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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Dann ging er der Frau nach, kehrte aber mit dieser bald zurück. Die Frau ging hinter ihrem Manne, so daß sein Schatten auf sie fiel; er trug ein Licht, das sie vorhin getragen hatte. Als sie in die Nähe der Stubenthür kam, bog sie rasch nach dieser ab, und ohne daß sie mich gegrüßt oder nur nach mir hingeblickt hatte, öffnete sie die Thür und verschwand in der Stube.

War das Alles absichtslos oder mit Vorbedacht geschehen? Und wenn das Letztere, aus welchem Grunde? Ich hatte freilich bei gewöhnlichen, in ihrer ländlichen Abgeschiedenheit lebenden Bauerfrauen öfter eine ähnliche Scheu vor Fremden gefunden. Ihr Benehmen wollte mir doch auffallen, zumal wenn ich an so Manches dachte, was mir der alte Bauer erzählt hatte. Uebrigens hatte ich doch mit einem Blicke das Gesicht der Frau erhascht. Es war blaß, aber ich glaubte feine und regelmäßige, schöne Züge bemerkt zu haben. Der Hausherr wandte sich an mich:

„In der nächsten Stunde werden Sie nicht fortkönnen, und hier in der Küche können Sie nicht bleiben. Meine Frau hat eine Stube für Sie zurecht gemacht; wollen Sie mir dahin folgen?“

Die Worte wollten mir wieder einen Stich in das Herz geben. Aber ich durfte wiederum kein Bedenken zeigen, das wie Furcht ausgesehen hätte. Ich folgte ihm.

Er führte mich durch dieselbe Seitenthür, aus der er mit seiner Frau zurückgekehrt war. Durch die Thür traten wir in eine geräumige Scheune. Gleich links in dieser war eine kleine, schmale Treppe; diese führte er mich hinauf. Wir traten in eine Stube. Sie war klein, niedrig; aber es standen hübsche, neue Möbeln darin, und Alles war außerordentlich rein und sauber. Es war die Putz- und zugleich Fremdenstube des Hauses. Auch ein Bett stand darin, und es war frisch gemacht. Das konnte auffallen. Ich hatte nur für eine Stunde hier meinen Aufenthalt nehmen sollen.

Der Hausherr mochte mir es ansehen, wie es mir auffiel.

„Meine Frau hat es schon aus Vorsorge gethan,“ sagte er, „für den Fall, daß Sie doch die Nacht bleiben müßten.“ Die Auskunft war eine völlig unverfängliche. „Machen Sie es sich bequem hier!“

Er verließ mich; aber schon nach wenigen Minuten war er wieder da.

„Ich bringe Ihnen einen kleinen Nachtimbiß. Aber ich sagte es Ihnen vorher, Sie müssen vorlieb nehmen.“ Er brachte Brod, Butter, Schinken, dabei eine Flasche mit Wasser. „Schnaps werden Sie nicht trinken, und sonst habe ich nur Wasser im Hause.“

Es war wieder Alles so rein und sauber und einladend. Ich mußte unwillkürlich zulangen.

Er hatte mich wieder verlassen. Ich blieb lange allein. Meine Uhr zeigte schon halb elf, als er zurückkam. Er schien etwas verlegen zu sein.

„Mit dem Rade ist ein Unglück passirt. Der Knecht war ungeschickt; anstatt es fester zusammenzuschlagen, hat er es in einander geschlagen. Es thut mir leid für Sie; aber ich kann Ihnen nun nicht mehr helfen, Sie werden die Nacht wohl hier bleiben müssen. Morgen früh noch vor drei schicke ich das zerbrochene Rad zum Stellmacher, und um fünf Uhr schon können Sie abfahren.“

War der Knecht wirklich so ungeschickt gewesen? Oder war es Vorwand, was er sagte?

Er hatte Alles wieder natürlich und arglos genug gesprochen, und – ich war jedenfalls gefangen. Es konnte mir nicht einmal helfen, wenn ich selbst hätte nachsehen wollen. Nur nach meinem Kutscher wollte ich mich noch umsehen, um wenigstens zu wissen, wo er sei, wenn es in irgend einem Nothfalle darauf ankäme. Aber auch dazu sollte ich nicht gelangen.

„Ihrem Kutscher haben wir ein Lager in einer Kammer neben der Küche gemacht,“ sagte er von selbst. Dann fragte er, ob ich noch etwas zu wünschen habe, dann wünschte er mir. gute Nacht, und ließ mich allein. –

Ich war allein in einem hübschen Stübchen, in dem Alles so freundlich, so einladend war, auch das von glänzenden Leinen frisch aufgemachte Bett. Aber auch in dem Hause eines Menschen, den die Gegend als einen Verbrecher bezeichnete, der das Kainszeichen in dem finsteren, unheimlichen Gesichte trug. Ich war allein unter einem gastlichen Dache oder in einer Räuberhöhle. Mein Kutscher war noch da, aber ich wußte nicht, wo er, er wußte nicht, wo ich war. Und außer uns Beiden wußte kein Mensch in der Welt, wo wir waren. Verschwanden wir, man konnte kaum ahnen, wo man uns suchen solle.

