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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Telegraphenlinie, so kann der General en chef, in dessen unmittelbarer Nähe der Telegraphenapparat sich befindet, in Folge eingetretener Ereignisse auf telegraphischem Wege schnell entweder eine andere Frontstellung oder eine Vorwärts- oder Rückwärtsbewegung oder eine Concentrirung der Armee nach irgend einem Punkte anordnen, und da eine provisorische Telegraphenlinie meistentheils auch mit einer bereits bestehenden Telegraphenlinie in Verbindung steht, so kann er auch auf telegraphischem Wege über Gefechte und Schlachten, über die Stellung, über die Stärke und den Marsch des Feindes Bericht erstatten und auch entfernteren Armeecorps Verhaltungsbefehle ertheilen, oder denselben Mittheilungen machen, oder diese herbeiziehen. Von großer Wichtigkeit ist auch der Umstand, daß sowohl der General en chef, als auch die anderen Corpscommandanten auf telegraphischem Wege Waffen, Geschützmunition, Pferde, Fourage und Lebensmittel schnell requiren, sowie auch den bereits auf dem Marsche befindlichen Truppen gemessene Befehle zukommen lassen können. Selbst während einer Schlacht, vorausgesetzt, daß man vorher Zeit gehabt, solche provisorische Telegraphenlinien zu errichten, ist es für den General en chef von großer Wichtigkeit, von den verschiedenen Truppencommandanten schnell Kenntniß über den Verlauf derselben zu erhalten und demgemäß Anordnungen zu treffen und Befehle zu ertheilen; ebenso auch, wenn z. B. eine Armee sich in einer defensiven Stellung befindet und plötzlich auf irgend einer Seite angegriffen wird, ist es von nicht weniger großer Wichtigkeit, daß der General en chef hiervon schleunigst Kenntniß erhalte und eben so schnell die übrigen Truppencommandanten davon in Kenntniß setzen und seine Dispositionen treffen kann. –

Welchen Einfluß überhaupt die Telegraphenlinien und auch Eisenbahnnen auf die Kriegsoperationen ausüben, hat sich bereits recht klar bei der Belagerung von Sebastopol gezeigt, indem es den Franzosen und Engländern wegen des Terrains fast unmöglich gewesen wäre, ohne eine Eisenbahn ihre schweren Belagerungsgeschütze, die Munition, den Lebensbedarf etc. an Ort und Stelle zu schaffen, sowie auch in dem gegenwärtigen Kriege zwischen Frankreich mit Sardinien und Oesterreich. Die Telegraphenlinien und Eisenbahnen durchziehen Frankreich in einer Weise, wie es fast bei keinem Lande des Continents der Fall ist, und daher konnten die Franzosen in ganz kurzer Zeit eine Armee von 130,000 Mann nach Sardinien überführen. Während es früher unendlich viel Zeit erforderte, entferntern Truppenmassen Befehle zu ertheilen, oder in Uebereinstimmung mit denselben zu operiren, oder Nachricht von ihnen zu erhalten, bedarf es gegenwärtig mittelst des Telegraphen hierzu nur einiger Minuten, und es können sogar in einer großen Entfernung operirende Armeen nicht allein durch den Telegraphen in fortwährender Uebereinstimmung ihre Kriegszwecke verfolgen, sondern auch ebenso plötzlich, in Folge von Ereignissen, ihre Märsche und ihre Dispositionen ändern, was in früheren Zeiten nicht der Fall sein konnte. Während man früher durch die Richtung der Truppenmärsche auf einen Angriff vorbereitet sein konnte, kann der Feind mit Hülfe der Eisenbahnen seinen Gegner vollkommen täuschen, indem er in einer verhältnißmäßig kurzen Zeit auf diesen große Truppenmassen nach einem dem Gegner unbekannten Orte führen, und alsdann auf telegraphischem Wege den concentrirten Truppen eine andere Marschdirection und einen andern Angriffspunkt geben kann. Zur Bewahrung des Geheimnisses solcher Ordres stehen den Behörden hinreichende Mittel und Wege zu Gebote, und hieraus ersieht man, daß Eisenbahnen und Telegraphenlinien für Kriegszwecke in enger Beziehung zu einander stehen, und das ganze frühere System des Kriegführens eine Veränderung erleiden muß. Die russischen Eisenbahnen sind sämmtlich zum Transport von Militair jeder Gattung in großem Maßstabe eingerichtet und es wäre wünschenswerth, wenn dies auch bei den in Deutschland befindlichen der Fall wäre. Auch in Frankreich hat man diesen Umstand stets im Auge behalten und die Transportmittel der Eisenbahnen zu diesem Zwecke so eingerichtet. In Oesterreich ist man mit dem Bau der Eisenbahnen noch weit zurück, und dieser Umstand erschwert ungemein das schnelle Befördern von Militair in diesem großen Reiche, welches ihm im gegenwärtigen Kriege sehr zu Statten kommen würde.R. 




