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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Hier läuft der Damm hinaus in die See, welcher bis jetzt das einzige sichtbare Zeugniß der Arbeiten der berühmten Donau-Commission ist, aber schwerlich fertig werden wird, denn heute fehlt es an Holz, morgen an Steinen und alle Tage an Geld. Zu den Arbeiten werden meistens türkische Sträflinge verwendet, daran ist niemals Mangel. Es stehen hier einige Gebäude zum Obdach für Arbeiter und Wachen.

Als wir um die Ecke des Schilfdickichts traten, hatten wir ein höchst lebendiges Schauspiel. Der große französische Dampfer lag etwa einen Steinwurf weit vom Ufer ab, sein ganzes Backbord war garnirt mit Köpfen und unter diesen zeichneten sich namentlich diejenigen einer Anzahl türkischer Frauen aus, deren wir nicht weniger als dreißig zählten. Sie gehörten zu dem Harem des Pascha von Belgrad und reisten mit dem Steamer nach Constantinopel. Sie sowohl, wie die Officiere der Equipage, waren Zuschauer der Spiele, an welchen sich die Matrosen ergötzten. Es ist eigenthümlich, keine andere Nation weiß das Leben so von der fröhlichen Seite aufzufassen, jeder Minute ihren Tropfen abzugewinnen, wie die Franzosen. Sehe man doch irgend ein anderes Fahrzeug der Welt, ob die Mannschaft gleich die erste Stunde der Rast dazu benutzt, sich in Bouffonerieen und grotesken Scherzen zu ergehen! Hier hatte das Spiel auch seinen gymnastischen Zweck. Eine lange Raa war von dem Fallreep aus mittelst eines Taues weitaus über die Tiefe gehängt und zum Ueberfluß mit Seife bestrichen. An ihrem äußersten Ende, gerade über der tiefsten Stromstelle, hing an einer Schnur mit dem Kopfe nach unten ein unglückseliges lebendes Huhn. Die Matrosen, einer nach dem andern, alle blos mit Schwimmhosen bekleidet, versuchten balancirend auf der schmalen Stange bis an das Ende zu gehen, um den Kopf des armen Thieres zu fassen, abzureißen und dann den Körper als Siegesbeute zu erhalten. Aber Wenigen nur gelang das Kunststück; die Meisten fielen auf der Hälfte des schwankenden Weges herab in’s Wasser und mußten schwimmend wieder an Bord zu gelangen suchen. Die Uebung mag ganz gut sein, aber das lebende Huhn ist doch wohl nicht nothwendig.

Auf unser eigenes Schiff zurückgekehrt, empfing uns eine fröhliche Nachricht. „Der Wind hat sich gelegt, die Warnungsflagge weht nicht mehr auf dem Leuchtthurm, in einer Stunde können wir die Barre passiren!“ Das brachte neues Leben in die ganze Gesellschaft. Schon qualmte der Rauch aus dem riesigen Schlot, das Deck war klar gemacht, man sah überall erwartungsvolle, freudige Gesichter. Nur der gute Stasio unten in seiner Jolle, der uns mit Zähigkeit treu geblieben war, zeigte eine trübe Miene, sie galt aber wahrscheinlich mehr unsern Zwanzigern, als uns selber. Wir gewährten ihm die letzte Freude, und ließen uns noch einmal nach der Stadt übersetzen, um die Verwüstungen des heutigen Brandes zu beschauen. In der dritten dem Ufer parallelen Zeile waren sieben Häuser abgebrannt, aber kein Mensch hätte in dem wogenden, unabänderlichen Gewühl irgend eine Andeutung solchen Unglücks aufgefunden. Die Brandstätte rauchte und brannte noch, aber ohne Gefahr; an Löschen dachte man nicht mehr, und selbst neugierige Zuschauer fehlten. Dagegen war von der einen Brandstelle schon der Schutt ziemlich weggeschafft, bis auf einige Haufen verkohlter Trümmer in der Mitte; einige Leute waren beschäftigt, dünne fichtene Stollen als die Eckpfeiler eines neuen Gebäudes aufzurichten, das vielleicht am nächsten Abend fix und fertig war. Das ist die Stadt Sulina in Europa!

Schon standen die Leute am Gangspill, als wir zurückkehrten. Es war etwa sieben Uhr Abends, ein unbeschreiblich klarer Himmel lag über uns, kein Lüftchen erregte die Atmosphäre. Unten in der Cajüte erklang das Clavier in rauschenden Accorden, Herr Kondopulos, der feine Grieche, sang mit extremstem Gefühl Arien von Verdi; der Baseler gab sein heimathliches Leiblied „im Aargäu sind zwei Lieba“ zum Besten, wozu der bedächtige Mr. J. Amschel aus Manchester die Bemerkung machte, das erinnere ihn an den Stier von Uri und sein Horn; dann verbreitete sich auf einmal das Gerücht, Capitain Bassi sei ein bedeutender Sänger – wahrscheinlich als Italiener per se – und er ward umdrängt von flehenden Musikwüthigen, bis er mit Donnerton die Spiegel der Cajüte erbeben machte – es war ein Lärm und Treiben, als habe der gravitätische Metternich die Besatzung mit seinem leichtfertigen französischen Nachbar getauscht.

