von Victualien anzulegen, also ein Geschäft, das seinen Mann so sicher nährt, als eine Plantage in Louisiana, und meistens mit dem Besitze eines dreistöckigen Hauses endet. Das Vorrücken der französischen Armee an die Minciolinie hat diese rosigen Hoffnungen zerstört, Johann muß wieder dem Kalbfelle folgen und Albertine sich entschließen, weiter zu kochen, zu backen und Früchte einzumachen. Johann sitzt am letzten Abende in der Küche und labt sich an einem Hühnchen, das eigentlich für Albertinens Gebieter gemeuchelt worden ist.

„Ich vermache Dir alle meine Civilkleider, wenn ich todtgeschossen werde,“ seufzt der wackere Friedenssoldat, „aber ich denke, es wird nicht so weit kommen. Mein Entschluß ist gefaßt; so wie es losgeht, lasse ich mir gleich gefangen nehmen, das ist das Beste!“

„Thue das, Johann,“ sagt die perfecte Köchin, „es ist das Vernünftigste. Deine Sache ist es nicht, Dich für das Vaterland todtschießen zu lassen, ein guter Preuße sucht sein Vaterland zu loben; alles Andere hat gar keinen Sinn, Dich geht der Mincio und der Rhein gar nichts an, denn Du bist ein Kind der Spree.“

Johann hört diese Entwicklung einer echt weiblichen Philosophie schweigend an, und nur das Knirschen seiner Zähne, mit denen er die Gebeine des gebratenen Vögleins zermalmt, scheint den in seiner Seele schlummernden Zorn über die Trennung von der beleibten Geliebten zu verrathen.

Wenige Zimmer weiter, im Innern des Hauses, finden wir einen anderen Friedenssoldaten von feinerer Extraction. Am Theetisch den Eltern gegenüber liegt in einem sammetnen Lehnstuhle der jüngste Sohn vom Hause, ein Dandy im strengsten Style dieser berühmten Schule. Er hat bisher allen scharfsinnigen Heirathsplänen der beiden Alten erfolgreich widerstanden und die stolze Freiheit eines Junggesellen bewahrt. Während die älteren Herren Brüder an lauter reiche Frauen verheirathet sind und im Verein mit dem eigenen Vermögen die glänzendsten Geschäfte machen, auf welche selbst das letzte Jahr der europäischen Pleite keinen sonderlich nachtheiligen Einfluß ausgeübt hat, kostet er dem Papa jährlich die Zinsen eines hohen Capitales. Im ersten Range der Oper hat er einen festen Sitz, sein Rappe kostet beinahe zweihundert Louisd’or, er gibt im Winter ein halbes Dutzend Diners und Soupers, wird von jüngeren Schauspielerinnen der Zugänglichkeit seiner Börse wegen sehr hochgeschätzt und läßt seine Leibwäsche in Paris anfertigen. Isidor ist eine imposante Erscheinung durch ein gewisses jugendliches Embonpoint und seinen quer über den Schädel, bis tief in den Nacken gescheitelten schwarzbraunen Krauskopf. Die Berliner Kaufmannschaft könnte auf ihn stolz sein, wenn sie nicht unglücklich genug wäre, sich in den nächsten Tagen von ihm trennen zu müssen. Der Beklagenswerthe flattert gleich dem Ritter Posa an einem langen, doch unzerreißbaren Seil. Schon vor Jahren, in jenem tiefen Manteuffel’schen Frieden der Demüthigung Preußens, der bis auf einige kleine Unbequemlichkeiten einem falschen goldenen Zeitalter glich, wurde Isidor in einer schwachen Stunde von militairischem Ehrgeize ergriffen. Die schlanken Taillen, die glänzenden Uniformen, die kunstvolle Sprache oder „Spräche“ der Gardecavallerie hatte er längst bewundert und, da der Civilstand seinem übersättigten civilen Ehrgeize keine Reizmittel mehr bot, im Stillen überlegt, ob er nicht eine ähnliche Stellung in der Landwehrcavallerie bekleiden könne, die ihm jährlich vierzehn Tage lang gestattete, sich in der saubersten Uniform den liebenden Damen und bewundernden Stutzern der Residenz zu zeigen. Da er gedient hatte und nicht allein Geld im Ueberfluß besaß, sondern, was im Militair eigentlich die Hauptsache zu sein pflegt, auch bereitwillig und mit dem natürlichen Anstande eines reichen Jünglings auszugeben verstand, wurden seiner Promotion als Secondelieutenant in der Landwehrcavallerie keine Schwierigkeiten entgegengesetzt. Mit einigen Gardeofficieren, die mit seiner Prüfung amtlich beauftragt worden waren, fand bei genügendem Hochheimer 1846, aus des Herrn Papa’s Kellereien, ein Disputatorium über die Theorie größerer Reitergefechte und die Führung des Pferdes statt, und der Candidat ging schließlich mit blanken Epauletten aus der gelehrten Unterhaltung hervor. Ein Lieutenantsschmauß, mit dem verglichen der gewöhnliche Doctorschmauß der armen studirten Leute eine Mahlzeit à la Ugolino im Hungerthurme ist, feierte den Tag der Einkleidung, und die geheimen Memoiren in Isidors Einnahme- und Ausgabebuch sprechen von manchem Darlehn, das wir, da es nicht immer wiedergegeben wurde, mit dem passenderen, wenn gleich gemeineren Namen „Pump“ bezeichnen möchten.

In den seligen Friedenszeiten gereichte die Lieutenantscharge dem tapferen Isidor unbedingt zum physischen und moralischen Vortheile. Die Landwehrübungen stellten in seinem Leben, wenn er jährlich gewaltsam aus dem bequemen Civil und von der väterlichen fetten Tafel gerissen wurde, die wirksamste Badereise gegen Unterleibsleiden vor. Das bei Manövern nicht immer zu vermeidende Commißbrod reinigte seinen müßig gewordenen Magen, er ritt seinen elegant gerundeten Wanst um zehn Pfund leichter, wurde wieder für Ballet, Champagner und Damenunterhaltung empfänglicher und fühlte sich durch das Bewußtsein von zweierlei Tuch sittlich gehoben. Allein seine Begeisterung für das Reiterleben ging keineswegs so weit, um daraus eine Lebensbestimmung zu machen. An der Melodie und dem Texte des berühmten Gesanges: „Was blasen die

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_435.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)