Liszt’s Messe. Ueber die in Leipzig zur Aufführung gekommene „Graner Messe von Liszt“, die man so gern als ein Meisterwerk hinstellen möchte, geht uns folgende Mittheilung zu:

„Wir begegnen in diesem Werke wieder allen jenen Eigenschaften, welche die Liszt’schen Productionen für uns überhaupt zu völlig ungenießbaren und abstoßenden machen. Da ist von keiner Gliederung, keiner Vermittelung, keinem Zusammenhang die Rede; da ist Alles zerbröckelt und zerstückelt, ohne logische Nothwendigkeit neben einander gesetzt und ohne Sinn construirt. Gibt man sich nun schon zufrieden, daß man es mit einem ungeordneten, zerfahrenen Ganzen zu thun hat, so kann man sich doch auch bei den einzelnen Theilen dieses Ganzen keinen Ersatz holen, und die Unerquicklichkeit und Befriedigungslosigkeit trägt sich von der äußeren Construction auf den innern Aufbau über. Man sucht vergebens ordentlich gestaltete Melodieen, zweckmäßig organisirte und anziehende modulatorische Formen, interessante thematische Combinationen, man lechzt vergebens nach Etwas, was einem als Musiker Freude machen könnte – man befindet sich mit einem Worte in einer vollständigen Wüste, in der hie und da eine trügerische Fata Morgana eine Oase vorspiegelt – man stürzt darauf zu, will eindringen in den lockenden Palmenhain, will den brennenden Durst löschen in dem silbernen Quell; aber immer weiter weicht das Luftgebilde zurück, und zerrinnt endlich in ein trostloses Nichts. Müssen wir diese Messe nun als Musikstück überhaupt schon verdammen, so müssen wir es noch mehr als Kirchentonstück. Wo ist hier Weihe und Sammlung, oder Erhebung und emporflügelnde Andacht? Was liegt der Kirche ferner, als dieses jähe Ueberspringen von einem Contrast zum andern, als diese überwürzte harmonische und instrumentale Behandlung, als diese ganze musikalische Verrenkung und Verzerrung?

„Freilich werden auch mancherlei Versuche gemacht, um recht transscendent und supranaturalistisch zu sein; es wird namentlich im Credo ein ungemeiner Aufwand mit musikalischer Symbolisirung getrieben; aber – um nur Einiges anzuführen – wie grobsinnlich, unmusikalisch wirkt dieses „crucifixus etiam pro nobis“, „passus et sepultus est“, dieses schreckliche „judicare vivos et mortuos“, dieses „expecto resurrectionem mortuorum“! Wie ganz „tannhäuserlich“ wird man angemuthet, wenn, sowie nur von etwas Uebersinnlichem die Rede ist, die hochgelegten Violinen in das beliebte visionäre Tremolo verfallen, und wie gar oft sieht man den Lohengrin’schen „lieben Schwan“ angerudert kommen! Doch genug von dieser Graner Messe! Wir haben immer gemeint, durch so vieles Leidige, was uns nun im Verlaufe einiger Jahre schon geboten wurde, etwas ruhiger und gleichgültiger gegenüber der musikalischen Gegenwart geworden zu sein – aber nein! es kommt immer wieder Etwas, was die Galle erregt, und bei dem man sich als gewissenlos vorkommt, wollte man schweigen und indifferent zuschauen. – Die Aufführung war nur leidlich; es mag aber auch unendlich schwer sein, diese an sich so corrupte Musik unter einer Leitung zu executiren, die beim bloßen Zusehen schon Lachen erregt, und an die sich zu gewöhnen, ein Jahre langes Zusammenleben von Orchester und Dirigenten erforderlich wäre.“




