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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

rothhaarigen Räubers, des Fuchses, zu schirmen. Bis zum Frühjahre, wo das Thier wieder ein Kälbchen setzt, bleibt das vorjährige sein unmittelbarer Schützling; dann schließt sich das Schmalthier oder der Spießer, welches aus dem Wild- oder Hirschkalbe geworden ist, einem Trupp an; öfters aber bleiben sie noch in der Nähe der Mutter, ohne jedoch die nun ganz dem neuen Geschwister zugewandte Sorgfalt beanspruchen zu dürfen.

In dieser Weise besteht das Leben eines alten Thieres aus den sorgenvollen Freuden und freudevollen Kümmernissen einer Mutter, bis es „gelte“ wird, das heißt: nicht mehr setzt oder zeugungsfähig zu sein aufhört. Hierauf übernimmt es gewöhnlich, obgleich nicht ausschließlich, die Leitung eines Trupps und steht also wiederum einer wichtigen Function vor.

Zieht der Trupp Abends hinaus auf die Felder oder Gehaue, so tritt zuerst das Kopf- oder Truppthier, nachdem es am inneren Rande des Dickichts oder Holzes vorsichtig den Wind eingeholt hat, ob draußen Alles sicher sei, heraus. Mit elastischem Schritte, den Kopf hoch, um immer noch den Wind zu nehmen, die Gehöre hin- und herbewegend, um jedem, auch dem leisesten Tone zu lauschen, schreitet es dahin, sich zuerst einer möglichen Gefahr preisgebend. Ihm folgen alle anderen Thiere mit Kälbchen und Schmalthieren hinterdrein, bis, wenn es Brunftzeit ist, der alte Hirsch, der herrschgewohnte Tyrann, den Nachtrab bildet. Ist’s dagegen im Sommer, wo nur schwache Hirsche, sogenannte Schneider, mit dem Trupp gehen, so spielen diese die Herren und bilden die Arrieregarde. Gibt es nun eine Veranlassung, daß der Trupp flüchtig werden muß, so ist der Hirsch sofort der Erste, der sich in’s Dickicht flüchtet, während das Truppthier den Zug deckt.

Noch sind die glorreichen Zeiten im guten Andenken, wo es das Schicksal manches solches Stückes war, daß ein Bauer, der am Feldrande auf der Lauer, denn „Anstand“ läßt sich mit Anstand hier nicht sagen, sich befand, ihm, sobald es die Nase aus dem Holzrande heraussteckte, sein Mordeisen entgegen hielt und die aus diversem Schießmaterial, wie Kugeln, Posten und grobem Schrot, wohl auch gehacktem Blei, bestehende Ladung zudonnerte, so daß es, wie’s zu gehen pflegt, nicht augenblicklich tödtlich, sondern gewöhnlich nur waidewund angeschossen zu Holze ging, wo es, nachdem es verendet, entweder ungefunden verdarb oder, gefunden, noch im Tode auf das Unwaidmännischste begrüßt und behandelt wurde. Glücklicher Weise ist die Jagd wieder vernünftig geregelt, und brennt jetzt noch ein Bauer darauf, ein haariges Kleidungsstück aus der gefleckten Haut eines jungen Thieres zu besitzen, so muß er sich an das Kälbchen einer „Muhtschekuh“ halten, worüber er mit gutem Recht verfügen kann.




Sulina.
Reiseskizze von Dr. Wilhelm Hamm.
(Schluß.)
Strandräuber. – Ein Gasthaus. – Concert eines türkischen Marinesoldaten. – Verunglückte Jagd. – Die Stadt brennt. – Ein französischer Dampfer. – Balancir-Spiel der Besatzung. – Abfahrt.


Nicht gewillt, in den Locanden umherzuliegen, und zu ungelehrt, um die Zeit an Bord mit Kartenspiel todtzuschlagen, erbat ich mir die Doppelflinte des Intendanten, der westphälische Ingenieur packte ein in Berlin acquirirtes Zündnadelgewehr aus, und so zogen wir auf die Jagd.

Stasio war bereit und wir legten oberhalb des Fanals am rechten Strand an, um daselbst Möven zu schießen. Heut aber sah es hier ganz anders aus, als gestern. Ein recht artiger Sturm hatte die Nacht hindurch mit vollen Backen gegen das Land geblasen, und da lag ausgebreitet die Fülle seiner Bescheerungen. Vor Allem war es nicht mehr möglich, längs des Gestades herzugehen, ohne verschiedene tiefe Canäle und Tümpel zu durchwaten – „das thut den Augen gut von meiner Mutter Sohn!“ würde Paddy gesagt haben, hätte er uns die Stiefel sorgsam in das Salzwasser tauchen sehen. Ein bischen erschrocken waren wir auch trotz unserer geladenen Flinten, als plötzlich, wenige Schritte vor uns, hinter dem schwarzen Rumpfe eines gekenterten, schon halb im Sand begrabenen Bootes, ein halbes Dutzend dunkelbrauner Kerle auftauchte, mit Harpunen und Bootshaken bewaffnet, grünen Tang über Haar und Südwester, naß wie die Frösche und schmierig zum Entsetzen – sie sahen aus wie die Tritonen in Neptun’s Gefolge, wenn er unter der Linie den Zoll vom Neuling fordert, oder noch besser, ungewaschene Meerjungfern männlichen Geschlechts – waren jedoch weiter nichts als ehrsame Strandräuber. Dieses ist, beiläufig gesagt, in Sulina das gemeinste, aber auch ehrlichste von allen Geschäften, die hier getrieben werden. Die Schiffstrümmer lagen auf dem Sand wie gesäet umher, denn jeder Sturm rüttelt an den Wracks los, was es will, und wirft es auf den Strand.

