Seite:Die Gartenlaube (1859) 382.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

später die geträumten goldenen Berge im Lande der Verheißung Rußland zu erobern.

Rasch waren wir eingerichtet, die geringe Zahl der Passagiere erlaubte es, Jedem eine Doppelkoje für sich einzuräumen, die er sonst hätte theilen müssen, und das war gut. Die Dampfschiffe der Donaugesellschaft sind alle vortrefflich und elegant, wenn sie auch in letzterer Hinsicht nicht mit denen des österreichischen Lloyd concurriren können; aber auf dem Meere bedarf man größeren Comforts, wie auf dem Strome, der alle Augenblicke zu landen erlaubt; freilich ist hier auf Terra firma blitzwenig von diesem zu gewahren und zu holen. Die Ufer der unteren Donau sind aller Reize baar. In endlosen Ebenen, soweit das Auge reicht, erstreckt sich links und rechts das sumpfige Schilfmeer, das hier viele Hunderte von Quadratmeilen einnimmt; weit und breit kein Baum, kein Strauch, keine menschliche Wohnung. Nur hier und da erhebt sich auf der linken, moldavanischen Stromseite in regelmäßigen Intervallen eine armselige Breterhütte, bestimmt für die türkische Douanenwache. So oft nun das Boot eine derartige Station passirte, sprangen rasch die paar Mann der Besatzung hervor, stellten sich in’s Glied, so gut es ging, und präsentirten ernsthaft das Gewehr. Ich sah mich unter der Gesellschaft der Cajüte um, im Glauben, es befinde sich vielleicht ein hoher Würdenträger incognito darunter, dem dies gelte; aber der Wiener, welcher die Reise schon mehr als einmal gemacht hatte, belehrte mich: „Die Burschen wollen durch diese Huldigung nur darthun, daß sie die unendliche Höhe unserer Nationalität über der ihrigen anerkennen!“ Gewiß ist noch niemals auf der unteren Donau so homerisch gelacht worden, wie im Laufe dieses Nachmittags auf unserem Deck. Als wir wiederum einmal eines jener Wachtlocale passirten, exercirte vor demselben ein türkischer Harambasse vier Mann Rekruten ein. Aber dieselben schienen schwer von Begriffen, denn laut und zornig scholl sein strenger Commandoton über das Wasser, er stand dabei nicht vor, sondern etwa zwanzig Schritte hinter seinen Mannen. Diese waren lange, robuste Schlingel im blauen Waffenrock und Fes, natürlich dabei barfüßig, der Unterofficier aber ein ganz kleiner schmächtiger Kerl, so daß es aussah, als sei er der Page der mit mühsamer, oft unterbrochener Fühlung voranmarschirenden Rekruten. Plötzlich aber schien Einer von diesen das Maß der Geduld des Befehlenden doch allzuheftig erschöpft zu haben, denn wie ein kleiner Tiger sprang er vorwärts und versetzte dem Strafbaren einen so wackeren Fußtritt auf das Ende der Rückenwirbel, daß er sofort überkollerte; dann aber fiel er mit einem Prügel, den er in der Hand trug, über ihn her und bläuete ihn auf das Jämmerlichste ab. Die anderen Rekruten marschirten gravitätisch weiter, ohne sich umzublicken, und ließen eine Lücke für den gezüchtigten Cameraden, welche dieser, nachdem er sich aufgerafft, im Doublirschritt wieder zu gewinnen trachtete. Aber unser lautes Gelächter war dem armen Teufel verderblich, denn es weckte wahrscheinlich die Bosheit des Harambassen und er fiel sofort auf’s Neue über sein geduldiges Opfer her, so daß sich die – für die Zuschauer – spaßhafte Scene noch mehrmals wiederholte, bis die Station dem Gesichtskreise entrückt war. Da hatten wir denn ein Pröbchen bekommen von dem Geiste des türkischen Kriegsheeres – an Subordination schien es zum mindesten nicht zu fehlen.

