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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Ehrengäste angekommen waren, und speciell nach feierlicher Einholung des Professor Gottfried Kinkel und Bewillkommnung desselben mit Reden und Vivats, erreichten die Feierlichkeiten und Freuden ihre volle Blüthe. Der schönste Duft derselben war die Bewillkommnung Kinkel’s und seine Rede. Ein Communisten-Verein, der jetzt ein Wochenblatt herausgibt, hat es sich zur speciellen Aufgabe gemacht, nicht allein die Zeitung Kinkel’s, sondern auch diesen persönlich auf die frechste Weise zu verunglimpfen, wobei sie die handgreiflichsten Lügen nicht scheuen. Ein begründeter Angriff von einem ehrenhaften Gegner kann den Angreifer und den Angegriffenen ehren, aber Lüge und absichtliche Verleumdung der Person, deren bürgerliche Ehrenhaftigkeit auch der bitterste politische Feind nicht mit Grund antasten kann, ist absolut niederträchtig. Der Bund deutscher Männer wollte das Fest benutzen, dem Professor Kinkel zu zeigen, wie ihn die Deutschen aller Stände und Berufe in London ehren und lieben. Das sah und fühlte Jeder den ganzen Tag über. Auch Kinkel war davon sichtlich ergriffen. Und so gab es ein unvergeßlich schönes Bild, das allen Deutschen, wo und in welcher politischen Situation sie auch leben mögen, Freude machen wird, als er aus dem bunten Kreise deutscher Männer, Frauen und Kinder unter einer hellgrünen, lichtdurchzitterten Eiche mit entblößtem Haupte in die Mitte trat, beschattet und umflattert von der schwarz-roth-goldenen Fahne, und unter derselben in der Mitte deutscher Männer über die Pflicht und die Mittel sprach, sich als Deutscher im Auslande den sittlichen Zusammenhang mit dem Vaterlande und deutsches Leben, Thun und Denken zu wahren.

„So Du Zion vergissest, soll Deiner vergessen werden.“ Diese furchtbar wahr gewordene Prophezeiung war sein Hauptthema. Er begann seine Rede mit einem Griff in die flatternde Fahne hinauf und erinnerte an die Zeit, als sie frei und hoffnungsvoll von einem Ende Deutschlands zum andern wehte. Doch auch nicht die leiseste Spur von bitterer Bemerkung entschlüpfte ihm. Die Rührung, diese Fahne wieder zum ersten Male in einem fremden Lande in einem Kreise deutscher Männer und Familien zu sehen, gab ihm ergreifende Worte, welche manches Auge feuchteten oder unverhohlen, unbewußt mit Thränen füllten. Aber bald ging es in den Ton der Ermuthigung und des Trostes über. Er bewies, daß die Deutschen im Auslande eine schöne, welthistorische Bestimmung übernommen hätten und sie überall, wenn auch größtentheils noch unbewußt, erfüllten: sie tragen die deutsche Cultur persönlich und praktisch durch Beibehaltung und Entwickelung deutschen Wesens mit allem seinem reichen Inhalte in alle Welt und machen es oft unter freieren und besseren Verhältnissen, als zu Hause, in England, in Amerika, wie in dem sibirischen Paradiese am Amur (in dessen Hauptstadt Nikolajewsk sich auch bereits ein deutscher Verein gebildet hat) geltend, bringen es zu Anerkennung und Ehre, wodurch die Deutschen mit der Zeit zu dem bindenden, versöhnenden Elemente unter den Völkern der Erde werden mögen, die Pioniere des praktischen Kosmopolitismus. Dies ist nur möglich durch Cultur des deutschen Wesens im Auslande, durch Erhaltung lebendiger Theilnahme an den Schicksalen und Leiden unseres gemeinschaftlichen Vaterlandes, welches der Bund deutscher Männer mit seiner schwarz-roth-goldenen Fahne, seinen heiter und herzlich vereinten Mitgliedern aus allen möglichen „engeren Vaterländern“ und Ständen an diesem Tage schön und erquickend in seiner Freiheit und Einheit, wenn auch nur im Kleinen, darstelle und genieße.

Nach dieser Rede begannen die heiteren und humoristischen Seiten des Festes sich üppig zu entwickeln. Es wurde herzhaft getanzt auf dem grünen Rasen, geschmaußt und getrunken, gespielt und gescherzt in vollster Freiheit, Vertraulichkeit und Gemächlichkeit. Dann und wann traten die Männer zu einem vierstimmigen deutschen Gesänge zusammen. Umzüge mit der Fahne, mit Musik und Gesang. Echte Zigeunerinnen, die im Epping-Forste nisten, drängten sich gelbbraun unter die weißen, rothgetanzten Damen, um für wenig Kupfer die schönsten Dinge zu wahrsagen. Auch dem wohlig im Grase lagernden Professor Kinkel naht sich ein überaus schmutziges und doch sehr schönes Zigeunerkind, kauert sich neben ihm nieder und liest aus seinen Handlinien die wunderbarsten Ereignisse der Zukunft. Welch’ ein malerisches Genrebild!

Hier wird deutsche Wurst, die nicht verzehrt war, verauctionirt. Der Fahnenträger fungirt als Capellmeister bei einem Trinklieds und dirigirt mit dem Propfenzieher auf dem vorgehaltenen Hute. Ein hoch am Eichenaste schwebender Krug Bier muß ausgetrunken werden, ohne ihn anders als mit den Lippen zu berühren. Auch gilt es, aus einem noch höher gehangenen Brodkorbe blos mit den Lippen zu essen. Diese und unzählige andere Schwänke steigerten die freie deutsche Einigkeit und Heiterkeit nicht selten zum unauslöschlichen Göttergelächter.

