Seite:Die Gartenlaube (1859) 426.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Sie sprang wieder empor. „Gnade, Gnade!“ rief sie. „Gott im Himmel, lieber, lieber Gott im Himmel, sei du gnädig!“ Sie warf sich zu Boden, und umfaßte meine Kniee. „Herr, Herr! lieber Herr! O, haben Sie Gnade, haben Sie Barmherzigkeit mit meinem Mann, mit mir, mit meinen Kindern!“

Es war ein entsetzlicher Augenblick. Es war mir, als müßte ich mit der Frau zusammenbrechen. Sie faßte sich. Das Weib, die Mutter, sie haben eine ungeheure Kraft in ihrem Herzen.

„Herr, Herr, Sie wissen Alles! Ja, wir sind die Verbrecher. Aber seien Sie barmherzig! Seien Sie gnädig! Gegen meinen Mann, wenn Sie es gegen mich nicht sein können. Er that ja Alles nur für mich, nur aus Liebe zu mir. Und er ist wieder so brav geworden. Wir waren fünf Jahre drüben über dem weiten Meere. Wie hat er gearbeitet, sich gequält, nur für mich! Für meine Tage wollte er sorgen, wenn er nicht mehr bei mir sein könnte. O, er dachte oft an diese Stunde, an das, was jetzt geschehen ist. Aber anders. Nur ihn, meinte er, müsse es treffen, er könne seiner Strafe nicht entgehen, er fühlte es. Sein schweres Verbrechen brannte ihn. Das Feuer! Und nur für mich hat er es begangen! Und er war so ehrlich geworden, so treu! Kein ungerechter Pfennig ist an dem Gelde, das er erworben, so sauer erworben hat. Und nur um meinetwillen ist er hierher zurückgekehrt. Ich konnte es in dem fremden Lande nicht mehr aushalten, so weit, weit weg. Ich mußte wieder näher bei der Heimath sein. Und ich habe ihn in das Unglück gebracht! – Herr, Herr, seien Sie barmherzig! Können Sie es denn nicht sein?“

Ich konnte es nicht sein. Aber ich konnte auch den Anblick des Unglücks, der Verzweiflung der Frau nicht mehr ertragen und ließ sie abführen, um – Zeuge einer neuen Verzweiflung zu werden!

Ich mußte auch ihren Mann, Heimann, Ansos Szellwat, vernehmen; er war noch in der Haft, in dem nämlichen Gemeindehause. Ich wollte ihn vorführen lassen, aber ich war selbst zu sehr angegriffen und mußte mich zuerst einige Minuten erholen; dann befahl ich einem Executor, den Bauer Heimann aus seinem Gefängnisse herbeizuholen.

Ich sollte nicht mehr Zeuge der Verzweiflung des Unglücklichen sein. Seine Frau war, als sie aus dem kurzen Verhöre zurückgeführt wurde, an seinem Gefängnisse vorbeigekommen und hatte ihm rasch durch die verschlossene Thür einige Worte in einer fremden, unbekannten Sprache zugerufen, in jener fremden Sprache, in der die Beiden, wenn sie sich ganz allein und unbelauscht glaubten, heimlich mit einander geredet hatten. Sie hatte ihm jetzt offen und laut darin zugerufen, Worte des Todes in den Lauten ihres Landes, ihrer Eltern, ihrer Kindheit, ihres Glückes, ihrer Herzen!

Als der Executor, der ihn zu mir führen sollte, die Thür seines Gefängnisses öffnete, fand er den Unglücklichen in dem Gefängnisse erhängt; er war schon eine Leiche.

Seine Frau, Madline Lenuweit, sollte den Gerichten ihrer Heimath ausgeliefert werden; aber ihr Herz war gebrochen. Jene Schläge waren für die seit Jahren leidende Frau vernichtend gewesen. Sie starb nach wenigen Wochen. –

Ist Volkesstimme immer Gottesstimme?




Der Marienfelsen auf Großskal bei Turnau in Böhmen.

Wie die Städte ihre Promenaden, so haben landschaftlich begünstigte Länder ihre Touristen-Bahnen mit einer Exclusivität gebildet, welche nicht immer in dem überragenden Reize der conventionell besuchten Punkte, sondern in mancherlei äußerlichen Begünstigungen, namentlich in bequemen Communicationsmitteln ihren Grund hat. Abseits von ihnen liegen oft die anmuthigsten und großartigsten landschaftlichen Formen, in die nur der Zufall den Schritt einzelner Wanderer leitet, bis die Verkehrsverhältnisse auch sie weitem Kreisen erschließen.

Das beiliegende Bild – der Marienfelsen auf Großskal – zeigt uns einen dergleichen Punkt aus vielen in einer bisher wenig bekannt gewordenen überaus schönen Gegend des an solchen sehr reichen Böhmerlandes. Der Standpunkt des Zeichners ist ein beschränktes Plateau auf einem etwa 180 Fuß hohen auf 3 Seiten isolirten, und nur von einer Seite bequem zugänglichen Felsen.

