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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

vielleicht in keinem andern Bauwerke des Mittelalters der Geschmack des Morgen- und Abendlandes.

Um alle Einzelheiten dieses herrlichen Denkmals christlicher Kunst zu schildern, müßte ich bei dem Leser eine genauere Bekanntschaft mit der Architektonik voraussetzen. Ich beschränke mich deshalb auf wenige Andeutungen. Ueber den Bau dieser Kirche schwanken die Meinungen; die Einen setzen ihre Entstehung in das elfte, Andere in das dreizehnte Jahrhundert. Die Kirche bestand aus zwei Stockwerken, was sie allerdings mit einigen Burgcapellen in Deutschland (z. B. in Landsberg a. d. Saale und Freiburg a. d. Unstrut) gemeinsam hat, unterscheidet sich aber wieder hauptsächlich dadurch von ihnen, daß die Emporkirche sich zu solcher Höhe erhebt, daß sie durch einen eigenen Bogen mit dem Oberschiff in unmittelbarer Verbindung steht. Wahrscheinlich hatte das obere Stockwerk den Zweck, die barmherzigen Schwestern des großen Hospitals in Wisby aufzunehmen, während das untere den Mönchen bestimmt war.

Für diejenigen meiner Leser, die mein kleiner Aufsatz vielleicht zu einem Besuch der Wisby-Ruinen anregt, will ich hinzufügen, daß die mehrmals wöchentlich von Stettin und Lübeck abgehenden Dampfboote sie binnen 36–48 Stunden nach Stockholm bringen; von Stockholm gehen gleichfalls zweimal wöchentlich Dampfboote nach Wisby, und langen dort nach zwölfstündiger Fahrt an. Deutsche Landsmänner heiße ich mit Freuden hier willkommen und stehe ihnen gern mit Rath und Aufschlüssen zu Dienst; diejenigen aber, die durch Bild und Wort genauere Bekanntschaft mit Gottland’s und Wisby’s Ruinen machen wollen, verweisen wir auf das Prachtwerk: „Gotland och Wisby i Taflor. Text af C. J. Bergman, Teekningan af P. A. Säve“ (mit 21 Kupfern in Folio).

     Stockholm.

Philipp J. Meyer.     




Sulina.
Reiseskizze von Dr. Wilhelm Hamm.
(Fortsetzung.)
Aussicht vom Leuchtthurm. – Der Wind hat umgeschlagen. – Ein Matrosenleben. – Der Friedhof und seine Gräber. – Noch einen Ostwind.

Endlich lag das Gewühl hinter uns, und über eine breite Fläche gelben, jedweder Vegetation entbehrenden Sandes gelangten wir zu dem Leuchtthurme, dem Ziele des Ausfluges. Derselbe ist von mäßiger Höhe, ganz aus Stein erbaut, wie das daran grenzende, sehr geräumige Wachtlocal, in welchem einige Compagnieen türkischer Soldaten als Besatzung liegen. Diese nahmen uns ganz freundlich auf, gestatteten sogar dem vorwitzigen Schweizer, eines ihrer Lütticher Percussionsgewehre vom Stande hinwegzunehmen und ihnen die Handgriffe der Baseler Miliz vorzumachen – und sie lachten recht herzlich darüber. Auf der breiten Wendeltreppe war die Laterne bald erklommen, rings um dieselbe führt eine mit eiserner Balustrade umgebene Gallerie. Eine großartige, aber einförmige Fernsicht bot sich den Blicken. Vor uns, gen Osten, wogte das schwarze Meer, da und dort tauchte ein Segel empor aus den dunkelgrünen Wogen gleich einem weißen Punkte, blitzschnelle Möven flatterten über den Wassern, sonst kein Leben weit und breit. Wohl aber Denkmale der Zerstörung genug – was bedeutet jenes hochragende schwarze Kreuz mitten in den Wellen? Und jener andere dunkele Gegenstand, und dort wieder – es sind Wracks, die Reste gestrandeter Schiffe, redende Zeugen der gefährlichen Einfahrt, und vierunddreißig davon vermochten wir zu zählen! Es gibt kaum eine andere Stelle in der ganzen Welt, welche so gefürchtet und der Schifffahrt verderblich wäre, wie die Sulinamündung der Donau. Die Barre ist ganz schmal und ihr Fahrwasser verändert sich außerordentlich häufig je nach einer andauernden Windrichtung, welche den Sand und Schlamm der Donau zurückstaut oder weiter zu flößen erlaubt; selbst der kundigste Lootse muß daher von Zeit zu Zeit peilen, um sich nicht zu irren, und auch dies sichert ihn nicht gegen die Tücke der Barre. Dabei wehen die Winde hier ungemein heftig, nirgends gebrochen von entgegenstehenden Hindernissen; sobald ein Kiel sich in der Sandbank festgerannt hat, ist er gewöhnlich auch rettungslos verloren, denn die kleinen Schleppdampfer, welche seit einigen Jahren ausdrücklich dazu in Sulina stationirt sind, um Fahrzeuge über die Barre zu bringen, wagen sich nicht immer hinaus, werden aber auch leider noch viel zu wenig benutzt, besonders von den Türken nicht, welche mit ihrem Fatalismus sagen: „Sollen wir scheitern, so hilft kein Schlepper; wo nicht, warum dann das viele Geld bezahlen?“ In neuerer Zeit ist übrigens, Dank der durch die Donaucommission verbesserten Organisation des Hafendienstes, unausgesetztem Baggern und dem Aufwerfen eines Schutzdammes von der linken Spitze der Mündung aus die Passage bei weitem gefahrloser geworden, wie früher.