Spät Abends zieht die glückliche Gesellschaft mit klingendem Spiel und der schwarz-roth-goldenen Fahne vor andächtig Platz machenden Policemen und hutschwenkenden, jauchzenden Engländern vorbei nach dem Eisenbahnhofe, nach Hause mit der bleibenden Erinnerung, im Kleinen, aber in schönster Wirklichkeit ein einiges, freies Deutschland repräsentirt und genossen zu haben.




Blätter und Blüthen.

Zur Erinnerung an den Major v. Schill. Einer der populärsten Helden aus den großen Kämpfen, die zu Anfang dieses Jahrhunderts stattfanden, ist unstreitig der Major von Schill. Noch heutzutage lebt sein Andenken im deutschen Volke fort, und überall singt man noch mit derselben Begeisterung, wie ehemals: „Es zog aus Berlin ein tapferer Held“. Was Schill im großen Ganzen gethan und wie er geendet, wissen Tausende; aber einzelne Episoden aus seinem Leben dürften dem größeren Publicum denn doch unbekannt sein. Eine derselben will ich hier, so wie ich sie aus dem Munde eines ehemaligen Schill’schen Jägers, des in Marienwerder lebenden Förstern Spalding, gehört habe, mittheilen.

„Ich war,“ so erzählte der Förster, „in dem für Preußen so unglücklichen Jahre 1806 Forstgehülfe bei einem Oberförster in der Mark. Mitte October des genannten Jahres verbreitete sich das Gerücht, die Preußen seien geschlagen und die Franzosen befänden sich im Anzuge. Ein panicher Schreck kam über sämmtliche Bewohner der Oberförsterei; selbst mein Principal wurde davon befallen. Einige Tage hindurch ging er mit blassem, verstörtem Antlitz umher; dann aber, als man ihm mittheilte, daß sich bereits einige feindliche Reiter im benachbarten Dorfe gezeigt hätten, ließ er am nächsten Morgen einen Wagen packen und fuhr mit seiner Gemahlin auf und davon. Bald darauf zerstreute sich auch das Dienstpersonal, und nur ich und eine alte Magd blieben allein zurück. Tags darauf erschienen etwa fünfzig französische Chasseurs und plünderten die Oberförsterei gründlich aus. Im ziemlich reich gefüllten Weinkeller blieb auch nicht eine einzige Flasche; denn was die Reiter nicht leerten, wurde den Pferden vorgesetzt, die den Rebensaft mit Behagen einschlürften. Nach einem mehrstündigen Aufenthalte machten sich die Franzosen wieder auf den Weg. Kaum konnten sie aber tausend Schritt weit im Walde sein, so folgten ihnen etwa vierzig preußische Husaren. Als ich dem Officier, einem jungen Lieutenant, erzählte, wie eben etwa fünfzig Chasseurs hier gewesen, bat er mich, ihn schnell dem Feinde nachzuführen. Ich schlug die Richtung nach einem Hohlwege ein, den die Franzosen, als wir anlangten, noch nicht passirt hatten. Kaum war von dem jungen Lieutenant der Ueberfall geordnet, da erschienen, keine Gefahr ahnend, die feindlichen Chasseurs. Im Nu stürzten die Preußen von beiden Seiten über sie her, und nach einem kurzen Kampfe waren die meisten Franzosen getödtet und die übrigen in Gefangenschaft gerathen.

„Als ich in die Försterei zurückkehrte, war die alte Magd auch bereits davongegangen, und ich befand mich ganz allein in dem großen Gebäude. Diese Einsamkeit behagte mir aber durchaus nicht, und schon des anderen Tages warf ich die Jagdtasche über die Schulter, nahm die Büchse zur Hand und wanderte fort. Ich hatte die Absicht, mich nach Pommern zu begeben und dort unter die preußischen Jäger zu treten. Als ich in Stettin anlangte, fand ich Alles in der größten Aufregung und Unordnung, und so setzte ich denn meinen Marsch weiter östlich fort. Hinter dem Städtchen Damm stieß ich auf eine interessante, aus etwa acht bis zehn Köpfen bestehende Gruppe. Es waren theils preußische Cavalleristen, ohne Pferde, theils Infanteristen; einige trugen Waffen, mehrere dagegen waren nur mit einem derben Knüttel versehen. In der Mitte dieses merkwürdigen Trupps schritt, einen Arm in der Binde tragend, eine kräftige, frische Männergestalt – es war Schill, damals Husarenlieutenant. Als er meiner ansichtig wurde, kam er auf mich zu und fragte:

„Wohin, guter Freund?“

„Ich blickte dem Fragenden in die blitzenden Augen und erwiderte:

„Ich will mich bei den Preußen anwerben lassen.“

„Das trifft sich schön!“ entgegnete Schill. „Ich bilde ein Freicorps und sammele Alles, was versprengt ist, nehme aber auch gern junge Jäger auf, wenn sie mit einer Büchse bewaffnet sind. Also, guter Freund, will Er bei uns bleiben?“

„Die Zutrauen erweckende Sprache Schill’s und sein einnehmendes Wesen bestimmten mich, „Ja“ zu sagen, und so ward ich denn der erste Schill’sche Jäger. Auf dem Marsche stießen noch einige Cavalleristen mit Karabinern und einige mit Gewehren versehene Infanteristen zu uns, so daß sich unsere Zahl auf etwa zwanzig Mann belief. Vorsichtig setzten wir unsern Marsch fort; das Ziel war die Festung Colberg.

„Eines Abends in der Dunkelheit erreichten wir das Städtchen Gollnow. Schon waren wir im Begriff, durch das Thor zu schreiten, als uns ein Bürger zurief: „Das sind ja Preußen! Um Gotteswillen, kehrt um,

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