Endlich kam der Lootse an Bord und übernahm das Commando. Ein paar tiefe, schwere Athemzüge that das Boot, dann fingen seine gewaltigen Schaufeln an zu arbeiten; „Hurrah, Hurrah!“ scholl es von den befreundeten Schiffen zum Abschiedsgruße, und dahin schossen wir, gleich dem Albatroß, hinaus in das dunkle Meer, hinter uns eine milchweiße Straße im aufgeregten Gewässer. Fast ehe wir nur Zeit hatten, an Gefahr zu denken, war die gefährliche Barre hinter uns, der Lootse sprang in seine Nußschale, – lebe wohl, Sulina, wir schwimmen im Pontus Euxinus!




O Straßburg, o Straßburg,
Du wunderschöne Stadt!
Sendschreiben an meinen Sohn, den preußischen Landwehrmann.
(Zweiter Brief.)

Ich will Dir nun erzählen, mein lieber Alfred, wie Deutschlands Bollwerk durch die Ränke Ludwigs des Vierzehnten, durch die armselige Schwäche von Kaiser und Reich, endlich auch durch einige erkaufte Verräther in die Gewalt Frankreichs kam. Auf Straßburgs Bürgern lastet kein Vorwurf; sie haben volle sechzig Jahre lang mit bewundernswürdiger Geduld und Ausdauer auch die größten Opfer getragen und Alles, was in ihren Kräften stand, gethan, um die Reichsfreiheit zu behaupten und im uralten Verbande mit Deutschland zu bleiben. Selbst in dem Unglücksjahre 1681, als sie der Noth und dem Zwange weichen mußten, legte noch die ehrsame, allzeit streitbare Schneiderzunft auf ewig Verwahrung ein gegen die Gewaltthat Ludwig’s. Ja, die Schneider sind in Straßburg die tapfersten Leute gewesen und haben viele Jahre lang unermüdlich auch an den Wällen, Schanzen und Mauern gearbeitet; bei jedem Aufrufe zu den Waffen waren sie allemal, wohlgerüstet mit Wehr und Waffen, unter den Ersten auf dem Sammelplatze.

Ich habe Dich daran erinnert, daß 1648 im westphälischen Frieden das Elsaß zum größten Theile an Frankreich verloren ging. Aber Straßburg war noch reichsfrei geblieben, zum großen Verdruß des Pariser Hofes, der fortan unablässig darauf hinwirkte, das „Bollwerk“ in seine Gewalt zu bringen. Ludwig der Vierzehnte unterhielt einen Residenten in Straßburg, dessen Aufgabe es war, eine Partei des Verraths in der Stadt zu bilden und Uneinigkeit unter den Bürgern anzuzetteln. Während er es an Bestechungen und Geldversprechungen nicht fehlen ließ, brach der König jede Gelegenheit vom Zaune, um die Straßburger zu bedrängen und sie fühlen zu lassen, daß er ihnen schaden könne, während sie vom deutschen Kaiser Schirm und Hülfe vergeblich erwarteten. Er wollte sie mürbe machen, die Reichsfreiheit sollte ihnen sauer werden. Dasselbe geschah auch mit den übrigen Landestheilen, welche noch einen Schein von Reichsfreiheit zu retten gewußt hatten. Als am Ende die Bedrängniß zu gräßlich geworden war, erkannten sie 1680 die Oberherrschaft Frankreichs an und Ludwig hatte sein Ziel erreicht, wenn nun auch das allein noch unabhängige Straßburg ihm huldigte.

Welcher Mittel und Wege bediente sich der „große“ Monarch, um die Elsasser mürbe zu machen?

Ich will Dir einige Beispiele geben. Im Jahre 1673 legte sich der berüchtigte Mordbrenner Louvois, Kriegsminister und Liebling Ludwig’s, mit französischen Kriegsvölkern in das Elsaß und that den Straßburgern zu wissen, er werde sie nächstens besuchen, „um ihre vortrefflichen Festungswerke zu besichtigen“. Bald nachher kam er wirklich; wie die Chronik sagt, „zeigte man ihm aber nur so viel, als man ihm ohne Schaden zeigen konnte.“ Unverweilt stellte sich heraus, worauf die Sache hinzielte. Ludwig der Vierzehnte kam persönlich nach Breisach, das damals eine Festung und in französischer Gewalt war. Ihr gegenüber auf dem linken Rheinufer, im Elsaß, liegt Colmar, das sammt neun anderen Reichsstädten seine Unabhängigkeit auch nach dem westphälischen Frieden gewahrt hatte. Ohne irgend eine Veranlassung lagerten sich vierhundert französische Reiter vor die Stadt; als der Rath und die Bürgerschaft sofort Geschütze auf die Wälle führten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_417.jpg&oldid=- (Version vom 28.7.2023)