Aber war ich nicht ein Thor mit solchen Gedanken? Was hatte ich denn Verdächtiges gesehen oder gehört? Warum sollte auch ein Verbrechen gegen mich verübt werden? Ich hatte nur meine Uhr und weniges Reisegeld bei mir. Er mußte das wissen können, da er unstreitig von dem Kutscher erfahren hatte, wer ich war. Darum etwa sollte er einen Doppelmord begehen? Wagen und Pferde konnten ihn gar nur verrathen.

Ich beschloß, mich ruhig zu Bette zu legen, sah mich aber vorher noch in dem Stübchen um. Vorsicht kann nie schaden.

Es lag an der Hinterseite des Hauses, wahrscheinlich – ich konnte es in der Dunkelheit nicht unterscheiden – nach einem Garten hin. Es hatte nur ein Fenster, aber zwei Thüren. Durch die eine war ich gekommen; sie hatte inwendig einen Riegel, den ich vorschob. Die andere war in einer Seitenwand. Ich konnte sie öffnen; sie führte in ein zweites kleines Gemach, eine Kammer, die dem Stübchen glich, in dem ich mich befand. Aber sie war leer. Nur ein paar Koffer standen darin. Eine zweite Thür hatte sie nicht. Ich verschloß gleichwohl die Thür, die aus meinem Zimmer hineinführte. Sie hatte ebenfalls einen Riegel, den ich gleichfalls vorschob. Dann legte ich mich zu Bette und löschte das Licht aus.

Ich mochte noch Mancherlei über meine Reise und meine Lage nachdenken; aber ich war müde. Um mich her war Alles still, draußen wie im ganzen Hause. Ich schlief bald ein.

Ein Geräusch weckte mich. Ich fuhr in meinem Bette unwillkürlich in die Höhe. Es war Jemand draußen an der Thür der Stube, an der Eingangsthür, die zu der Treppe und zu der Scheune führte. Es wurde an dem Schloß der Thüre gearbeitet. Ich horchte und blieb sitzend im Bette. Ich hörte deutlich, wie ein Schlüssel in dem Schlosse hin und her gedreht wurde. Offenbar wurde der Versuch gemacht, die Thür zu öffnen. So indeß konnte das, da sie von innen verriegelt war, nicht geschehen. Ich konnte, wenigstens einstweilen, ruhig weiter horchen. Der vergebliche Versuch zu öffnen wurde noch eine Weile fortgesetzt, Anderes als das Drehen des Schlüssels hörte ich nicht, namentlich auch kein Sprechen, kein Flüstern, kein Zischeln.

Ich schloß, daß nur eine einzige Person draußen sei.

Wer war es? Mein Wirth? Der verdächtige Mensch mit dem Kainszeichen? Sollte ich aufspringen? mich zu erkennen geben, daß ich wach sei? Oder sollte ich still abwarten, was dem endlich als vergeblich anerkannten Versuche, mit dem Schlüssel zu öffnen, weiter folgen werde, und dann, wenn es Noth thue, aus dem Fenster Hülfe rufen?

Hülfe? Von wem hier Hülfe?

Waffen führte ich nicht bei mir, nicht einmal einen Stock, ein Federmesser. Ich konnte mich nur mit einem der Stühle vertheidigen, die in der Stube standen.

Ich sann nach, was ich thun solle. Auf einmal war es still geworden, ich hörte nichts mehr – keinen Laut weiter. Der Mensch, der mir seinen Besuch zugedacht hatte, mußte wieder fort sein. Aber wie leise mußte er sich entfernt haben, da ich bei dem angestrengtesten Horchen nicht den geringsten Laut eines Schrittes hatte vernehmen können!

Hatte ich vielleicht nur geträumt? Aber ich saß noch aufrecht im Bette, und im aufrechten Sitzen hatte ich deutlich jene Töne gehört. Es war noch stockfinstere Nacht. Ich ließ meine Uhr repetiren, sie schlug Mitternacht. Im ganzen Hause regte sich nichts, eben so wenig draußen.

Was sollte ich machen? Ich war bald entschieden. Mochte da gewesen sein, wer wollte, mochte ihn eine gute oder eine böse Absicht geleitet haben, es war jetzt Alles wieder ruhig, und es blieb ruhig; ich konnte also keine Veranlassung haben, Unruhe im Hause zu machen. Wer konnte auch wissen, in welcher unschuldigen Absicht mir ein höchst gleichgültiger Besuch zugedacht war? Am andern Morgen mußte sich aufklären, was aufzuklären war.

So dachte ich. Und in diesem Gedanken konnte ich gar nach kurzer Zeit wieder einschlafen. Ich muß sogar fest, sehr fest geschlafen haben. Späterhin meinte ich zwar, ich sei im Schlafe einmal wie von einem plötzlichen Geräusche gestört worden. Aber zu einem klaren Bewußtsein, zu einer bestimmten Erinnerung konnte ich darüber nicht kommen. Irrte ich mich nicht, hatte ich namentlich nicht blos geträumt, so hatte das Geräusch mich jedenfalls nicht aus der Trunkenheit des Schlafes herauszubringen vermocht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_395.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)