Der Leuchtthurm steht auf dem rechten Ufer der Sulina, zur Linken ergießt sich der brackische Strom in mäßiger Breite träg in das Meer, verrätherisch schaut der gelbe Sand zu beiden Seiten einer erkennbaren schmalen grünen Wasserstraße unter den durchsichtigen Wogen hervor. Unabsehbar, so weit das Auge reicht, nach jeder anderen Richtung dehnt sich das Schilf, ein zweites grünes Meer, täuschend vom Wind in Wellenkämme aufgejagt, nur südöstlich liegt ein Raum nackten Sandes, den die Sturmfluth überspült, und hinter uns im Westen erhebt sich die qualmende Stadt, deren niedere Dächer nur die Windmühle, das Minaret der Moschee und die hölzerne Kuppel des griechischen Bethauses überragen. Aber hinter ihnen starrt empor der dichte Mastenwald der Schiffe im Hafen, und sonderbar, bis in die entlegenste Ferne ragen Masten bald einzeln, bald in Gruppm aus dem Schilf: die der stromaufwärts gehenden Schiffe. Gerade ging die Sonne unter und auf dem rothen Schleier, hinter welchem sie sich barg, zeichneten sich die Spieren und das Takelwerk der fernen Fahrzeuge mit unnachahmlicher Schärfe ab. Ihr Sinken mahnte an den Heimweg, denn Heimath durften und mußten wir unser Schiff hier nennen – obgleich manchmal arg umdrängt und roh bespottet, gelangten wir doch ungefährdet zurück nach der Landung und in’s Boot des wartenden Bootsmann, der mit freundlichem Lachen die weißen Zähne zeigte, als ihm die beliebten Zwanziger in die Hand gezählt wurden. Jedes gemünzte Geld der Welt gilt hier, jene aber haben den Vorzug vor allem Uebrigen. Preußische Silberthaler gehen als Fünffrankenstücke, Sechstel als Zwanziger – Papiergeld hingegen wird man in Sulina nur mit Verlust los, selbst die inländischen Kaimes.

Der Metternich sollte in der hellen Vollmondnacht die Barre passiren, um am Morgen im Hafen von Odessa einzulaufen. Müde und vielleicht auch theilweise in Furcht vor dem Meere und der Seekrankheit, hatten die Passagiere ihre Kojen gesucht und verwunderten sich beim Erwachen gewaltig über den sanften Gang des Schiffes, noch mehr über die Todtenstille an Bord. Diese hat etwas Unheimliches – rasch sprang Jedermann an die Luken – da lagen wir noch richtig am gestrigen Platze in der Sulina, und die Sonne schien über alle Berge oder vielmehr Ebenen. Was bedeutet dies? Da trat ein Unglücksbote in die Cajüte: „Der Wind hat umgeschlagen, weht streng aus Osten, die Warnungsfahne flattert am Fanal, kein Schiff darf heute über die Barre laufen!“ Eine schöne Geschichte! Verdruß und Aerger spiegelten sich in allen Augen, Jeder hatte so sicher darauf gerechnet, am Ziele der Reise zu sein, die Seinigen wiederzusehen, Geschäfte abzuschließen, in die alte Ordnung zu kommen – besonders aber beklagte sich der feine Grieche bitterlich darüber, daß er heute Abend nicht, wie er gehofft, das schöne Vaudeville zu sehen bekomme, welches die französische Schauspielergesellschaft in Odessa gebe. Indessen, was half’s? – die Wogen des Unmuths legten sich bald und man fügte sich geduldig, ja scherzend in das Unvermeidliche.

Natürlich begab sich die ganze Gesellschaft nach dem Frühstück an’s Land, mit Ausnahme der Damen, welche um keinen Preis wiederum dazu zu bewegen gewesen wären. Die Boote umdrängten das Schiff, aber der gestrige Führer erhielt den Vorzug und ward als Gondolier förmlich in Dienst genommen. Trefflicher Stasio, wie treulich dientest Du uns, wie sehr bemühtest Du Dich, uns zu unterhalten, und wie wenig verstanden wir Dich und Dein corrumpirtes Italienisch! Und doch ward uns nach und nach seine ganze Lebensgeschichte zu Theil – freilich in Bruchstücken, die man zusammensetzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_399.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)