Literarisches. Der diesjährige Schad’sche Musenalmanach bringt eine größere und reichere Auswahl von Gedichten, als die früheren Jahrgänge, und fast die ganze namhafte Lyrik der Gegenwart ist darin vertreten. Das an Volumen und poetischem Gehalt bei weitem bedeutendste Gedicht ist „das Mädchen von Capri“ von Julius Große. Unserer Ueberzeugung nach ist es eins der besten Erzeugnisse der neuen deutschen Poesie überhaupt, und in der lyrisch erzählenden Gattung ist seit „Hermann und Dorothea“ nichts, das ihm gleich käme, erzeugt worden. Ein echtes gesundes Flügelkind jener wunderbaren Verbindung des antiken Geistes mit der modernen Weltanschauung – wie selten ist dieser Bund fruchtbar gewesen! – ist es vom Schöpferhauche Homer’s und Goethe’s gleich stark durchglüht, und was dem Dichter noch zu besonderer Ehre gereicht, sein Hexameter ist zwar nicht überall gleich gelungen, aber in den meisten Stellen meisterhaft.

Ueber die Fabel des Gedichtes sagen wir nichts; die Anlage ist so vortrefflich und so abweichend von der hergebrachten Weise, daß man vom ersten Verse an wie von einem unwiderstehlichen Zauber gefesselt wird. Selbst eine Episode, die eigentlich gar nicht hinein gehört, möchte man um keinen Preis missen, so unübertrefflich reizend ist sie.

Das Buch sagt uns, daß der Dichter 1823 zu Erfurt geboren sei. Möchte man nicht glauben, daß der Geist des greisen Goethe, von Weimar westwärts seiner sinkenden Lebenssonne nachblickend, in der nächsten Stadt, in der alten Hauptstadt Thüringens, ausruhend sich niedergesenkt und schöpferisch befruchtend gewirkt? Wahrlich, Herr Große ist ein echter Geistessohn des weimarischen Heros, und Erfurt darf stolz sein auf diesen seinen Sohn. L. St. 




Berichtigung. Bei Mittheilung der Novelle „Warten“ von Moritz Hartmann in Nr. 23 der Gartenlaube haben wir in einer besonderen Bemerkung auf eine in Braunschweig lebende geachtete Persönlichkeit als den ursprünglichen Erzähler hingedeutet. Es beruhte dieses auf einem Irrthum, den wir zu entschuldigen bitten. Die Redaction. 


Zur Nachricht.

Die geehrten Leser unsers Blattes, welche im regelmäßigen Empfange der Wochennummern keine Unterbrechung erleiden wollen, machen wir wiederholt darauf aufmerksam, daß mit der heutigen Nummer das 2. Quartal schließt, und deshalb Bestellungen auf das Quartal bei den betreffenden Postanstalten und Buchhandlungen sofort aufzugeben sind.

Unsere österreichischen Abonnenten benachrichtigen wir noch außerdem, daß wir alle österreichischen Buchhandlungen in den Stand gesetzt haben, trotz der bedeutenden Coursdifferenz das 3. Quartal zu

87 Nkr., also inclusive des Stempels von 13 Nkr. zu 1 fl. O. W.

zu liefern. Bei der Postanstalt wird dieser Preis einen kleinen Aufschlag erleiden.

Die Tendenz unserer Zeitschrift bleibt dieselbe. Die Kriegsereignisse werden auch in der Folge durch Bild und Wort zur Darstellung kommen, und haben wir behufs authentischer Mittheilungen die nöthigen Vorbereitungen durch unsere Correspondenten in den sardinischen, österreichischen und preußischen Lagern getroffen.

Die Verlagshandlung. 



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_376.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2023)