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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Aber von einem andern Geräusche erwachte ich desto plötzlicher und zur klarsten Besinnung. Es wurde stark an die Thür der Stube geklopft. Ich fuhr hoch im Bette auf. Es war heller Morgen.

„Sind Sie wach?“ rief draußen an der Thür die Stimme des Hauswirthes.

„Was gibt es?“ fragte ich.

„Wollten Sie nicht so gut sein, aufzustehen?“

Ich stand auf und warf einige Kleider über. Meine Uhr zeigte halb fünf, und um fünf Uhr hatte ich auch schon wieder abfahren wollen. Daß der Mann mich weckte, hatte also nichts Auffallendes. Aber der Ton seiner Stimme war mir etwas aufgeregt, so besonders dringend vorgekommen. Ich öffnete indeß die Thür, und er trat in die Stube. Die Thür machte er, wie es mir schien, mit einer gewissen Vorsicht hinter sich zu. Er sah überhaupt so sonderbar aus. Er mußte etwas auf dem Herzen, er mußte etwas vorhaben.

„Nehmen Sie mir nicht übel, daß ich Sie so hastig geweckt habe.“

„Es ist Zeit für mich, weiter zu reisen.“

„Ihr Rad ist vom Stellmacher zurück.“

„Und in Ordnung?“

„Ganz in Ordnung.“

Er hatte sich unterdeß mit großer Neugierde und, wie ich meinte, mit einer gewissen ängstlichen Spannung in der Stube umgesehen, schien aber nicht zu finden, was er suchte. Er ging auf die Thür der nebenan befindlichen Kammer zu, besah diese genau, schob den Riegel zurück, der noch davor war, und trat hinein. Ich glaubte, er habe dort etwas zu thun, vielleicht in einem der Koffer, die in der Kammer standen, und achtete nicht besonders darauf, sondern kleidete mich während der Zeit an. Auf einmal kam er mit bestürztem Gesichte aus der Kammer zurück.

„Haben Sie heute Nacht nichts gehört?“

„Es war Geräusch an der Thür.“

„An welcher?“

„An der da.“

Ich zeigte auf die zu der Treppe führende Thür.

„Und dort in der Kammer haben Sie nichts gehört?“

„Nichts. – Doch, es steht mir vor, als wenn ein Geräusch mich einmal, vielleicht nur auf eine Secunde, halb aufgeweckt habe. – Aber ist etwas vorgefallen?“

Er besann sich, als wenn er zweifelhaft sei, ob er das, was er hatte, mir mittheilen solle oder nicht.

„Sie müssen es wissen,“ sagte er dann; „aber kein anderer Mensch darf es erfahren, ich bitte Sie darum.“ Er war in großer Aufregung. „Hier ist ein schändlicher Diebstahl verübt worden,“ fuhr er fort.

„Wo?“

„In dieser Kammer.“

„Hier? Fast unmittelbar neben meinem Bette?“

„Es ist eine ungeheuere Frechheit.“

„Was ist Ihnen gestohlen? Ist es viel?“

„Ich bin ein geschlagener Mann.“

„Erzählen Sie, theilen Sie mir Alles mit; es soll jedes Mittel aufgeboten werden, Ihnen wieder zu dem Ihrigen zu verhelfen.“

Ich hatte bis dahin kaum Zeit gehabt, in die Wahrheit seiner Angabe einen Zweifel zu setzen. Sein Aussehen, sein ganzes Benehmen war vollständig das eines Menschen, den die plötzliche Entdeckung eines schweren Verlustes bestürzt macht. Ich hatte zudem in der Nacht das doppelte Geräusch gehört, einmal deutlich, im vollen wachen Zustande, das zweite Mal aber unbestimmt, im Schlafe. – Er erzählte.

