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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

als an mehr als zwanzig verschiedenen Stellen edeles Metall, wenn auch nur in geringer Menge, zum Vorschein kam, hegten sie übertriebene Hoffnungen und zweifelten nicht mehr daran, daß ein neues Californien von ihnen entdeckt worden sei.

Diese Kunde durchlief rasch die Staaten Missouri und Iowa; eine Nachricht jagte die andere; man wollte wissen, daß der ganze Ostabhang des Gebirges zwischen dem Ostarme des Platteflusses und dem Arkansas eine unberechenbare Menge von Gold in sich schließe, und daß man nur dorthin zu gehen brauche, um reiche Schätze zu gewinnen. Nun liegt im Charakter des englisch redenden Nordamerikaners, ein so nüchterner, kalt berechnender, „calculirender“ Mensch er auch im Allgemeinen ist, etwas Abenteuerliches und Waghalsiges, und wo es den Anschein hat, als ob ein großes Vermögen rasch sich erwerben lasse, ist er sehr leicht den Täuschungen zugängig. Dann läßt er sich in einer für uns schwer begreiflichen Weise geradezu am Narrenseile führen, und wird ein Opfer des Betruges, jenes glänzend ausgeputzten und ausgepufften Schwindels, für welchen er selbst den Namen Humbug erfunden hat.

Der Nordamerikaner hat nicht jene Anhänglichkeit an Haus, Hof und Heimath, welche den Deutschen kennzeichnet; er trägt etwas Zigeunerartiges in sich, wandert aus einem Staate in den andern, wechselt seinen Aufenhalt im nächsten Jahre wieder, hat einen Drang in die Weite und zieht dem Gelde mehr nach, als irgend ein anderes Menschenkind. Es gibt viele Nordamerikaner, die im vierzigsten Lebensjahre schon in sechs bis neun verschiedenen Staaten als Ackerbauer ansässig gewesen sind, und ihre Farmen wieder verkauft oder auch ohne Weiteres verlassen haben. Bei einer solchen im Blute liegenden Neigung wird es erklärlich, daß die neuen Staaten und Gebiete so rasch sich bevölkern; wo „Busineß“, ein Geschäft, zu machen ist, dorthin strömen die Yankees zu Tausenden. Und schon im vorigen Herbst waren Tausende nach dem Pikes Peak und dem Kirschenbache geeilt, um Gold zu graben. Sie legten Städte an, die zwar hochtönende Namen, wie Auraria (Goldstadt), trugen, aber freilich nur aus wenigen Hütten bestanden, die man in aller Eile zusammengenagelt hatte. Sofort bemächtigte sich die schamlose Speculation des Goldfiebers in einem Umfange und in einer Weise, die selbst in Nordamerika, auf dem klassischen Boden des Schwindels, niemals übertroffen worden ist. Gold ist in jenen Gegenden allerdings vorhanden, aber noch heute weiß Niemand, ob die Ausbeute lohnen werde. Allein darauf kam es den Speculanten nicht an; ihr Zweck war kein anderer, als so viele Einwanderer als irgend möglich in die neue Goldregion herbeizulocken. Dabei verfuhren sie mit einer Gewandtheit, die nur von ihrer Gewissenlosigkeit übertroffen wird. Wir wollen zeigen, wie sie dabei zu Werke gingen.

Als im vorigen Jahre die Kunde von den Goldentdeckungen nach St. Joseph, einer Grenzstadt in Missouri, gelangte, bildete sich dort die sogenannte Lawrence-Compagnie, eine aus fünfundvierzig Männern bestehende Gesellschaft von Abenteurern, unter denen sich einige alte Californier befanden; auch waren gewissenlose Männer unter ihnen, welche mit der Feder umzugehen wußten. Im Herbst trafen Berichte von ihnen ein: man wollte Gold in Fülle gegraben haben, für durchschnittlich acht Dollars an jedem Arbeitstage. Diese Angaben wurden durch die Zeitungen verbreitet und regten die Gemüther auf. Auraria und Denver City, die neuen „Städte“, wurden in pomphafter Weise geschildert; man stellte für sie eine so rasche Blüthe in Aussicht, wie für Chicago und San Francisco. Einige Mitglieder des Vereins kamen zu Anfang des Winters – ohne Gold – zurück, verbreiteten aber Flugschriften und Zeitungsartikel, und zogen die Handelsleute und Gastwirthe in den Grenzstädten in ihr Interesse. Dort mußten ja viele Auswanderer sich mit mancherlei Sachen ausrüsten und versorgen, um die dritthalbhundert Stunden weite Strecke vom Missouri bis zum Pikes Peak und Cherry Creek zu durchwandern, und für die ersten Monate im Goldlande am Nothwendigen keinen Mangel zu leiden. Von edlem Metall war freilich noch nichts nach Osten gelangt; es kamen Fälle vor, daß Goldstaub, der angeblich aus Nebraska gekommen war, als kalifornisches Erzeugniß nachgewiesen wurde. Solche Thatsachen wurden durch die Zeitungen veröffentlicht, auch warnte man vielfach; nichtsdestoweniger griff das Goldfieber, namentlich in den Staaten Iowa, Illinois und Indiana, bald auch in Ohio, Missouri und Kentucky, dermaßen um sich, daß schon im Februar der Zug der Auswanderer nach Westen hin begann.

