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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

einen Bauer wiedererkannt, mit dem ich bis vor anderthalb oder zwei Stunden noch amtlich verhandelt hatte; so glaubte ich wenigstens. Aber als ich jetzt zu dem Manne hingehen wollte, war er plötzlich verschwunden, eben so plötzlich, wie er wenige Augenblicke vorher mitten in der Heide aufgetaucht war. Und so sonderbar war er verschwunden. Die Fichten standen so vereinzelt und waren so klein und so dünn, daß auch der kleinste und dünnste Mensch sich nicht hinter ihnen verbergen konnte, und doch war keine Spur von ihm zu sehen. Dem Kutscher, der an kleine Erdmännchen und lange Heidemänner mit Siebenmeilenstiefeln glaubte, hätte wohl ängstlich werden können.

„Ich muß doch wissen, was das war,“ sagte ich.

Ich wollte meinen Weg zu den Fichten fortsetzen, aber der Kutscher warf sich mir entgegen und hielt mich zurück. „Machen Sie kein Unglück, Herr.“

„Es war doch ein Mensch.“

.„Es war ein Heidegespenst.“

„Es war Jemand, und wir müssen wieder auf den rechten Weg.“

„Sie haben den rechten Weg verloren?“ fragte eine fremde Stimme hinter mir.

Was war das wieder? War denn wirklich in dieser kahlen Heide der Teufel mit seinen Gespenstern los, um schon bei dem anbrechenden Abende ihr höllisches Spiel zu treiben? Der Kutscher war fast zehn Schritt zurückgeflogen. Ich drehte mich überrascht um. Ein großer, fremder Mann stand vor mir; er trug die gewöhnliche Bauerntracht der Gegend und konnte in der Mitte der dreißiger Jahre sein, vielleicht auch ein angehender Vierziger. Es war ein hübscher, beinahe schöner Mann. Aber in oder über jedem Zuge des schönen Gesichtes lag etwas, das unwillkürlich zurückschreckte. Was es war, konnte ich mir nicht sagen. Der Mann kam mir nur so entsetzlich finster und unheimlich vor. That es die Ueberraschung? Die plötzliche Begegnung in der einsamen Heide, in dem zweifelhaften Zwielichte?

„Wir haben uns verirrt,“ antwortete ich ihm.

„Woher kommen Sie?“

Ich nannte ihm den Ort. Es war ein Dorf, in dem ich meine Amtsgeschäfte gehabt hatte.

„Und wohin wollen Sie?“

Ich nannte ihm auch den Ort. Es war die Stadt, in welcher das Criminalgericht, dem ich vorstand, seinen Sitz hatte.

Einen Augenblick kam es mir vor, als wenn etwas in ihm aufzuckte. Doch er fuhr kalt und ruhig fort: „Sie müssen diesen Weg nehmen. Da hinten an jenem Haufen hoher Eichen kommen Sie aus der Heide.“

Er zeigte auf einen der sich vor uns kreuzenden Wege, dann nach einer Gruppe hoher Bäume, die in der Ferne in dem letzten Schimmer des westlichen Horizontes noch schwach zu erkennen waren.

„Sie können nicht fehlen, wenn Sie die Bäume im Auge behalten,“ sagte er noch.

Indem er das sagte, machte er Kehrt in die Heide hinein. Ich rief ihm meinen Dank nach. Er lüftete seine Mütze, ohne sich umzusehen, und ging weiter.

„Gott sei Dank!“ athmete der Kutscher auf.

Auch mir war es wie leichter auf der Brust geworden. Der Fremde war zuvorkommend gewesen; er hatte mich aus einer großen Verlegenheit befreit. Er hatte, wenn gleich kurz, doch mit einer gewissen Höflichkeit gesprochen. Aber jener finstere Geist, der aus seinen Zügen sprach, hatte mich nun einmal wie ein unheimlicher Dämon gepackt, und dann mußte ich daran zurückdenken, daß es plötzlich in seinem Gesichte zuckte, als ich ihm den Ort nannte, wohin ich wollte, und ich meinte, er habe mich seitdem verstohlen und mit so sonderbar lauernden und verdächtigen Blicken angesehen. Indessen, wir wußten jetzt den rechten Weg.

„Voran, Kutscher.“

„Den Weg, den uns der Mensch gezeigt hat?“

„Warum nicht?“

„Ach, Herr, der Mensch, wenn er kein Heidegespenst war, gehört sicher zu der gefährlichen Bande, die gerade hier in der Gegend ihr Handwerk treibt.“

„Wer weiß hier von einer solchen Bande?“

„O, Herr, das wissen Sie besser, als ich.“

Er hatte Recht, vielleicht auch Unrecht. Aber wir mußten nun einmal fort.