Er und seine Leute waren, wie gewöhnlich, um drei Uhr des Morgens aufgestanden. Sie hatten ihre gewöhnliche Tagesarbeit begonnen, im Hause, auf dem Hofe. Einen Knecht hatte er mit dem zerbrochenen Rade meines Wagens zu dem Stellmacher geschickt. Vor einer Viertelstunde war der Knecht zurückgekommen. Er, der Hausherr, hatte darauf nachsehen wollen, ob ich vielleicht schon wach oder aufgestanden sei. Zu dem Zwecke war er in den Garten hinter dem Hause gegangen, wo er auf das Fenster meiner Stube sehen konnte. Dieses Fenster war noch verschlossen gewesen. Aber das Kammerfenster nebenan stand offen. Das fiel ihm auf. Er trat näher heran und entdeckte an der Erde Fußspuren. Eine große Angst ergriff ihn. In einem Koffer in der Kammer befand sich sein gesammtes erspartes Vermögen – dreihundert Stück Friedrichsd’or. Er hatte sie nach seiner Ankunft aus Amerika in Hamburg eingewechselt. Er eilte in das Haus zurück. Er konnte nur durch meine Stube in die Kammer gelangen. Er wollte mich wecken. Aber als er in die Scheune trat, fiel ihm etwas Anderes auf. Unter dem großen Thore, das aus der Scheune in’s Freie führte, sah er eine ungewöhnliche Helle. Er ging hin. Unter der Schwelle der Thür war eine große Oeffnung. Sie war frisch in die Erde gegraben, und es konnte dadurch Jemand bequem von außen in die Scheune kriechen und aus dieser wieder zurückkommen. Er stieg deshalb sogleich zu mir hinauf, weckte mich und trat in die Kammer. Dort stand sein Koffer offen. Das Geld war daraus entwendet, die ganze Summe von dreihundert Friedrichsd’or.

Das war seine Mittheilung.

Sie paßte zu dem, was ich selbst in der Nacht vernommen hatte. Ich war Criminalrichter genug, um mir sofort den Gang des verübten Verbrechens combiniren zu können.

Der Dieb, der auf irgend eine Weise erfahren hatte, daß das Geld in der Kammer war, hatte das Einsteigen von außen gefährlich gefunden, vielleicht auch anfänglich aus Mangel an geeigneten Hülfsmitteln nicht ausführen können. Er hatte das Loch unter dem Scheunenthor gegraben, um von dieser aus durch meine Stube in die Kammer zu gelangen. Meine Anwesenheit im Hause, wenigstens in der Stube, hatte er nicht gewußt. Er hatte die Thür meiner Stube durch Nachschlüssel zu öffnen versucht, der Versuch war mißlungen, weil ich von innen den Riegel vorgeschoben hatte. Nun mußte er doch von außen einsteigen, und das und die weitere Ausführung war ihm geglückt.

Ich besichtigte mit dem Bestohlenen die Kammer. Fenster und Koffer standen noch offen. Spuren einer Gewalt waren nirgends zu entdecken. Der Koffer mußte also mit einem Nachschlüssel geöffnet sein. Die Art der Oeffnung des Fensters blieb mir anfangs ein Räthsel. Es wurde mit zwei eingehakten Klinken verschlossen. Diese schlossen es fest und dicht. Bei genauerem Nachsehen löste sich aber das Räthsel. Von außen war zwischen Rahmen und Kreuz des Fensters ein Instrument eingeschoben; vermittelst desselben waren die Klinken aus den Haken gehoben. Die Zurückziehung des nach außen sich öffnenden Fensters hatte dann mit leichterer Mühe geschehen können. Aber das Instrument, mit dem die Aushebung der Klinken bewirkt war, mußte ein außerordentlich dünnes, feines und eben so starkes gewesen sein; wahrscheinlich eine ungemein dünn geschliffene, sehr feste Messerklinge. Darauf deuteten auch die kaum bemerkbaren Spuren an Holz und Eisen des Fensters hin.

(Fortsetzung folgt.)




Die Stadt der Ruinen.

Von Allem, was ich in der Welt des Merkwürdigen gesehen, und es ist dies nicht wenig, hat mich nichts so ernst wehmüthig gestimmt, als der Anblick der Stadt Wisby auf der Insel Gottland. Welche Mahnung an die Vergänglichkeit alles Irdischen, welche Erinnerung an die Blüthenperiode deutschen Bürgerthumes! Wie Riesen der Vorzeit schauen seine altersgrauen Ruinen, aus denen ein frisches vegetabilisches Leben sich neu gebärt, ernst herab auf die Pygmäen der Gegenwart, die sich tief unter ihnen und wie unter ihrem Schutze um das dürftige tägliche Brod mühen, während diese Ruinen selbst Zeugniß von einer Zeit ablegen, von der die Chronik sagt:

Nach Centnern wägen Gottländer Gold
Und spielen mit Edelsteinen;
Die Schweine essen vom Silbertrog,
Auf Goldspindeln spinnen die Weiber.

Die meisten Leser der Gartenlaube haben ohne Zweifel den Namen der Stadt Wisby unter den einstigen Gliedern der mächtigen Hansa nennen hören; aber wunderlich ist es in der That,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_396.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)