Aber was fliegt dort die mächtige Krähenschaar empor, bestehend aus unserer deutschen Nebelkrähe und andern Sorten? was flattern die Möven so gierig umher? By God, ein großer Fisch liegt hier auf dem Trocknen, ein Thun; der Bursche ist über vier Fuß lang, und hat einen Rücken wie ein mäßiges Schwein, obenher stahlschwarz, silberweiß am Bauche, ohne erkennbare Schuppen; er ist noch ganz frisch, doch haben ihm die Vögel schon die Augen und eine Seite ausgehackt, aus der das dunkelrothe Fleisch herausschaut. Wir schnitten zum Wahrzeichen ein Stück aus der untern Kinnlade des Fisches, mit beweglichen, hakenförmig gekrümmten, sehr spitzen Zähnen. Hier glückte auch der erste Schuß auf eine große Möve; es mußte eine ziemliche Strecke in die Uferbrandung hinausgewatet werden, um sie zu bekommen; dafür wurden die grauen, an den Spitzen schwarz und weiß gesäumten, weit klafternden Fittiche als Trophäen mitgenommen.

Aber mit der Jagd war es nunmehr auch vorbei, die klugen Vögel waren auf einmal so scheu geworden, daß sie uns kaum auf tausend Schritte nahe kommen ließen, wir wandten uns daher bald zum Rückweg, an dem Friedhof vorbei, nach der Stadt. Es war jetzt ungefähr zehn Uhr Vormittags – das Gewühl in den Straßen ärger als je zuvor, überall wurde gespielt, getrunken, getanzt; jeder dritte Mensch hielt ein Kartenspiel in der Hand, auch die edlen Würfel klapperten in den hölzernen Bechern, und die Billards waren umdrängt von Amateurs. Dabei brodelte und schmorte es über unzähligen Feuern – in Sulina kann man bequem jedem Haus, was gleichbedeutend ist mit jeder Küche, in den Topf gucken – und ein sättigender Duft von Oel und Fisch lagerte wie ein Nebel schwer auf dem ganzen Umkreis. Dazu der Qualm aus Tausenden von Wasserpfeifen, Tschibuks, Papyros und österreichischen Rattenschwänzen, der Dampf der heißen Getränke, welche trotz einer Temperatur von 32° R. im Schatten mit Profusion consumirt wurden, der Rauch des gewöhnlichen Brennmaterials, das salva venia aus Mist besteht, verbunden mit den Ausdünstungen der Schiffe, Fische, Sümpfe, Menschen – und man wird zugeben, daß in einer derartigen Atmosphäre der civilisirte Reisende gar keinen Hunger bekommen kann. Denn größer war unser Durst, und wir sahen uns fleißig nach Löschmitteln um. An anderes Wasser, als das der Donau, ist hier nicht zu denken, glücklich noch, wenn es nur einigermaßen filtrirt ist; gewöhnlich hat es die Temperatur der frisch gemolkenen Milch und das Ansehen, als sei es von einem Topf voll grüner Farbe abgegossen. Zu Thee und Kaffee nimmt man Regenwasser, welches in Fässern aufgefangen und bewahrt wird. Eis ist hier ein ganz seltener Artikel, denn aus Mangel an Kellern ist es nicht zu halten, und die Anlage oberirdischer Eisbehälter kennt man noch nicht. Spähend wanderten wir die Hauptstraße entlang, aber alle Locanden waren so dicht gedrängt voll Menschen, sahen so schmierig aus, daß wir, Besseres hoffend, immer weiter zogen. So kamen wir in den äußersten Stadttheil gen Westen; hier ward es stille, sogar sauberer, ein Trottoir von Bohlen lief neben dem Sumpf der Straße her und überbrückte einige Moorbäche, die sich aus dem Urwald des Schilfes der Donau zuwälzten.

Ein zweistöckiges Haus, natürlich ganz aus Holz erbaut, zog die Aufmerksamkeit an. Das untere Geschoß war verschlossen, zu dem oberen, das mit einer überdachten Gallerie rings umgeben war, führte eine steile hölzerne Treppe. Auf jener saßen rund umher bärtige Türken wie Automaten und rauchten ihre Nargilehs; ohne viele Umstände stiegen wir hinauf und traten in einen großen Saal, der die ganze Etage ausfüllte, Wir befanden uns in einem türkischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_415.jpg&oldid=- (Version vom 28.7.2023)