Die Grenzorte in Missouri, Kansas und Nebraska füllten sich mit „Pikes Peakern“, die für klingende Thaler ihren Reisebedarf einkauften. Lebensmittel, Maulthiere, Jochochsen, Pferde, Wagen, Karren, Lederzeug, Schaufeln, Sägen, Beile, Nägel und hundert andere Gegenstände gingen bei so starker Nachfrage im Preise außerordentlich hoch; die Handelsleute machten große Profite und schilderten die Aussichten im Goldlande in glänzender Weise.

So zogen die Auswanderer in die nassen Prairien hinaus, dem kalten Wind entgegen, ohne festes Obdach, in Schnee- und Regenwetter, unter großen Mühseligkeiten, aber erfüllt von Hoffnung auf raschen Erwerb großen Reichthums. Vom Februar bis in die ersten Wochen des Maimonates drängte ein Zug den andern. Die Wohlhabenden und Vorsichtigen hatten sich auf neun Monate mit Lebensmitteln versehen; sie führten beladene Wagen, vor die sie zwei, vier oder wohl auch sechs Joch Ochsen spannten; aber das Futter auf der Prairie war karg und manche Thiere fielen, alle magerten ab. Wie groß der Andrang war, ergibt sich aus der Thatsache, daß ein Fährmann an einem einzigen Tage nicht weniger als einhundertundachtundsiebzig Wagen über den Missouri setzte; und bei der Stadt St. Joseph gibt es nicht weniger als drei solcher Fähren, die seit dem Februar in ununterbrochener Thätigkeit waren. Das Goldfieber hat nicht weniger als hunderttausend Menschen auf die Prairien gelockt, und viele von ihnen sind nur mit Handkarren und einer Büchse ausgezogen, ohne Wagen oder Zelte. Binnen zehn Tagen wurden 1600 Wagen, 12800 Menschen und 9600 Ochsen an einer einzigen Stelle über den Missouri befördert. Weiber und Kinder sind zu Tausenden mitgegangen!

So war die Fluth, und sie ging hoch; aber bald schlug ihr eine gewaltige Ebbe entgegen. Die Goldjäger wurden von einem furchtbaren Unglück heimgesucht und viele von ihnen haben mitten auf der unwirthlichen Steppe ihr Grab gefunden. Der Rausch ist verflogen, an die Stelle hochgeschraubter Erwartungen und maßlosen Hoffens ist eine tiefe Entmuthigung oder eine wilde Verzweiflung getreten. Wir finden in den neuesten amerikanischen Blättern eine ganze Reihenfolge von Briefen aus verschiedenen Städten in Nebraska, Kansas und Missouri, die ein anschauliches Bild von dem Jammer geben, welcher über die Prairiewanderer hereingebrochen ist. Einige Auszüge lassen wir folgen.

Aus Omaha City in Nebraska wird unterm 13. Mai Folgendes gemeldet: „Ganze Schaaren von Goldjägern kehren in wilder Verzweiflung zurück. Sie sind wüthend gegen die Speculanten und Handelsleute, von denen sie sich gehumbugt glauben, und drohen mit Mord und Brand. Selbst die Fährleute sind vor ihnen nicht sicher, und manche derselben mußten flüchten, um ihr Leben zu retten. Sechzig englische Meilen westlich von hier haben einige hundert Enttäuschte, die leider mit Branntwein reichlich versehen sind, mehreren Menschen den Tod geschworen und für diese schon Gräber gegraben. Zu diesen gehört Samuel Curtis, der lügenhafte Correspondenzen in viele Blätter geliefert; wenn die gegen ihn ausgesandten Streifschaaren ihn fangen, so ist er unrettbar ein Kind des Todes. Auf der ganzen Strecke nach der Goldgegend hin herrscht ein schrecklicher Zustand. Während viele Tausende auf der Umkehr begriffen sind, begegnen ihnen andere Tausende, welche sich auf dem Hinwege befinden. Es fehlt nicht an Mord und Todtschlag, und der Himmel weiß, was das Ende sein wird. Eine Buchdruckerpresse, auf welcher man eine Zeitung, die „Neuigkeiten aus den Felsengebirgen“, drucken wollte, ist unterwegs angehalten und von den Wüthenden in den Plattefluß geworfen worden, damit nicht neue Lügen Verbreitung finden möchten. Ein Herr Allen, welcher günstige Berichte über das Goldland geschrieben, wurde deshalb beim Fort Kearney am Nebraskaflusse gelyncht. Außer manchen rechtschaffenen Leuten, die sich enttäuscht glaubten, sind auch Banden abenteuernder Taugenichtse auf dem Heimwege; diese halten alle Auswanderer an, erzählen fürchterliche Geschichten, lügen und übertreiben, und nehmen mit Güte oder Gewalt, was ihnen ansteht. Sie treiben es wie Räuber. Die Ortschaften Auraria und Denver City sollen ausgeplündert worden sein. Als gewiß glaube ich versichern zu dürfen, daß an einigen Stellen fleißige Goldgräber täglich für drei bis vier Dollars Goldstaub gewinnen können; an anderen Stellen bringt aber die Arbeit kaum drei Cents, während in den Gebirgsschluchten Lebensmittel selten und natürlich sehr theuer sind.“

Ein zurückgekehrter Goldjäger berichtet unterm 20. Mai aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_386.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)