Mittlerweile war der Strom immer schmäler und schmäler geworden. War das noch die gewaltige Donau? Oft nur kaum hundert Fuß breit wand sich ein stiller Wasserspiegel dahin, unbewegt, wie ein stagnirender Sumpfcanal; wir waren in den eigentlichen Sulina-Arm eingelaufen, und die Fahrt in demselben erinnerte mich auffallend an diejenige mit dem Dampfboote von Oldenburg nach Elsfleth. Die mäandrischen Windungen aber, welche der im Morast seiner Delta’s halb verkommene Fluß hier macht, zu beschreiben, ist kaum möglich. In Texas gibt es, wie Gerstäcker irgendwo erzählt, einen River, in welchem keine Fische gedeihen, weil denselben seiner vielen Krümmungen wegen alsbald das Rückgrat verrenkt wird – von dem Donaucanale der Sulina dürfte man getrost das Gleiche berichten. Es lag gerade eine zahllose Menge von Getreideschiffen, nach Tuldscha, Galatz und Ibraila bestimmt, und auf günstigen Wind zum Aufwärtssegeln wartend – denn von einem Leinpfad ist hier nicht mehr die Rede – ruhig im Fluß vor Anker, hauptsächlich türkische, griechische, ionische, aber auch französische Fahrzeuge. Schon von Weitem erblickte man die Masten derselben, aber alle Augenblicke veränderten sie ihre Stellung: Schiffe, welche hinter uns zu liegen schienen, waren noch zu passiren, und die, an denen wir schon vorübergekommen, erschienen plötzlich wiederum vor uns oder zur Seite. Ueberall aber im ganzen Kreise des Horizontes erhoben sich die schlanken Masten, so daß man sich auf dem schrankenlosen Meere zu befinden wähnen konnte, wäre nicht das grüne Schilf dazwischen gewesen statt der grünen Wogen. Unser Dampfer fuhr dabei ganz langsam, augenscheinlich mit großer Vorsicht; die Passagiere waren gebeten worden, den Raum vor dem Steuerrade nicht zu betreten. Daß dies seinen guten Grund hatte, bewiesen hier und da die schwarzen Wracks, die entweder halb am Strande lagen oder deren morsche Spieren über dem Wasserspiegel hervorragten. Nur Schiffe von geringem Tiefgange können die Sulina ohne Gefahr mit Ladung passiren. Abwärts wird in Tuldscha oder Prislav, aufwärts in Sulina ein Lootse an Bord genommen. Aber damit ist keineswegs jede Gefahr beseitigt, denn die Lootsen der Donaumündungen sind nicht die vorzüglichen, zuverlässigen Führer norddeutscher Häfen, sondern größtentheils griechisches Gesindel ohne Treue und Verlaß, dem es nur darum zu thun ist, die Capitaine nach Kräften zu prellen, was ihnen gewöhnlich gelingt, da kein Tarif existirt und die Preise je nach Jahreszeit und Frequenz sehr wechseln. Zur Fahrt stromaufwärts bedienen sich die Getreideschiffe am besten der österreichischen Schleppdampfer; thun sie das nicht, so bringen sie oft von Sulina bis Galatz, eine Entfernung von nur sechzehn geographischen Meilen, einen Monat zu und noch länger, und wie sich in diesem langen Zeitraume das Geschäft verändern kann, braucht nicht auseinandergesetzt zu werden. Es gibt dies aber einen hinreichenden Beleg für die Gefährlichkeit und die Noth der Schifffahrt in der Sulina. Wir in unserem prächtigen Steamer, unter der Obhut eines fast nur zu sorglichen Capitains, in der Klarheit eines wundervollen Junitages, hatten freilich nichts zu fürchten und dachten so wenig an die Tücke des stillen schmalen Stromes, daß wir geneigt waren, die Wracks, welchen wir begegneten, für Opfer unverzeihlicher Fahrlässigkeit zu halten.

Um sechs Uhr Abends kam der Leuchtthurm von Sulina in Sicht, und eine halbe Stunde später lag der Metternich vor Anker auf dem linken Ufer des nach der Mündung zu sich wieder verbreiternden Stromes, gegenüber der Stadt und dem Mastenwald des Hafens. Vor uns aber rollten, mit weißen Schaumkronen geschmückt, die langen Wogen des schwarzen Meeres. Ein unvergeßlicher Anblick!

Mehrere Stunden Rast waren uns hier vergönnt, denn erst mit dem Beginn der Ebbe sollte die Barre passirt werden; dies war erst um Mitternacht zu erwarten. Also rasch an’s Land! Eine Menge von Booten umdrängte schon unser Schiff; mit eindringlichen Gebehrden und in allen möglichen Sprachen luden die sonnverbrannten, wild aussehenden Führer derselben ein, uns ihrer zum Landen zu bedienen. Wir wählten den hübschesten darunter zur Ueberfahrt aus – die Stimme der Damen entschied – einen schlanken, braunen Griechen, dem der überhängende Fes der Inseln gar malerisch auf den pechschwarzen Locken saß, und dessen blitzende Augen, tadellose Nase und weißen Zähne in jedem Salon Aufsehen gemacht haben würden. Gewandt und kräftig schob er sein breitbauchiges Kielboot zwischen den Rivalen hindurch bis zur Treppe, und nach wenigen Ruderschlägen betraten wir auf einem morschen Landungsgerüst das rechte Donauufer und die an seinem äußersten Ende erbaute Stadt Sulina.

Wer hat noch nicht von den Städten in Amerika gelesen, die wie Pilze über Nacht aus der Erde schießen, von San Francisco in Californien, dessen Einwohnerzahl sich von Tag zu Tag um Tausende vermehrte, von der fabelhaften Schnelligkeit, mit welcher die australischen Golddistricte eine zahllose Bevölkerung an sich zogen? Aber man braucht nicht den Ocean zu messen und in fremden Welttheilen zu suchen, was man in Europa ebenso überraschend finden kann, ja noch viel erstaunenswerther, weil eben in der Nähe, wenigstens im Bereich der abendländischen Civilisation. Noch im Jahr 1850 stand auf dem rechten Ufer der Sulinamündung blos der Leuchtthurm und eine Lootsenhütte, heute erhebt sich hier eine Stadt, deren wechselnde Population manchmal fünfundzwanzigtausend Seelen und mehr beträgt, die man aber in geographischen Handbüchern und Conversationslexicis vergeblich aufsuchen wird. Und was für eine Stadt ist es, die hier aus der Erde, nein, aus dem Sumpfe wuchs! Wer sie betritt, der fühlt sich augenblicklich in eine fremde, neue Welt versetzt; hat er nicht überflüssigen Muth, so befällt ihn vielleicht ein gelindes Frösteln; ist er in

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_382.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)