Rechts von demselben erblicken wir im Mittelgründe das Schloß Großskal. Nach ihm ist das ganze dem Freiherrn Johann von Aehrenthal gehörige Besitzthum genannt, in dessen weiten Wald- und Feldrevieren wir uns befinden. Der Name ist bezeichnend, denn Skála ist die czechische Benennung für Felsen; und in der That steht das auch historisch sehr bedeutende Schloß auf dem mächtigsten derselben in dieser interessanten Sandsteinformation.

Die Mitte des Hintergrundes beherrscht die auf mächtigen Basaltpfeilern stehende Ruine Trosky, – „Ich kenne,“ sagt Karl Julius Weber in seinem Deutschland: „doch wenigstens 100 Burgen, aber keine vereint mit dem Großen, Kühnen und Erhabenen soviel Abenteuerliches. Man weiß nicht, ist’s Spiel der Natur oder menschliche Kunst, wenn man die beiden Felsenkegel erblickt, jeder mit einer Burg auf dem Gipfel, durch eine Doppelmauer vereint.“

Die Trosky sind zwei abenteuerlich geformte, hohe und isolirte Basaltkegel, auf einer gemeinschaftlichen Basis, auf einem nicht unbedeutenden klippigen Felsenhügel ruhend und von fern in der That nicht unähnlich zwei schlanken Pyramiden, mit welchen man dieselben gern zu vergleichen pflegt. Mauerwerk verbindet ihre Sockel, Mauerwerk krönt ihre luftigen Spitzen. Weithin sichtbar thürmen sie in einer offenen, vielfach zerklüfteten Ebene nahe bei Turnau und Großskal empor, nahe der Großskaler „Felsenstadt“, deren imposante Gebilde immer mehr gewürdigt werden. Zwischen diesen Hauptpunkten breitet sich die Landschaft in dem malerischesten Wechsel von Fels, Wald und Wiese aus. Tiefe, dunkle Schluchten, von riesigen Felsen gebildet, führen plötzlich an ihren Ausgängen auf die üppigsten Wiesen, umsäumt wieder von einem Walde, der in gleicher Schönheit selbst in dem waldreichen Böhmen wenige seines Gleichen und vornehmlich etwas hat, was hervorgehoben zu werden verdient, einen vergleichsweise großen Reichthum an den in Europa stets seltener werdenden Tannen, zudem in Exemplaren von vollendeter Schönheit. Und scheut der Naturfreund die geringe Mühe nicht, auf den Fußpfaden, welche das ganze Revier durchziehn, einen der vielen günstigen Höhenpunkte zu ersteigen, so gewinnt er die reizendsten Fernsichten und Einblicke in das tiefe Walddunkel zu seinen Füßen. Daß dies herrliche Stück Landes früher selbst dem größten Theile der Bewohner Böhmens wenig bekannt wurde, hatte nur in Verhältnissen, wie die Eingangs erwähnten, seinen Grund; wenn es gleich nicht ganz erklärlich bleibt, daß bisher bei den Abbildungen merkwürdiger Punkte Böhmens das Schloß Großskal eine gar so geringe Berücksichtigung fand, da es doch am malerischen Effect in seiner Lage am Rande eines schroffen Felsens, umgeben von dunklen Schluchten mit den herrlichsten Baumformationen, fast unvergleichlich dasteht.

In neuerer Zeit hat der Ruf Großskal’s eine große Verbreitung gefunden; und hierzu mag vielleicht die hier im Jahre 1842 gegründete und bisher zahlreich besuchte Kaltwasserheilanstalt Wartenberg auf Großskal einiges beigetragen haben. Ihre Lage am Fuße des Bergabhanges, auf welchem sich die von uns geschilderte und abgebildete Gegend ausbreitet (die Originalzeichnung ist von einem Curgaste im Herbste des vorigen Jahres entworfen), macht es möglich, daß man von hier aus nicht nur in wenigen Stunden alle diese schönen Punkte, wie Waldstein, Bisker, Großskal, Trosky u. s. w., besuchen, sondern auch in Partien für einen halben oder ganzen Tag weitere Ausflüge machen kann; so z. B. nach dem Prachover Felsen bei Jičín[WS 1], nach dem durch seine Edelsteine berühmten Berg Kozakov, nach Turnau mit seinen Granatschleifereien, mittelst der Reichenberg-Pardubitzer Eisenbahn durch das schöne Iserthal nach den Felsenpartien des Rik und des reizenden Kleinskal, nach dem herrlichen, dem Fürsten Rohan gehörigen Schlosse Sichrov mit seinem großen Parke u. s. w.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Jiun
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_426.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)