„Wißt Ihr einen bessern Weg, Kutscher?“

„Ich weiß leider Gottes gar keinen mehr.“

„Also voran, in der Heide können wir nicht bleiben; jedenfalls wird der Weg uns zu Menschen führen.“

„Aber zu was für Menschen, Herr? Wenn sie aussehen, wie dieser!“

„Dieser sah ganz reputirlich aus.“

„Gott sei bei uns! Mir ging es bis in die Knochen, wenn ich ihn nur ansah.“

Er mußte voran fahren. Ich war vorhin, als wir den verlorenen Weg suchten, ausgestiegen. Ich stieg wieder ein.

Unser Weg führte uns an jenen Fichten vorbei, an denen so plötzlich der kleine Mensch verschwunden war, den wir so plötzlich dort hatten auftauchen sehen. Ich bog mich aus dem Wagen, um mich, jetzt in der Nähe, nach ihm umzuschauen. Und auf einmal war er wieder da, unmittelbar neben dem Wagen. Plötzlich war er hinter einer kleinen Fichte hervorgekommen, wie aus der Erde. War der Mann kein Gespenst der Heide, so mußte eine Grube dort in der Heide sein.

„Guten Abend, Herr,“ sagte er freundlich.

Mein Kutscher wäre vor Schreck beinahe vom Bocke gefallen. Er hörte die Stimme, und hatte den Mann nicht gesehen.

„Ah, guten Abend.“

Es war wirklich das kleine, alte Bäuerchen, das ich vorhin schon glaubte erkannt zu haben, mit dem ich heute Amtsgeschäfte gehabt hatte.

„Bin ich auf dem rechten Wege nach Hause?“ war meine erste Frage an ihn.

„Ja, Herr. Den rechten Weg hat er dem Herrn gezeigt.“

Er sagte das in so eigentümlichem Tone.

„Was meint Ihr damit?“ fragte ich ihn.

Er antwortete nicht und lachte leise für sich. Dann sagte er:

„Der Herr hat die Reise heute auch umsonst gemacht.“

„So ziemlich vergebens,“ sagte ich.

„Ja, ja – Wenn der da nicht gewesen wäre – Hat der Herr sich den Menschen wohl genau angesehen?“

„Welchen Menschen?“

„Der ihm da eben den Weg zeigte.“

„Ihr kennt ihn?“

„Wer kennt den nicht?“

„Und wer war es?“

Er lachte wieder.

„Nun, wer war es?“

Er besann sich.

„Wäre der Herr wohl so gut, ein Weilchen auszusteigen?“ sagte er dann. „Ich hätte doch ein paar Worte mit ihm allein zu sprechen. Wir gehen hinter dem Wagen her.“

Ich stieg aus. Der Wagen fuhr langsam weiter. Ich ging mit dem Bäuerlein hinterher.

Aber hier muß ich zuvor erzählen, was für ein Amtsgeschäft ich gehabt hatte.

An das Criminalgericht, dem ich vorstand, war ich erst vor kurzer Zeit aus einer andern, entfernten Provinz des Staats versetzt. Ich fand gerade bei meiner Ankunft das Gericht in einer gewissen Aufregung. Der Gerichtsbezirk stieß an die Landesgrenze ganz hinten, mit seinem äußersten Ende. Es war dort eine abgelegene, einsame, verkehrlose Gegend, einer jener verborgenen Erdwinkel, in den ein Fremder nie hineinkommt, aus dem die Bewohner selten herauskommen. Der Boden war ungleich: fruchtbares Ackerland, Waldung, wüstes Heideland. Die Bewohner waren dort wohlhabend, hier arm. Ueberall wurden sie als gutmüthig geschildert. Freilich sollten sie gegen die neuere Cultur rings umher zurückgeblieben sein. Doch vielleicht eben daher rührte ihre Gutmüthigkeit. Gewiß war es ein Grund, daß man seit Menschengedenken von Verbrechen nicht gehört hatte, die in den wenigen Gemeinden, die jener Erdwinkel beherbergte, vorgefallen seien.

Dies war seit Kurzem auf einmal anders geworden. Seit einem halben Jahre ungefähr waren plötzlich häufige Diebstähle vorgekommen. Bald hier, bald dort; bald bedeutende, bald geringfügige; bald mit einer unglaublichen Verwegenheit, bald mit außerordentlicher List und Schlauheit ausgeführt; aber niemals war eine Spur des oder der Thäter entdeckt worden. Der oder die Diebe waren recht eigentlich in der Nacht gekommen, aber auch wieder verschwunden. Ja, man wußte nicht einmal, war es ein einzelner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_378.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)